Fabian Hinrichs schlägt René Pollesch als Nachfolger von Chris Dercon vor
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Der Schauspieler Fabian Hinrichs.
© Quelle: dpa
Sie haben bereits vor einem Jahr über die Intendanz Chris Dercons gesagt: „Sie wird vorübergehen, und nichts davon wird bleiben.“ Fühlen Sie sich jetzt nach seinem Rücktritt letzte Woche bestätigt?
Fabian Hinrichs: Nicht ganz, denn paradoxerweise bleibt nur die Negation von Seiendem: das Nichts. Das Nichts in den Kassen, das Nichts im Zuschauerraum, das Nichts im Schauspielensemble. Haben Sie einmal „Der Revisor“ von Gogol gelesen? Ein Hochstapler als Projektionsfläche provinzieller Aufstiegsphantasien. Und das ganze provinzielle Gernegroß-Kabinett von Gogol ohne erkennbare Kompetenzen außer geschicktem Narzissmus-Consulting findet man auch in dieser Affäre: ein Kulturstaatssekretärchen, der sich wie das verhält, was er im Herzen ist: ein Werbekaufmännchen. Ein Bürgermeister, der diesen Vertrag aus Luftschokolade wie ein Vollzugsbeamter einfach abschließt. Und schließlich der Revisor Dercon selbst, der seinen eigenen, narzisstischen Fantasmen erliegt und dem nun nur noch bleibt, die letzte Kutsche raus zu erwischen. Zurück bleibt Zerstörung und ein unglaubliches und nicht hinzunehmendes Schweigen seitens der Repräsentanten dieses teuren und schmerzhaften Fiaskos. Man darf die Verantwortlichen nicht einfach so davonkommen lassen.
Sie gehörten bis 2005 zum Volksbühnenensemble. Das Haus stand einmal für Neuanfang – nun werfen einige Kritiker dem Kreis der Castorf-Getreuen vor, eine Erneuerung der Volksbühne verhindert zu haben. Wie kommentieren Sie das?
Es stimmt, ich gehörte bis 2005 dem Ensemble an, danach wurde ich von Castorf entlassen, konnte aber ab 2010 problemlos alleine auf der Bühne auftreten mit den Produktionen, die ich mit René Pollesch zusammen gemacht habe. Ich bin also jemand, der dazugehört und der nicht dazugehört. Von meinem Selbstverständnis gehörte ich zur Volksbühne, deren Intendant Frank Castorf war. Und das ist auch mein Punkt: dieser ungemein reduktionistische Blick einiger Teile des Feuilletons letztes Jahr auf das Theater Volksbühne. Die Volksbühne, das war ja nicht Frank Castorf und das waren auch nicht seine Inszenierungen mit den Anderen als Rest, als Garnitur. Seine künstlerischen Meriten und enormen Wirkungen und sein großzügiges Verhalten brauche ich hier nicht nochmals hervorheben, es besteht keine Gefahr, dass all dies der Öffentlichkeit vorenthalten werden würde, dafür wird schon gesorgt. Aber ich musste mich und muss doch sehr wundern über das Mythologisieren der Geschichte der Volksbühne als eine Geschichte eines großen Mannes. Was ist mit den turmhohen von Castorf geförderten oder auch nur geduldeten Regisseuren und Schauspielern und Schauspielerinnen und Bühnenbildnern, die ganz andere poetische Fragen hatten und haben und auch Vertreter einer anderen Ästhetik waren und sind als Castorf? Die sorgten doch für das immer geforderte Neue und für aufregende Entwicklungen. Und nun der Bezug zu Ihrer Frage: das immer wieder von Werbekaufleuten geforderte Neue, die Osmose verschiedenster Kunstgattungen, das gab es also längst an der Volksbühne, insbesondere außerhalb von Castorfs Inszenierungen, das fand doch statt. Falls man das, was Dercon und sein Team vorhatten, überhaupt ein Programm nennen kann, so war dieses ja nun wirklich kein Aufbruch ins Neue, Risikoreiche, Verstörende, Befremdende- das hätten sie anscheinend gerne, aber wenn wirklich so das Neue im Theater aussähe, dann gäbe ich dem Theater als Kunstform insgesamt noch fünf Jahre bis zum vollständigen Erlöschen. Es war doch leider lediglich Altbekanntes, schlecht Abgehangenes und in jeder Hinsicht Mediokres vorzufinden. Und das war eben vorher bereits sichtbar für jeden, der es sehen wollte.
Das Theatertreffen, bei dem Sie Juror für den Kerr-Preis sein werden, wird im Mai von einer der letzten Castorf-Premieren an der Volksbühne eröffnet – „Faust“ wird allerdings auf Wunsch des Regisseurs nicht in der Volksbühne gezeigt. Erwarten Sie einen Eklat?
Nein, warum? Es ist natürlich teuer, aber ich verstehe Frank vollkommen. Und dieser Turbo-Zerfall Dercons ist nun doch in dieser Hochgeschwindigkeit kaum erwartbar gewesen, auch der letzte Ironiker durfte frühestens in einem Jahr damit rechnen.
Was erhoffen Sie sich jetzt für die Zukunft der Volksbühne?
Ich wünsche der Volksbühne, dass ein Philosophenkönig erscheint und jetzt weise Personalentscheidungen trifft. Und mir selbst wünsche ich, dass ich da wieder auftreten kann, es gibt kein auratischeres Theater in Europa.
Kann nach all dem Geschehen überhaupt ein einzelner Mensch die Rolle des Volksbühnen-Intendanten ausfüllen?
Die nachhaltigste und richtige Lösung des Nachfolgeproblems wäre René Pollesch samt wohlwollendem Geschäftsführer. Das wäre das Neue. Bitte keine Diktatur des Mittelmaßes!
Von Nina May/RND