Ein Museum unter dem Damoklesschwert der Zensur

Ein Mann sitzt während eines Presserundgangs im Museum M+ in Hongkong.

Ein Mann sitzt während eines Presserundgangs im Museum M+ in Hongkong.

Peking. Die kühne Vision des am Freitag eröffnenden M+ ist es laut Eigenaussage, zur führenden Kulturinstitution Ostasiens zu avancieren. Die Startvoraussetzungen für das Hongkonger Megamuseum waren zunächst auch exzellent: Die Architektur vom Schweizer Architektenbüro Herzog & de Meuron ist grandios, der Blick auf die Skyline Hongkongs atemberaubend. Mit 68.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche ist das M+ zudem riesiger als das altehrwürdige MoMa in New York. Und die Standortwahl schien vor wenigen Jahren noch mehr als einleuchtend: Die einst britische Kronkolonie ist der wichtigste Hub für Kunstsammler in ganz Asien.

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Doch spätestens seit letztem Jahr hat sich die Ausgangslage grundlegend verändert. Peking hat der Finanzmetropole ein drakonisches Gesetz für nationale Sicherheit aufgezwungen, welches die Zivilgesellschaft Hongkongs radikal ausradiert hat. Nicht nur wurden Politikerinnen und Politiker sowie Aktivistinnen und Aktivisten verhaftet, sondern auch der freie Austausch von Ideen unterbunden: Bibliotheken säuberten ihre Bücherbestände, Lehrerinnen und Lehrer ihre Unterrichtsmaterialien, Kinos ihre Filmvorstellungen.

Kann in einem solchen politischen Klima freie Kunst gedeihen?

Das Museum hat 68.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche.

Das Museum hat 68.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche.

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Foto von Ai Weiwei darf nicht gezeigt werden

Am Donnerstag lieferte ein hochrangiger Regierungsbeamter Hongkongs die Antwort gleich mit: „Die Eröffnung des M+ bedeutet nicht, dass künstlerischer Ausdruck über dem Gesetz steht. Das tut es nicht“, sagte Henry Tang, Leiter des West Kowloon Cultural District. Schon zuvor kritisierten die pekingfreundlichen Politiker Hongkongs einzelne Kunstwerke des neuen Museums: Diese würden gegen das nationale Sicherheitsgesetz verstoßen und „Hass“ gegen China schüren. Unter anderem geht es um ein ikonisches Foto vom chinesischen Dissidenten Ai Weiwei, der – als ohnmächtige Form des Protests – seinen erhobenen Mittelfinger vorm Pekinger Platz des Himmlischen Friedens porträtierte.

Die Behörden haben am Donnerstag nun klargemacht, dass ebenjenes Foto nicht ausgestellt werden dürfe. „Ich habe keine Zweifel daran, dass das MoMa in New York wahrscheinlich auch Kunstwerke in seinen Archiven hat, die nicht ausgestellt werden, weil sie in der heutigen Umgebung politisch nicht mehr akzeptabel wären“, erklärte der Regierungsbeamte Tang.

Blick auf das Museum und die Skyline von Hongkong.

Blick auf das Museum und die Skyline von Hongkong.

Für den Schweizer Uli Sigg dürften die jüngsten Entwicklungen mehr als ernüchternd sein. Der 75-jährige Kunstmäzen – und einstige Botschafter in Peking – begeisterte sich als einer der Ersten für chinesische Gegenwartskunst. In den letzten viereinhalb Jahrzehnten häufte er die umfassendste Sammlung weltweit an. Rund 1500 Werke von 320 Künstlern hat Sigg bereits 2012 dem Museum M+ vermacht – seine Ausstellung ist das Highlight der neuen Kulturinstitution.

„Natürlich ist Hongkong nicht mehr, was es zum Zeitpunkt der Schenkung war. Damals wurde mir von oberster Stelle bestätigt, dass in Hongkong uneingeschränkt Kunstfreiheit bestehe. Dies ist heute natürlich nicht mehr in derselben Form der Fall“, sagte der Luzerner in einem aktuellen Interview mit der „NZZ“.

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Fünfeinhalb Jahre Haft für das Anstimmen eines Liedes

Man muss nur einen Blick nach Festland-China werfen, um zu sehen, wie die Staatsführung dort in der letzten Dekade allein das Gedeihen nicht gefälliger Kunst im Keim erstickt. Wer das Nationale Kunstmuseum in Peking besucht, kann auch als Laie bloß anhand der Jahreszahlen das jeweilige politische Klima erahnen: Während in den Achtzigern, Neunzigern und frühen Nullerjahren mit abstrakten Formen und Ambiguitäten experimentiert wurde, sind die ausgestellten Exponate unter der Herrschaft Xi Jinpings oftmals auf die Spitze getriebene Spielereien des sozialistischen Realismus: Als Motive dienen etwa glückliche Familien vor vollen Supermarktregalen, Arbeiter in modernen Hafenanlagen oder die futuristische Skyline von Shanghai.

Subversive Kunstformen in öffentlichen Nischenräumen können sich kaum mehr entfalten: Jede Liedzeile eines Konzerts, jede ausgestellte Fotografie muss immer erst vom örtlichen Kulturbüro genehmigt werden. Selbst Straßenmusikerinnen und -musiker dürfen ohne Erlaubnis offiziell keine Musik aufführen.

In Hongkong ist es längst noch nicht so weit, die Kunstfreiheit genießt nach wie vor einige Privilegien. Doch die politische Freiheit ist dafür längst auf dem Niveau von Festland-China, wie jüngst am Donnerstag erneut bewiesen wurde: Der 31-jährige Aktivist und ehemalige Lieferkurier Ma Chun-man wurde aufgrund des nationalen Sicherheitsgesetzes verurteilt. Sein Verbrechen: Er hatte „sezessionistische“ Parolen angestimmt, darunter: „Befreit Hongkong, die Revolution unserer Tage!“ Fünfeinhalb Jahre Haft für das Anstimmen eines Liedes.

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