„Repräsentative Ostbauten fallen schneller der Spitzhacke zum Opfer als Westgebäude“
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Der Historiker Prof. Dr. Martin Sabrow ist Senior Fellow und früherer Leiter des Leibniz-Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam.
© Quelle: ZFF
Berlin. Am 14. September sollen die Bagger zum Abriss des unter Denkmalsschutz stehenden Generalshotels auf dem Gelände des Berliner Regierungsflughafens in Schönefeld anrollen. Martin Sabrow, Historiker und früherer Leiter des Leibniz-Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam, plädiert für ein Moratorium.
Herr Professor Sabrow, der unmittelbar drohende Abriss des unter Denkmalschutz stehenden Generalshotels auf dem Gelände des Berliner Regierungsflughafens in Schönefeld sorgt für Proteste bei Wissenschaftlern, Architekten und Denkmalschützern. Wie sehen Sie den Vorgang?
Kurz gesagt: Die Verantwortlichen beim Bund sollten nicht übereilt die vorliegende Abrissgenehmigung aus dem Jahr 2011 durchsetzen. Der Abriss ist sachlich nicht zwingend, da sich seitdem die geplanten Nutzungsgrundlagen völlig geändert haben. Der hier vorgesehene Regierungsterminal wird aus Kostengründen nicht gebaut. Und statt des von den Sowjets gebauten, historisch aussagekräftigen Generalshotels an dieser Stelle Flugzeuge zu parken – darüber sollten alle noch einmal in Ruhe nachdenken und den Zeugniswert des in seiner Nutzungsgeschichte einzigartigen Gebäudes gegen den Nutzwert seines Abrisses abwägen.
Was macht den Wert dieses Gebäudes aus?
Das Bauwerk ist ein bedeutendes zeithistorisches Zeugnis für eine frühe Phase der Systemkonkurrenz in der Zeit der sowjetischen Besatzung auf der einen Seite und der westalliierten Besatzung auf der anderen Seite. Das von 1947 bis 1950 erbaute Generalshotel ist ein opulenter Prachtbau in klassizistischem Stil, gleichsam Ausdruck eines sozialistischen Traditionalismus in der Nachkriegszeit. Es sollte gegen die Kulturbarbarei der NS-Zeit ein besseres Deutschland im Geist des Humanismus symbolisieren und zugleich die Macht der neuen Ordnung zum Ausdruck bringen, die in der Lage war, Repräsentationsbauten in einer Zeit zu errichten, in der in allen vier Sektoren Wohnungsnot und Hunger herrschten.
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Das ehemalige Generalshotel am früheren Flughafen Schönefeld, dem heutigen Flughafen Berlin Brandenburg (BER). Die alte Villa auf dem Gelände des BER diente einst als Empfangsgebäude für Repräsentanten der Sowjetunion und Staatsgäste der DDR. Sie soll abgerissen werden.
© Quelle: Patrick Pleul/dpa
Der normale DDR-Bürger bekam das Gebäude jedoch kaum zu Gesicht.
Das stimmt. Allerdings konnte die DDR das Niveau, das dieser Bau ausstrahlte, nicht lange halten, nachdem sie es von der sowjetischen Besatzungsmacht übernommen hatte. Für die 1990er Jahre war eine Generalrekonstruktion geplant. Dazu kam es aus bekannten Gründen nicht mehr. Hier wurden Fidel Castro, Josip Broz Tito, Louis Armstrong, Che Guevara, Nikita Chruschtschow, Leonid Breschnew oder Jurij Gagarin empfangen. Und 1981 auch Bundeskanzler Helmut Schmidt.
Das ICC, das als Gegenmodell zum Palast der Republik gebaut wurde, steht noch. Der Palast ist weg.
Prof. Martin Sabrow
Historiker
Warum aber ist der geplante Abriss so alarmierend?
Wir stehen mitten in einer Neugewichtung der deutschen Vergangenheit. Nach einer dreißigjährigen Phase der Diktaturaufarbeitung und der Umbrucherfahrungen führen wir Debatten, was, wie und mit welcher Gewichtung die beiden deutschen Gesellschaften der Teilungszeit bewahrt werden sollen. Tatsächlich erleben wir ja, dass repräsentative Ostbauten schneller der Spitzhacke zum Opfer fallen als Westgebäude. Berlin ist dafür ein gutes Beispiel. Das ICC, das als Gegenmodell zum Palast der Republik gebaut wurde, steht noch. Der Palast ist weg.
Stimmt also, was Linke-Politiker Gysi zum Abriss des Generalshotels sagt: „Es ist ja kein Gebäude aus München, nur aus dem Osten, da geht das.“?
Soweit er eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber dem DDR-Bauerbe durch Bundesbehörden kritisiert, hat Gysi recht. In dem Moment, wo er diese Haltung zu einem gewollten Handlungsziel einer westdeutsch geprägten Politik nach 1990 macht, überzieht er.
