Homophobie in Hollywood: Was die Schwulenfeindlichkeit der Kinoindustrie mit uns Zuschauern zu tun hat

Über Sexualität wird hier besser geschwiegen: Eine Oscarstatue vor dem Dolby Theatre, wo die Oscars vergeben werden.

Über Sexualität wird hier besser geschwiegen: Eine Oscarstatue vor dem Dolby Theatre, wo die Oscars vergeben werden.

Die Liebesgeschichte vor Bergkulisse war herzzerreißend. Die beiden Liebenden durften nicht zueinander kommen, sie wären gesellschaftlich geächtet worden – und sie lösten auch noch im Hollywood des Jahres 2006 einen veritablen Skandal aus: Einige Mitglieder der Oscar-Academy weigerten sich, den gleich achtfach nominierten Film „Brokeback Mountain“ überhaupt zu sichten.

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Die beiden, die sich in Ang Lees Film „Brokeback Mountain“ auf der Leinwand liebten, waren Männer, zumeist schweigend leidende Cowboys. Zudem gab es im Oscar-Jahr 2006 noch ein paar andere Werke mit queeren Helden („Capote“, „Transamerica“). Das war manchem altgedienten Academy-Mitglied wohl ein bisschen zu schwul. Die Homophobie, die Feindseligkeit gegenüber Homosexuellen, drang in der angeblich so liberalen US-Kinogemeinde wieder mal an die Oberfläche.

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Academy will mehr Diversität

Ob solch eine offene Ablehnung heute noch möglich wäre? Schwer vorstellbar. Die Academy of Motion Picture Arts and Sciences arbeitet seit ein paar Jahren mit Nachdruck daran, Anschluss an die (nicht nur) sexuell bunte Gegenwart zu finden. Sie lädt vorzugsweise Mitglieder ein, die die Diversität in den eigenen Reihen stärken.

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Das lässt sich auch an den nominierten Filmen 2021 ablesen: Darunter finden sich gesellschaftsrelevante Filme etwa über die schwarze Bürgerrechtsbewegung („The Trial of Chicago 7“, „Judas and the Black Messiah“) oder über die Selbstermächtigung einer jungen Frau gegen übergriffige Männer („Promising Young Woman“). Homosexuelle Lebenswelten sind nicht darunter.

Das mag Zufall sein, doch in jedem Fall ist die Schwulenfeindlichkeit in der US-Kinoindustrie nach wie vor virulent. Jüngst bemerkte die Schauspielerin Kate Winslet, dass viele Kollegen und Kolleginnen ihre wahren sexuellen Neigungen aus Angst vor Nachteilen verbergen würden. Sie müssten befürchten, in der „Schwulenschublade“ zu landen.

Macht der Unterdrückung

Man muss nur kurz in die Hollywoodgeschichte zurückblenden, um die ganze Macht der Unterdrückungsmechanismen zu verstehen: Leben wurden – und werden offenbar immer noch – im Geheimen gelebt. Ein Paradebeispiel in der goldenen Hollywoodstudiozeit war Rock Hudson, Inbegriff amerikanischer Männlichkeit.

Ihm verpasste sein Hollywoodagent Henry Wilson einen männlichen Look – inklusive der Art, wie er rauchen und mit tiefer Stimme sprechen sollte. Schließlich stellte Wilson ihm sogar eine Ehefrau an die Seite (seine Sekretärin). Erst als Hudson 1985 an Aids starb, wurde seine Homosexualität publik. Ein Outing zu Lebzeiten wäre damals unvorstellbar gewesen.

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Klar gibt es heute eine Reihe von Stars, die offen homosexuell leben, Jodie Foster zum Beispiel. Doch Foster war schon unangreifbar, als sie 2013 in einer launigen Golden-Globe-Rede für ihr Lebenswerk über ihre sexuelle Orientierung sprach. Sie hatte allerdings auch nie wirklich ein Geheimnis daraus gemacht, hatte diese aber auch nicht eigens betont.

„Man zahlt einen Preis“

Rupert Everett hat nach eigenen bitteren Erfahrungen noch 2018 in der „Süddeutschen Zeitung geklagt: „Man zahlt einen Preis, wenn man offen mit seiner Homosexualität umgeht.“ Ihm seien danach kaum mehr ernsthafte Rollen angeboten worden. Und jetzt sei die Homophobie sogar wieder am Erstarken.

