Jodie Foster: „Für mich ist Guantanamo ein gesetzloses Gefängnis“

Jodie Foster über ihren neuen Film „The Mauritanian“: „Das ist eine Art Liebesbrief an die Rechtsstaatlichkeit.“

Jodie Foster über ihren neuen Film „The Mauritanian“: „Das ist eine Art Liebesbrief an die Rechtsstaatlichkeit.“

Ihr erster Auftritt vor einer Kamera galt der Werbung für eine Sonnencreme. Jodie Foster war gerade mal drei Jahre alt, ihre Mutter arbeitete in Los Angeles im Filmgeschäft. Bald spielte die talentierte Jodie in Serien wie „Bonanza“ oder „Kung Fu“. Als 14-Jährige wurde sie für ihre Rolle als minderjährige Prostituierte in Martin Scorseses „Taxi Driver“ (1976) für den Oscar nominiert.

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Anders als für so viele andere Kinderstars gab es in Fosters Leben keinen schmerzlichen Karrierebruch. Als Foster 26 war, gewann sie ihren ersten Oscar für das Drama „Angeklagt“ (1988), in dem sie ein Vergewaltigungsopfer spielt, das sich gegen die Täter gerichtlich wehrt. Den zweiten Oscar gab es für ihre Darstellung der FBI-Ermittlern Clarice Starling in „Das Schweigen der Lämmer“ (1991).

Nun ist Foster im Kinodrama „The Mauritanian“ zu sehen, das bei der Open-Air-Berlinale (9. bis 20 Juni) Premiere hat. Darin spielt Foster die Verteidigerin eines Guantanamo-Gefangenen. Über ihre Rolle und die Dreharbeiten spricht sie im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

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Frau Foster, Sie haben in den vergangenen Jahren immer wieder als Regisseurin hinter der Kamera gestanden – für den Kinofilm „Money Monster“ oder für die Fernsehserie „Tales from the Loop“. Als Schauspielerin aber haben Sie sich eher rar gemacht. Warum haben Sie sich jetzt für die Rolle der Verteidigerin Nancy Hollander im Kinodrama „The Mauritanian“ begeistern lassen?

Zunächst einmal wollte ich helfen, die Geschichte von Mohamedou Ould Slahi zu erzählen. Rund 15 Jahre lang hat Mohamedou ohne Anklage und ohne Prozess in dem nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 errichteten Lager Guantanamo auf Kuba gesessen – in das er aus seiner Heimat Mauretanien verschleppt worden war. Genauso hat mich aber auch das Leben von Nancy Hollander selbst fasziniert, je mehr ich über sie gelesen habe.

Sie haben bereits als Dreijährige als Darstellerin angefangen und, nun ja, ihren Hintern in einem Werbespot für Sonnencreme vorgezeigt. Als Teenager erhielten Sie Ihre erste Oscarnominierung. Vermissen Sie die Schauspielerei denn nicht?

Was ich vermisse, ist das Leben auf einem Filmset. Ich mag es, dort den ganzen Tag herumzuhängen und mit Leuten in Kontakt zu kommen – überhaupt den Prozess, wie ein Film durch Kooperation entsteht. Aber das Schauspielern selbst? Ich bin ganz froh, nur noch dann eine Rolle zu übernehmen, wenn sie mir wirklich etwas bedeutet und sie mir wichtig erscheint – so wie es bei „The Mauritanian“ eben der Fall war.

Was macht eine Rolle für Sie ­wichtig?

Wenn ich dadurch womöglich wenigstens ein kleines bisschen ein besserer Mensch werde oder wenn auch andere Menschen durch den Film besser werden. Wissen Sie, es gibt wirklich viele andere sinnstiftende Dinge im Leben, man muss sich nicht unbedingt vor einer Kamera postieren. Als ich jung war, wusste ich das bloß noch nicht. Da dachte ich, es gibt nur eine Sache im Leben: Filme machen. Aber da ich heute die Zeit habe, möchte ich diese anderen Dinge ausprobieren, die das Leben für mich ­bereithält.

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Und was hat Sie an der Verteidigerin Nancy Hollander so sehr ­fasziniert?

Das sind viele Dinge, zum Beispiel ihr enormer Beitrag, die US-Verfassung und die Unabhängigkeit der Justiz zu verteidigen. Bei den Dreharbeiten zu „The Mauritanian“ in Kapstadt habe ich Nancy kennengelernt und war beeindruckt von dieser Frau. Sie hat so viele Angeklagte verteidigt, von denen sie wusste, dass sie schuldig waren. Aber sie hatte immer ganz klar ihre Mission als Anwältin: Jeder Mensch verdient eine Verteidigung. Schuld oder Unschuld spielen dabei keine Rolle. Allein rechtsstaatliche Prinzipien zählen. Ich hätte gedacht, dass diese Herangehensweise einen Menschen verändert: Sie hätte argwöhnisch werden können, misstrauisch. Ihre Persönlichkeit und ihre Beziehungen zu anderen Menschen hätten darunter leiden können.

