Der kleine King: Warum Dave Gahan jetzt einen Elvis-Song singt

Manchmal dauert es lange, bis er sich mit einem Song wohl fühle, sagt Dave Gahan.

Manchmal dauert es lange, bis er sich mit einem Song wohl fühle, sagt Dave Gahan.

Hannover. Als kleiner Prinz verkleidet und mit einem Liegestuhl unter dem Arm suchte Dave Gahan Anfang der Neunziger­jahre die Stille – und fand sie tatsächlich: an einem Strand, auf dem Berg, im Schnee, auf jeden Fall in der Abgeschie­denheit. Das Musikvideo zu „Enjoy the Silence“, dem wohl bekanntesten Song seiner Band Depeche Mode, war ein MTV-Hit. Es lief damals andauernd im Fernsehen. Hat der Sänger diese innere Ruhe, dieses bisweilen arg flüchtige Gefühl von Zufriedenheit auch in der Realität, in seinem Alltag, gefunden?

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„Zunächst einmal muss ich Sie korrigieren“, antwortet der 59-Jährige. „Ich war ein König, kein Prinz.“ Lachen, Nachdenken, dann fügt er hinzu: „Ich habe das Gefühl, dass ich an diesem Ort heute viel häufiger bin als früher.“

Das Interview gibt er per Zoom-Schaltung. Seine Augen kann man hinter seiner getönten Brille kaum erkennen. Ob sie kajal­schwarz umrandet sind? Bemerkens­wert, dass man in ihm auch jetzt, ganz automatisch, diesen schwarzen Schwan sieht, den er immer auf der Bühne gibt.

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Gahan hat mit seinem Neben­projekt Soulsavers ein Coveralbum aufge­nommen und es „Imposter“ genannt. Schwindler. Die zwölf Lieder wirken wie auto­bio­grafische Cover­versionen. Nicht sofort, aber nachdem er sechs, sieben Songs eingesungen hatte, habe er gespürt, dass sie ihm eine Geschichte erzählen wollen – und zwar seine eigene, sagt er, „dass sie mich darüber informieren, wer ich bin“.

Unkaputtbar wirkten die Depeche-Mode-Musiker nie

„Und wenn du eine Weile bleibst, werde ich in deine Seele eindringen. Ich werde in deine Träume bluten“, singt er in dem Depeche-Mode-Song „Welcome to My World“. „Ich werde den Himmel öffnen. Und ich reite auf deinen gebrochenen Flügeln.“ Auch wenn sie als die Stones des Synthie-Pop gelten, unkaputtbar wirkten diese Musiker noch nie.

Jetzt interpretiert Gahan Bob Dylans dunklen Diamanten „Not Dark Yet“. „Hinter allem Schönen gab es irgendeinen Schmerz“, singt er; und er wirkt dabei, als wisse er ein bisschen mehr als man selbst. „Ich wurde hier geboren und werde hier sterben gegen meinen Willen. Ich weiß, es sieht so aus, als bewegte ich mich, aber ich stehe still. Jeder Nerv in meinem Körper ist ausgehöhlt und taub. Ich weiß nicht einmal mehr, wovor ich weg­gelaufen bin, bevor ich hierher kam. Ich höre nicht mal das Murmeln eines Gebets. Es ist noch nicht dunkel, aber bald ist es so weit.“ Schwerer Stoff.

Die Art und Weise, wie er sich die Songs der anderen zu eigen macht, wie er sie gewisser­maßen ein- und ausatmet, erinnert an die American Recordings des späten Johnny Cash. Mit „Personal Jesus“ hatte dieser auch einen Depeche-Mode-Hit aufgenommen. Unvergessen aber ist vor allem seine Version von „Hurt“, die so eindrucksvoll anders klang als das Original von Nine Inch Nails. Als wäre sie ein völlig neues Lied. Gahan gelingt das manchmal auch.

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Was sagt es aus über ihn, wenn er einen Song wie „Metal Heart“ von Cat Power covert? „Sei ehrlich, denn sie sperren dich in einen traurigen, traurigen Zoo.“ Welchen Lebens­abschnitt spiegelt das Lied „Liliac Wine“ wieder, das unter anderem Nina Simone und Jeff Buck­ley gesungen haben? „Holunder­wein ist süß und berauschend, wo ist meine Liebe? Holunder­wein, ich fühle mich unsicher, wo ist meine Liebe?“

Jetzt akzeptiert er viele seiner Ängste

„Ich habe manchmal immer noch das Gefühl, nicht dazu­zuge­hören, nicht in der Lage zu sein, mich wirklich aus­zudrücken, anderen gegenüber, meiner Frau, meinen Kindern und Freunden, auch das Gefühl, keinen Platz gefunden zu haben“, sagt er. Doch, anders als früher, scheinen ihn diese Ängste heute nicht mehr fertig­zu­machen. „Sie sind Teil meiner Persönlich­keit, sie machen mich aus. Ich versuche nicht mehr, die ganze Zeit dagegen anzukämpfen. Ich akzeptiere sie. Das ist von großem Vorteil.“

Elvis als „König der Schwindler“

„Smile“ war ursprünglich ein Instrumental. Charlie Chaplin hat die Melodie 1936 für seinen Film „Moderne Zeiten“ komponiert und damit die Schluss­szene vertont. „Was bringt das alles überhaupt?“, fragt die Gefährtin, während sie ihr Bündel packt. „Kopf hoch, gib nicht auf, wir schaffen das schon“, antwortet der Tramp. Und dann machen sich die beiden im Morgen­grauen auf staubiger Landstraße auf den Weg in Richtung Zukunft. Fast 20 Jahre später landete Nat King Cole mit „Smile“ einen Top-Ten-Hit. Jetzt singt Gahan „lächle, obwohl dein Herz schmerzt, lächle, auch wenn es bricht“, und er klingt dabei wie ein einsamer Elvis.

