Immer im Bilde

“Der Moment ist meine Beute“: Der österreichische Fotograf Stefan Draschan durchstreift Europas Museen – und stolpert über verblüffende Ähnlichkeiten zwischen den Bildern und den Menschen, die sie anschauen.

“Der Moment ist meine Beute“: Der österreichische Fotograf Stefan Draschan durchstreift Europas Museen – und stolpert über verblüffende Ähnlichkeiten zwischen den Bildern und den Menschen, die sie anschauen.

Immer auf der Jagd nach dem perfekten Moment im Museum: Fotograf Stefan Draschan

Immer auf der Jagd nach dem perfekten Moment im Museum: Fotograf Stefan Draschan

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Hannover. Mal ehrlich, die Bilder sind doch gestellt, oder?

Hand aufs Herz: Nein, niemals! Achten Sie doch selbst mal darauf, was man sieht, wenn man mit wachen Augen unterwegs ist. Es geht ums Wahrnehmen. Andere sehen das Gleiche wie ich, nehmen es aber nicht wahr. Ich mache dann halt ein Foto. Natürlich sind da auch viel Zeit und Geduld und Abwarten notwendig, ohne das geht es nicht. Wenn ich etwas entdecke, ist das häufig sehr poetisch. Das Ergebnis berührt mich, es lässt mich innehalten. Manchmal bekomme ich förmlich eine Gänsehaut.

Sie machen Fotos von Menschen, die in Museen schlafen, Menschen, die Kunstwerke berühren, und Menschen, die so aussehen wie die Bilder, vor denen sie stehen. Was fasziniert Sie so an Museen?

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In den heutigen Städten gibt es nur noch zwei Freiräume, öffentliche Parks und Museen. Der Rest wird komplett von Autos dominiert. Man hört Autos, sieht Autos, riecht Autos und wird, wenn man Pech hat, von einem Auto totgefahren. Parks und Museen sind Orte der Besinnung, Orte der Kultur, an denen ich mich sehr gern aufhalte – und ich glaube, es geht vielen Menschen so. Die Zeit verliert hier ihre Bedeutung. Es ist ein wenig so, als wenn man in sein Lieblingshotel eincheckt, da passt einfach alles. Museen sind heute das, was früher Salons oder Cafés waren, Orte der Muße und der Kommunikation. Man denkt nach, sieht herrliche Kunst, flirtet ein bisserl, all das in einem gepflegten, inspirierenden Ambiente.

Was ist interessanter: die Kunstwerke oder die Menschen, die davor stehen?

Es funktioniert nur beides gemeinsam. Ohne Menschen gäbe es keine Kunstwerke, ohne Kunst keine Menschlichkeit. Es ist diese Wechselwirkung zwischen beiden. Menschen im Museum sind der Wahnsinn, manche sind hektisch, eilen zunächst durch und werden dann immer ruhiger. Andere stehen schon mal vier Minuten vor einem Bild in DIN-A4-Größe und schauen ein Porträt an. Vier Minuten sind unendlich lang, schauen Sie mal ein Bild vier Minuten lang an.

Es klingt so, als seien Sie ebenso an den Menschen interessiert wie an den Bildern.

Wie sich Menschen kleiden, ist ja auch ein künstlerischer Ausdruck, und in meinen Bildern gehen die Betrachter und das Betrachtete ineinander über, stoßen sich ab oder ergänzen sich. Ich mag Menschen sehr, sehr gern – sonst könnte ich das nicht tun, was ich tue.

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Wie machen Sie das, diese Ähnlichkeiten zu entdecken und dann auch zu fotografieren?

Man muss viel umherlaufen wollen. Meine Schuhe sind wichtig, die Sohlen vor allem. Es hilft, sich lautlos von hinten anschleichen zu können. Ich habe einen flotten, aber gleichzeitig dezenten Gang. Meine Körpergröße von über zwei Metern gestattet es mir, über die Köpfe anderer Menschen hinüber zu fotografieren. Es hilft auch, wenn ich in Begleitung unterwegs bin, dann bin ich unauffälliger. Und man muss natürlich seinen Augentrainer anwerfen, um zu sehen, was man sonst nicht sehen würde. Manchmal werde ich fast wahnsinnig, weil ich so viele Details im Kopf habe.