Und das war nicht der Fall?

Nancy muss irgendwann ihren Frieden mit dieser Situation geschlossen haben. Ich habe eine wirklich warmherzige Person getroffen – und das betrifft ganz besonders ihr Verhältnis zu Mohamedou. Durch den Film habe ich erkannt, dass es gerade ihre Erfahrungen mit Mohamedou waren, die sie geprägt haben über die Jahre, auch wenn ich natürlich nicht weiß, ob er nun der alleinige Grund dafür war. Sie hat es geschafft, zu einer Person zu werden, die beides zugleich ist: Sie ist klar, direkt, streng und wenig zugänglich, weil sie sich selbst schützen muss – und gleichzeitig behandelt sie Mohamedou so liebevoll, als wäre er ihr eigener Sohn.

Sie sind auch dem echten Mohamedou Ould Slahi bei den Dreharbeiten in Südafrika begegnet. Wie hat es dieser inzwischen 50-Jährige geschafft, sich nicht von Bitterkeit und Hass überwältigen zu lassen?

Ja, diese Haltung ist bewundernswert. Es muss ihn viel Kraft gekostet haben, sich nicht brechen zu lassen in diesem System der Ungerechtigkeit, in dem er gefoltert und gequält wurde. Sie müssen bedenken, dass er auch nach dem Urteil eines US-Bundesrichters im Jahr 2010, wonach er hätte freigelassen werden müssen, wegen des Einspruchs der US-Regierung noch weitere sechs Jahre in Guantanamo saß.

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Was glauben Sie, hat ihm über all die Zeit geholfen?

Zum Beispiel, dass er Freundschaft mit seinen Bewachern geschlossen hat – obwohl das nach den Gefängnisregeln gar nicht erlaubt war. Mit einem von ihnen – er hieß Steve – baute er eine echte Beziehung auf. Steve hat Mohamedou später auch in Mauretanien besucht. Zudem hat es Mohamedou geschafft, neugierig zu bleiben und nicht abzustumpfen. Er hat seine Bewacher nach ihren Familien gefragt und wollte wissen, woher sie kommen. Warum sie zum Militär gegangen sind. Was sie politisch denken. Was sie ihm über den katholischen Glauben erzählen können. Kurz: Er versuchte zu verstehen, wie diese jungen Männer den Dienst auf Guantanamo überhaupt ausüben konnten.

Sehen Sie in Mohamedou ein ­Vorbild?

Ich würde mir wünschen, etwas in der Art von Mohamedou in mir zu finden. Aber ich weiß wirklich nicht, ob mir dies unter solchen Umständen gelungen wäre.

Sehen Sie es als ein gutes Omen, dass der Film „The Mauritanian“ justament zum Präsidentenwechsel im Weißen Haus in die amerikanischen Kinos kam – und nun in Deutschland zu sehen ist, erst bei der Open-Air-Sommer-Berlinale und dann auch in den wieder eröffneten Kinos?

Ich glaube jedenfalls, dass der Film wirklich relevant für unsere Gegenwart ist. Das hatten wir natürlich so nicht geplant, als wir mit der Arbeit begonnen haben. Es ist einfach passiert. „The Mauritanian“ ist eine Art Liebesbrief an die Rechtsstaatlichkeit und wie wichtig es ist, an den Grundlagen der Verfassung und der Demokratie festzuhalten – vor allem dann, wenn ein Land von Furcht, Angst und Wut und Terror beherrscht wird. Die Gefühlswellen in den Vereinigten Staaten von Amerika schlagen hoch, und da kommt dieses Pochen auf Gerechtigkeit in einem Film zu einem guten ­Zeitpunkt.

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In der Zeit der Trump-Regierung war von Guantanamo kaum die Rede. Liegt der Sinn dieses Films auch darin, die Welt und besonders die USA daran zu erinnern, dass dieses Gefangenenlager immer noch ­existiert?

Nun ja, in den vergangenen vier Jahren unter dieser Administration bestand keine Chance, sich über Guantanamo zu verständigen. Dieses Thema kann erst jetzt wieder auf die Tagesordnung gesetzt werden, nachdem jemand anders im Weißen Haus sitzt. Das hat auch schon die Obama-Regierung sehr genau gewusst. Deshalb hat sie einen ganzen Pulk Gefangener noch kurz vor der US-Wahl 2016 in die Freiheit entlassen.

Für was steht Guantanamo?

Für mich ist Guantanamo ein Symbol dafür, wie Amerikanerinnen und Amerikaner die Verfassung gebrochen haben, indem sie vor ihren Küsten ein gesetzloses Gefängnis errichteten, um dort tun zu können, was immer sie tun wollten.