Leitend war in den 1990er Jahren und auch noch in den Nullerjahren parteiübergreifend das Konzept der Stadtreparatur durch Wiederherstellung des Verlorenen, Vergessenen und Vernichteten. Die Stadtsilhouetten in Potsdam, Berlin, Dresden, Leipzig und anderswo waren dem Krieg, dem Neuaufbau und der sozialistischen Umgestaltung zum Opfer gefallen. Die Bemühungen um städtebauliche Heilung sind heute vielleicht am stärksten in Potsdam sichtbar – und dort ist die DDR-Moderne dann schlecht weggekommen.
Nicht nur dort, oder?
Die sozialistische Architektur und Denkmallandschaft ist nicht so flächendeckend abgetragen worden, wie man heute denkt. Aber die Sichtbarkeit der Ostmoderne schwindet, und das gesellschaftliche Bewusstsein für das Bauen im Sozialismus reduziert sich zunehmend auf Mauer und Plattenbau.
Im Falle des Generalshotels wird von den zuständigen Bundesministerien der Symbolwert des Gebäudes nicht angemessen wahrgenommen. Es ist aber unsere Aufgabe als Zivilgesellschaft, darauf zu bestehen, dass die Brüche der deutschen Geschichte auch im Stadtbild sichtbar bleiben sollten.
Das Generalshotel steht jedoch im Hochsicherheitsbereich, ist also gar nicht öffentlich zugänglich. Kann es dann nicht auch ganz weg?
Da es hier keinen Zeitdruck gibt, ergibt sich Raum für die Suche nach Alternativen. Denn es steht etwas auf dem Spiel – wir sind dabei, ein Stück unseres städtischen zeithistorischen Gedächtnisses zu verlieren. Es gab in den 1990er Jahren diesen Furor des Abrisses, der als Diktaturüberwindung seine politische Berechtigung hatte. Bald aber wurde erkannt, dass selbst die Mauer ein Bauwerk ist, das verdient, nicht dem Vergessen preisgegeben, sondern erhalten zu werden – als Erinnerung, als kritische Aufklärung und kritische Aneignung von Denkmalen der Macht.
Was meinen Sie genau?
Denkmale sind keine Wohlfühlorte, sie sollen erinnern, irritieren, anstoßen. Anstöße geben. Kritische, auch ironische Auseinandersetzung mit alten Machtsymbolen hilft uns weiter als die Abrissbirne. Am einstigen Grenzübergang Dreilinden begrüßt auf einem hoch aufragenden Sockel ein rosafarbener Schneelader die Gäste Berlins, wo früher ein sowjetischer Panzer drohte, und in Prag wurde ein pinkfarben umgestaltetes Panzerdenkmal zum sprechenden Ausdruck eines revolutionären Epochenwechsels: gut so!
Hat sich seit der Abrissgenehmigung für das Generalshotel die Debatte darüber, wie mit ostdeutscher Geschichte umgegangen wird, verändert?
Ja, sie hat sich weiterentwickelt. Überall im ehemaligen sowjetischen Einflussbereich fanden nach 1990 Säuberungswellen statt, um die kommunistische Vergangenheit auch symbolisch zu überwinden. In Polen wurde 2017 sogar ein Dekommunisierungsgesetz beschlossen, das die Entfernung „demoralisierender“ Denkmale und Namen im öffentlichen Raum vorsieht, um jede positive Bezugnahme auf die kommunistische Vergangenheit zu unterbinden.
Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ist unbefangener und vielschichtiger geworden.
Prof. Martin Sabrow
Historiker
In Deutschland verlief die Entwicklung sehr viel uneinheitlicher. In Berlin wurde das 19 Meter hohe Lenindenkmal zunächst aus Friedrichshain entfernt und vergraben, dann aber wieder ausgegraben, um nun im Museumsdepot ein Schattendasein zu führen. In Chemnitz hat man den kantigen Marx-Kopf, den „Nischel“, einfach wieder zurückgebracht. Das hat auch etwas mit dem kommunalem Selbstverständnis zu tun, das sich den herrschenden Trends der postkommunistischen Aufarbeitung entzieht. Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ist unbefangener und vielschichtiger geworden.
Sind Abrissdebatten wie die aktuelle nicht auch eine Generationenfrage?
Zweifellos. In der allmählich verstummenden Aufbaugeneration der DDR war das Gefühl verbreitet: Was jetzt verschwindet, das war unsere Lebensleistung. Wir haben hier etwas geschaffen, was vielleicht heutigen Ansprüchen nicht mehr standhält, aber doch seine eigene Dignität besaß und unser Leben geprägt hat. Das ist verständlich. Zugleich müssen sich nachwachsende Generationen ihren Platz schaffen, Neues zu bauen. Politik hat die Aufgabe, beiden Sichtweisen Raum zu lassen und Geltung zu verschaffen.
Ihre Empfehlung in Sachen Generalshotel?
Ich finde, wir müssen auch die unterschiedlichen Ansprüche zu ihrem Recht kommen lassen. Das würde jetzt in diesem Fall bedeuten, dass auf dem Flughafen Schönefeld ein Gebäude nicht ohne Not abgerissen wird, das bis zur weiteren Klärung gut stehen bleiben kann. Ich plädiere für ein Moratorium, um in Ruhe zu prüfen, ob sich für das Generalshotel eine sinnvolle Nutzung finden lässt, dass seinem Denkmalwert ebenso Rechnung trägt wie den funktionalen Bedürfnissen unserer Zeit.