Die Biennale setzt auf die Kraft der Träume

Werke von Ashley Hans Scheirl auf der Kunstbiennale im österreichischen Pavillon.

Im österreichischen Pavillon: Werke von Ashley Hans Scheirl auf der Kunstbiennale Venedig.

Venedig. Das Portal ist verschlossen. Vor dem Eingang des russischen Pavillons stehen Wachleute. Sie sollen verhindern, dass Parolen an das Ausstellungsgebäude gesprüht werden. Als der ukrainische Schauspieler Alexej Judnikow sich eine Putin-Maske aufsetzt und vor dem Gebäude eine Performance versucht, wird er von Carabinieri vom Platz begleitet.

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In den vergangenen Jahren war der russische Pavillon auf der internationalen Kunstbiennale in Venedig immer ein Seismograf dafür, was in Putins Reich noch geht. Wie viel Freiheit wurde der Kunst zugestanden? Jetzt geht nichts mehr. Der Pavillon ist leer. Ein paar Holzbretter lehnen an den Wänden. Mehr gibt es durchs Fenster nicht zu sehen. Die Kuratoren und Kuratorinnen haben nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine hingeschmissen. „Es gibt keinen Platz für die Kunst, wenn Zivilisten unter dem Beschuss von Raketen sterben“, schrieb Alexandra Sukhareva aus dem Kuratorenteam auf Facebook.

Nun findet die 59. internationale Kunstausstellung ohne Russland statt. Wegen Corona mit einem Jahr Verspätung sind in Venedig unter der Regie der italienischen Kuratorin Cecilia Alemani bis Ende November Arbeiten von 213 Künstlerinnen und Künstlern zu sehen. Insgesamt 1433 Werke werden in den nationalen Pavillons in den Giardini, auf dem Gelände der alten Schiffswerft, den Arsenale, und an zahlreichen anderen Orten in der Stadt gezeigt. Das diesjährige Motto der neben der Documenta in Kassel größten internationalen Ausstellung für zeitgenössische Kunst lautet „Il Latte dei Sogni“ – die Milch der Träume. Es ist eine Referenz an das gleichnamige Kinderbuch der 2011 verstorbenen surrealistischen Malerin und Autorin Leonora Carrington. In dem Buch appelliert die Künstlerin an die Vorstellungskraft der Menschen, an den Willen, die Welt immer wieder von Neuem zu erfinden.

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Ein Motto, das nach zwei Jahren Pandemie wie ein Aufbruch klingt. Eine neue Körperlichkeit, ein verändertes Verhältnis von Mensch und Technik und vor allem die Frage nach einem nachhaltigen Umgang des Menschen mit der Natur sind Schlüsselthemen, die die Kuratorin verhandelt wissen wollte. Dazu hat sie mehrheitlich Frauen (80 Prozent) eingeladen. Auch die Goldenen Löwen gingen an Frauen: Mit der Britin Sonia Boyce und der US-Amerikanerin Simone Leigh haben zwei international gefeierte schwarze Künstlerinnen die wichtigsten Preise der Biennale erhalten. Einen Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk erhielt die Düsseldorfer Künstlerin Katharina Fritsch.

Wie schwierig es ist, in Kriegszeiten der Macht der Träume zu vertrauen, kann man nur wenige Meter entfernt vom russischen Pavillon erkennen. Dort wurde als spontane Reaktion auf Putins Krieg eine „Piazza Ucraina“ eingerichtet. Ein gut fünf Meter hoher Turm aus Sandsäcken ragt dort in die Höhe und erinnert an die Schützengräben entlang der Frontlinien. Umgeben ist die Skulptur von hölzernen Säulen, auf denen Drucke ukrainischer Künstlerinnen und Künstler angebracht sind, die sich zum Teil noch in ihrem Heimatland befinden. Es sind Arbeiten, die Tod, Misshandlung und Vergewaltigung thematisieren, den ganzen Albtraum des Krieges.

Dass die Ukraine trotzdem in ihrem Pavillon vertreten ist, verdankt der Künstler Pavlo Makov dem Mut von Maria Lanko. Sie ist eine der drei Kuratoren des ukrainischen Auftrittes in Venedig. Als sie am 24. Februar, als der Krieg begann, in Kiew die ersten Explosionen hörte, stieg sie in ihr Auto, in dem die 78 Bronzen von Makovs Installation in Kisten verpackt lagen, und fuhr los in Richtung Venedig. Drei Wochen brauchte sie.