Gahan hat nicht nur das von Elvis perfektionierte Konzept der Befreiung durch Rock ’n’ Roll auf seine eigene Art und Weise ausgelebt, mit „Always on My Mind“ covert er nun auch einen seiner größten Erfolge. Welche Bedeutung hat Elvis, der so jung starb, für ihn? Er war schließlich nicht nur der King of Rock ’n’ Roll, sondern auch ein King of Schmerz und Selbst­zerstörung – wie Gahan selbst. „Ich denke, Elvis war auch ein König der Schwindler“, antwortet er. „Er hat nie einen Song geschrieben. Aber er hat sie alle gesungen.“

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Presley ging zugrunde am Druck, den vielen Amphe­taminen und Peanut-Butter-Banana-Sandwiches. Gahan hat Überdosis, Suizid­versuch und Blasen­tumor überlebt. Seit er bei Depeche Mode eigene Songs beisteuert, sind wohl auch die Selbst­zweifel weg. Aus ihm ist sogar ein Golf-VII-Fahrer geworden, wie wir aus der TV-Werbung wissen. „Für mich ist die Stimme von Elvis genauso wichtig wie die Stimme von Mark Lanegan. Beide Stimmen erzählen mir etwas über das Leben“, sagt der 59-Jährige, als profitiere er enorm von den Erfahrungen der anderen ewigen Patienten, deren Lieder ihm so viel bedeuten.

Es überrascht nicht, dass Gahan einen blutigen Blues wie „I Held My Baby Last Night“ von Elmore James interpretiert oder „Shut Me Down“, das sinistere Surf­punk­stück des Nick-Cave-Weg­gefährten Rowland S. Howard. Doch warum ausgerechnet dieses durch den jahre­langen Dauer­einsatz ziemlich ausgelaugte „Always on My Mind“? Für Gahan funktioniert der Song als „Buchstütze“. Mit ihm endet das Album. Das Lied ist eine dringende Bitte. „Vielleicht habe ich dich nicht so gut behandelt, wie ich es hätte tun sollen. … Sag mir, dass deine süße Liebe nicht gestorben ist. Gib mir noch eine Chance“, singt er und man ahnt: So klingt jemand, der sich nach Erlösung und Vergebung sehnt.

Martin Gore (links) schrieb viele der Depeche-Mode-Songs, die Dave Gahan singt.

Martin Gore (links) schrieb viele der Depeche-Mode-Songs, die Dave Gahan singt.

„Musik ist für mich immer ein Weg, um eine Verbindung zu spüren oder eine Erklärung zu finden, ein Weg, um dazu­zugehören“, erzählt Gahan. „Diese Lieder zu singen und in ihnen zu leben, tröstet und beruhigt mich.“ In einem Interview mit dem „New Musical Express“ sagte er: „Ich habe mich beim Singen dieser Songs wohler gefühlt als bei vielen von Martins Songs oder meiner eigenen.“ Martin Gore ist bei Depeche Mode der Haupt­song­schreiber.

Wie kann das sein? „Lassen Sie es mich erklären“, antwortet Gahan. Wie oft bei Depeche Mode singe er auch auf „Imposter“ die Worte von jemand anderem. Der Unterschied aber sei: Diese Covrversionen kenne er seit 20, 30 Jahren. Er habe viel Zeit mit ihnen verbracht. Sie seien ihm deshalb vertrauter als manch ein neues Stück, das Gore ihm vorlegt. Manchmal dauere es Jahre, bis er sich mit einem Depeche-Mode-Song völlig wohlfühle, obwohl er ihn doch auf der Bühne jeden Abend singe. „Und dann ergibt er für mich plötzlich einen Sinn.“

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Was ist mit Depeche Mode? Seit 1993, seit „Songs of Faith and Devotion“, hat die Band ihre Alben im Vier­jahres­rhythmus veröffentlicht. „Spirit“, die bisher letzte Aufnahme, erschien 2017. Der Zyklus ist nun unterbrochen, womöglich auch, weil Gahan eine Zeit lang nicht wusste, ob es überhaupt weitergehen kann.

Die „Global Spirit“-Tour dauerte drei Jahre

Die „Global Spirit“-Tournee, die am 25. Juli 2018 in Berlin endete, hätte für ihn ewig dauern können. Drei Jahre hatte er mit seinen Depeche-Mode-Freunden verbracht, das Album aufgenommen und weltweit 130 Konzerte gegeben. „Ich fühlte mich in Höchst­form“, sagt er. Besser habe er nie performt. Er wollte am liebsten nicht loslassen. Doch dann, etwa sechs Monate später, ergriff ihn ein Gefühl der Leere, was nicht ungewöhnlich sei nach langen Tourneen. „Vielleicht bin ich damit fertig“, dachte er auf einmal. „Ich hatte das Gefühl, dass ich das nicht mehr machen will.“

Erst durch „Imposter“ änderte sich seine Stimmung. Schon der Prozess der Song­auswahl wirkte auf ihn wie eine Befreiung. „Rich Machin von den Soul­savers kam auf die Idee, dass wir uns die Platten anderer Leute anhören sollten“, erzählt der Brite. Machin schlug auch vor, die Namen der Künstler aufzu­schreiben, die man vielleicht covern könnte. „Als wir anfingen, diese Listen zu erstellen, wurde mir klar, wie sehr ich Musik liebe.“

Ist Dave Gahan, der schwarze Schwan, also wieder zurück?

„Ich denke schon.“

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RND

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