Präsident Joe Biden hat angekündigt, das Lager schließen zu wollen – wie es auch schon Barack Obama angekündigt hatte. Wird ihm dieses Kunststück wirklich gelingen?

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Ich hoffe sehr, dass Guantanamo endlich dichtgemacht wird. Und ich bin mir sicher, dass es so kommt – mit dieser Regierung oder einer anderen. Schon aus rein ökonomischen Gründen: Das Lager ist unglaublich teuer. Es ergibt überhaupt keinen Sinn, es weiter zu betreiben. Es sitzen dort vielleicht noch 40 Gefangene. Der einzige Grund, warum die meisten von ihnen dort ausharren müssen, ist, dass sie kein Zuhause haben. Viele wären zum Beispiel längst in den Jemen abgeschoben worden, aber das geht wegen der unklaren Situation dort nicht. Bei anderen Ländern geht es um komplizierte Vereinbarungen: Wer zahlt wem wie viel für die Übernahme der Gefangenen? Aber irgendwann wird es Guantanamo nicht mehr geben, da bin ich sicher.

In einer Filmszene treffen Sie Ihren Gegenpart vom US-Militär, gespielt von Benedict Cumberbatch – und zwar in einer Art Souvenirshop in Guantanamo, wo Sie ein Bier mit dem Ankläger trinken. Gibt es dort wirklich so einen Laden?

Ja, das ist verrückt. In dem Shop gibt es viel komisches Zeugs zu kaufen, beispielsweise ­T-Shirts mit dem Aufdruck „Gegen Terrorismus“, genauso aber auch Surfsachen. Aber das Überraschendste, was ich durch diesen Film über dieses Lager auf Kuba gelernt habe, war etwas ganz anderes.

Und zwar?

Ich wusste vorher nicht, dass der überwiegende Teil der Lagerinsassen in dem Gefängnis gelandet war, weil die amerikanische Regierung kurz nach den Terrorattentaten in New York überall in der Welt Flugblätter verteilt hatte – entweder in Papierform oder auch online.

Was war darauf zu lesen?

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Da stand so ungefähr: Hey, wenn du jemanden kennst, von dem du glaubst, dass er ein Terrorist ist, kontaktiere die US-Regierung unter dieser Telefonnummer. Viele Leute, die vielleicht ihren Nachbarn nicht mochten, riefen an, und dann wurden diese Leute eingesammelt und nach Guantanamo gebracht. Mohamedou kam über monatelange Zwischenstopps in Jordanien und Afghanistan nach Kuba. Auf diese Weise füllte sich das Lager dort. Davon zu hören war ein echter Schock.

Was soll das Kinopublikum aus diesem Film mit nach Hause nehmen?

Die Lehren aus Mohamedous Verhalten sind: Man darf Feuer nicht mit Feuer bekämpfen. Man muss Terror und Angst nicht mit noch mehr Terror und Angst begegnen. Wir haben immer eine Wahl. Wir können der Menschlichkeit und den Gesetzen folgen. Das hilft. Diese Botschaft wird hoffentlich in dem Film gesehen.

Können Sie nachvollziehen, dass sich Zuschauer in der ein oder anderen Szene von „The Mauritanian“ an einen Ihrer vielleicht berühmtesten Filme erinnert fühlen – an den Thriller „Das Schweigen der ­Lämmer?

Ich sehe gar keine Ähnlichkeiten zwischen der FBI-Ermittlerin Clarice Starling und der Rechtsanwältin Nancy Hollander. Nun gut, eine Parallele gibt es vielleicht: Beide Figuren wissen nicht, was sie erwartet, wenn sie sich ins Gefängnis begeben, um dort in einer Zelle einen Häftling aufzusuchen. Werden sie auf einen Mörder treffen, einen Terroristen, ist der Mann vielleicht sogar hinter ihnen her? Aber das ist eher eine oberflächliche Ähnlichkeit – und Mohamedou ist ja nun alles andere als ein kannibalischer Killer.

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Es gibt ein paar harte Szenen im Film, Folter wird nicht ausgespart. Für die Zuschauer dürften diese Momente nicht ganz leicht zu ertragen sein. Welche Szenen waren für Sie selbst am schwersten verdaulich?

Meine Aufgabe habe ich vor allem darin gesehen, Hauptdarsteller Tahar Rahim in der Rolle von Mohamedou Ould Slahi den nötigen Raum zu geben. Ich sitze ihm in einem düsteren Kabuff auf Guantanamo gegenüber, höre ihm zu und bin still. Der härteste Moment für mich war wohl, den Kopf einzuziehen, wenn bei den Dreharbeiten in Kapstadt wieder mal ein Sturm durch die Stadt blies. Denn dann war die Gefahr groß, dass meine Perücke weggeweht wird.

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