Den Deutschen Pavillon gestaltet die in Berlin lebende Künstlerin Maria Eichhorn.

Den Deutschen Pavillon gestaltet die in Berlin lebende Künstlerin Maria Eichhorn.

Nun hängen die grünlich schimmernden Trichter in zwölf sich zu einer Spitze nach oben verjüngenden Reihen an einer grauen Wand. In den obersten Trichter rinnt aus einem Rohr Wasser, das dieser durch zwei Öffnungen nach unten an zwei weitere Trichter weiterleitet. Je mehr Öffnungen bedient werden müssen, umso spärlicher ist der Strahl. „Brunnen der Erschöpfung“ hat Makov die ­In­stal­lation genannt.

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„Mit dem Krieg hat sich die Bedeutung dieser Arbeit verschoben“, sagt Co-Kurator Borys Filonenko. Die Menschen seien erschöpft, zum Teil kaum noch in der Lage, aus der Ukraine zu fliehen. Als das Werk Mitte der Neunzigerjahre entstand, wollte Makov seine Installation eher als Kritik an der Trägheit der Menschen in dem Land verstanden wissen. Keiner wollte das Werk haben, niemand gab Geld. Erst 20 Jahre später stieß es auf Interesse, erhielt eine ökologische Botschaft: Klimawandel und die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen – „die Ermüdung der Erde eben“, sagt Filonenko. Diese globale Thematik machte das Kunstwerk für die Biennale attraktiv. Und jetzt? Seit dem 24. Februar ist wieder alles anders.

Drinnen ist alles leer: Der geschlossene Russische Pavillon auf der Kunstbiennale Venedig.

Drinnen ist alles leer: Der geschlossene Russische Pavillon auf der Kunstbiennale Venedig.

Der Krieg verschiebt die Bedeutungsebenen von Kunstwerken. Der australische Beitrag etwa, konzipiert von dem Soundkünstler Marco Fusinato, ist eine mit den Rückkopplungen einer Elektrogitarre erzeugte Klangcollage. Sie wird rhythmisch mit Bilderfolgen unterlegt durch ­Streams aus verschiedenen Internetplattformen. Eine konkrete Botschaft war damit eigentlich nicht verbunden. Doch es bedarf kaum der vereinzelten Kriegsbilder, die gelegentlich dazwischengeschnitten sind, um in dieser Hölle aus ohrenbetäubendem Krach zu erahnen, wie es klingen mag, wenn richtige Bomben fallen.

Nicht weniger verstörend ist der Beitrag aus Malta. In einen abgedunkelten Raum scheint Feuer aus der Nacht des Himmels zu fallen, eine Anspielung auf die Apokalypse. Wie Lava tropft verflüssigtes Eisen von der Decke und erkaltet zischend auf einer Wasseroberfläche. Die Zuschauerinnen und Zuschauer sind lediglich durch ein Gitter davon getrennt.

Weit weniger ergreifend wirkt da der deutsche Pavillon. Die Berliner Künstlerin Maria Eichhorn setzt sich mit der totalitären Geschichte des Gebäudes auseinander. Das haben schon andere wie Anne Imhof vor ihr getan. Der 1909 mit ionischen Säulen nach antikem Vorbild errichtete Pavillon wurde 1938 von den Nazis zu einer martialischen Architektur mit vier mächtigen, rechteckigen Pfosten im Eingangsbereich umgebaut. Eichhorn hat die Spuren dieser Operation offengelegt, indem sie an mehreren Stellen den Putz abschlagen und das Fundament teilweise freilegen ließ. Eine dicke Publikation dokumentiert diese architekturhistorischen Nachforschungen. Führungen zu Orten des antifaschistischen Widerstandes und der Deportation und Ermordung der jüdischen Bevölkerung während der deutschen Besatzung ergänzen den Beitrag. Eine politisch-pädagogisch zweifellos wichtige, künstlerisch-ästhetisch aber eher enttäuschende Arbeit.

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