Sein Kollege Elliot Page kämpfte lange mit seinem Coming-Out. Als er 2007 mit „Juno“ berühmt wurde, damals noch unter dem Namen Ellen Page, rieten ihm die Leute in der Filmindustrie, keinesfalls über seine Sexualität zu reden. Erst sieben Jahre später nahm er seinen ganzen Mut zusammen – inzwischen hat Page bekanntgegeben, dass er transgender sei.

Page kritisiert, dass heterosexuelle Schauspieler gelobt würden, wenn sie einen homosexuellen Charakter verkörperten. Andere formulierten es noch deutlicher: Schwulsein scheine als eine Art Krankheit oder Behinderung wahrgenommen zu werden und werde vor allem dann goutiert, wenn sie nur gespielt ist.

Spiegel der US-Gesellschaft

Da könnte was dran sein: Tom Hanks spielte den schwulen Anwalt in „Philadelphia“ (1993), Sean Penn den schwulen kalifornischen Bürgerrechtler „Milk“ (2008), Heath Ledger und Jake Gyllenhaal spielten die Cowboys in „Brokeback Mountain“, Annette Bening und Julianne Moore das lesbische Paar in „The Kids Are All Right“ (2010). Allesamt sind, soweit bekannt, heterosexuell. Die Reihe ließe sich fortsetzen.

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Nun ließe sich einwenden, dass Hollywood nichts anderes ist als ein Spiegel der US-Gesellschaft. Gleichgeschlechtliche Ehen in den USA sind erst 2015 in einem Grundsatzurteil des Obersten Gerichtshofs für verfassungsgemäß erklärt worden. Sogleich machten sich einzelne US-Bundesstaaten daran, die Entscheidung trickreich auszuhebeln – wogegen wiederum große Konzerne protestierten, darunter Unterhaltungsgiganten wie Disney, Time Warner oder Netflix, die sich gern als fortschrittlich preisen lassen.

Zu Disney gehört das Animationsstudio Pixar – und das brachte seine erste offen lesbische Zeichentrickfigur wann auf die Leinwand? Im Jahr 2020 in „Onward: Keine halben Sachen“. Und da stand die Bemerkung einer Polizistin über ihre Lebenspartnerin ursprünglich gar nicht im Drehbuch. Sie rutschte spontan hinein.

Dieser harmlose Satz hatte allerdings globale Folgen: In diversen arabischen Ländern wurde „Onward“ verboten, in der russischen Synchronisation die Bemerkung geändert.

Und damit werden auch die wirtschaftlichen Hintergründe der Homophobie deutlich: Hollywood produziert für ein weltweites Publikum und steckt in einen Film oft mehrere hundert Millionen Dollar. Die Verantwortlichen versuchen, jedes Risiko auszuschließen.

So lange die Vermarktung eines Films durch eine offen homosexuelle Figur Schaden nehmen könnte, muss wohl auch der künftige James Bond sich mit Frauen als Gespielinnen begnügen. Erst wenn die sexuelle Orientierung sowohl der Filmfigur als auch ihres Darstellers keine Rolle mehr spielt, dürfte sich daran etwas ändern.

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Man muss sich nicht unbedingt in autoritäre Länder begeben, um zu verstehen, dass die Zuschauer – also wir – darüber entscheiden, wie Sexualität dargestellt wird: Hollywood verkauft Träume. Actionstars, die auf Männer stehen, vergraulen immer noch pubertierende Jugendliche. Ein schwuler Frauenschwarm in einer romantischen Komödie könnte die Fantasie von Zuschauerinnen zerstören, dass dieser doch mal von der Leinwand zu ihnen herabsteigen möge.

Solche Überlegungen sind altbacken? Das kann kein vernünftiger Mensch glauben? Offenbar ist nicht nur das US-Publikum so engstirnig: Anfang Februar dieses Jahres entschieden sich 185 deutsche Schauspielerinnen und Schauspieler zu einem gemeinsamen Coming-out. Sie wollten ein Zeichen setzen gegen Vorurteile – und für mehr Diversität vor der Kamera und auf der Bühne. Einzeln hatten viele von ihnen das bis dahin nicht gewagt.

Den Oscar für den besten Film 2006 gewann dann doch das Rassismusdrama „L.A. Crash“. Heath Ledger und Jake Gyllenhaal als schwule Cowboys gingen leer aus.

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