Aber alle Fotos entstehen per Zufall, komplett ungeplant?

Gelegentlich sehe ich einen bestimmten Besucher bereits an der Museumskasse und hoffe dann, dass gerade der sich vor das Bild XY stellt. Ich kenne die meisten Kunstwerke so gut, dass ich schon vorher weiß, dass es da eine Übereinstimmung mit einem Besucher gibt. Dann heißt es hoffen, warten, lauern.

Stört das die Leute nicht?

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Bisher hat es noch niemand gemerkt, wenn er von mir fotografiert wird, meist stehen die Besucher ja mit dem Gesicht zum Bild. Sollte aber jemand irritiert sein, würde ich natürlich anbieten, das Bild von ihm zu löschen.

Wie lange suchen Sie gewöhnlich nach Übereinstimmungen?

Ich bin oft an Nachmittagen unterwegs, meistens so drei bis vier Stunden. Wenn ein gutes Foto am Tag rausspringt, bin ich happy. Aber danach bin ich platt, richtig erschöpft, dann trinke ich erst einmal einen Espresso. Ich muss immer sehr schnell reagieren können. Es gibt eine Untersuchung, nach der die durchschnittliche Verweilzeit vor einem Gemälde bei elf Sekunden liegt. Elf Sekunden. Im Durchschnitt! Das heißt, dass die meisten nur ein paar Sekunden vor dem Bild stehen. Da muss ich bereit sein.

Klingt so, als müssten Sie sehr reaktionsschnell sein.

Wenn ich im Arbeitsmodus bin, ist das sehr stressig, denn es muss blitzschnell gehen und mein Gehirn muss in kürzester Zeit Ähnlichkeiten abgleichen können. Das kann man aber gut trainieren. Manchmal falle ich aber aus dem Fotografiermodus und stehe einfach nur zwanzig Minuten vor einem Caravaggio oder Moreau oder Vallotton.

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Es macht sicher Spaß, wenn man dann mal ein tolles “Match“ entdeckt hat, oder?

Absolut, auch wenn ich Vegetarier bin, packt mich eine Art Jagdinstinkt. Das Foto dann im Kasten zu haben ist ein beglückendes Gefühl. Ich pirsche davor richtig durch die Räume, werde schon nervös, lege mich hinter einer Ecke auf die Lauer. Wenn ich dann entdecke, dass zwei zusammenpassen – also ein Exponat und ein Mensch –, dann macht mich das richtig glücklich. Diese Momente sind meine Beute.

In welchem Museum bewegen Sie sich am liebsten?

Ich mag das Kunsthistorische Museum in Wien und das Leopold-Museum dort, in Berlin natürlich die Gemäldegalerie, in München die Pinakotheken und die Glyptothek. Aber Paris ist fast unschlagbar. Das Centre Pompidou und das Musée d’Orsay sind meine Lieblingskunsträume. Vor allem in Letzterem sind so viele Welten enthalten, da hängt ein van Gogh zwischen Möbeldesign, es gibt verwinkelte einzigartige Räume und gute Sitzgelegenheiten. Ein Traum.

Was ist Ihr nächstes Projekt?

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Ich arbeite immer gleichzeitig an unterschiedlichen Projekten. Derzeit fotografiere ich Menschen, die die britische Fahne auf ihrer Kleidung tragen. In Zeiten des Brexit fand ich das interessant. Ich sehe auch viele norwegische Fahnen, allerdings immer weniger amerikanische komischerweise. Auch die Wimpel und Fähnchen, die Tour-Guides größerer Besuchergruppen tragen, damit man sie im Gewühl entdeckt, finde ich spannend. Da gibt es eine überraschende Bandbreite. Aber ich entwickle im Kopf ständig neue Filter, Kombinationen, Perspektiven. Vor ein paar Tagen habe ich überlegt, wie viele Gemälde von Henri Rousseau es gibt, auf denen Hunde zu sehen sind. Ich bin gleich losgerannt in verschiedene Museen hier in Paris. Bis jetzt habe ich aber erst fünf Hunde in Rousseaus Bildern entdeckt.

Von Stefan Wagner

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