Kino von unten in Cannes: Koreaner Bong Joon-ho gewinnt die Goldene Palme
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Regisseur Bong Joon-ho aus Südkorea wurde mit der Goldenen Palme ausgezeichnet.
© Quelle: Getty Images
Cannes. Bis zum Schluss hatte sich Quentin Tarantino in Cannes herumgedrückt. Auch bei der Preisgala am Samstag stieg er die heiligen roten Stufen empor. Wenn er nicht nur seinen Smoking auftragen wollte, konnte das eigentlich nur eines bedeuten: Auch an diesem Abend würde der bejubelte Regisseur eine Rolle spielen – acht Minuten Standing Ovations waren bei der Premiere von „Once Upon a Time … in Hollywood“ gestoppt worden.
Es kam dann anders. Und das war gut so. Tarantinos Verklärung des einstigen US-Kinos mit den Superstars Leonardo DiCaprio und Brad Pitt hätte wie ein Fremdkörper bei der 72. Palmenvergabe gewirkt. Diese Jury hatte einen Plan: Sie zeichnete beinahe durchweg sozialkritische Filmemacher aus – allen voran Bong Joon-ho, der die Goldene Palme von Frankreichs Grande Dame Catherine Deneuve in die Hand gedrückt bekam.
Mati Diop: Erster Preis für schwarze Regisseurin
Der Südkoreaner bewies in seiner Satire „Parasite“, dass sich Kritik an gesellschaftlichen Zuständen und brillante Unterhaltung keinesfalls ausschließen. Eine Familie aus prekären Verhältnissen nistet sich im Anwesen einer Oberschichtensippe ein.
Doch haftet den Eindringlingen unverkennbar der Geruch von Leuten aus den unteren sozialen Schichten an – was sich auch so interpretieren lässt: Die Schere zwischen Reich und Arm ist kaum zu überbrücken. Und dies gilt wohl nicht nur in Südkorea.
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Jurypräsident Alejandro González Iñárritu stellte klar, dass viele Beiträge ein „dringliches soziales Bewusstsein“ ausgezeichnet habe. Bei den Entscheidungen des neunköpfigen Gremiums – die jüngste Jurorin war die 21-jährige US-Schauspielerin Elle Fanning – aber habe jeder einzelne Film für sich selbst sprechen müssen.
Das einzige Manko bei dieser Auszeichnung: Im männerlastigen Cannes hat wieder keine Frau gewonnen. Zumindest heimste die Französin Mati Diop den Großen Jurypreis ein – und ihre Landsfrau Céline Sciamma den Drehbuchpreis für ihr erfrischendes Historiendrama „Por-trait de la jeune fille en feu“. Zwei von vier Frauen trugen also eine Palme nach Hause. Ein Anfang. Nicht mehr. Diop ist die erste schwarze Regisseurin, die es in den Wettbewerb geschafft hat. In ihrer Liebes- und Gespenstergeschichte „Atlantique“ blickt sie auf Flüchtlingsschicksale im Senegal: Die im Atlantik Ertrunkenen kehren als Zombies zurück. Das Werk ist das Langfilmdebüt der 36-Jährigen: Der Veteranenclub Cannes gibt dem Nachwuchs eine Chance.
Antonio Banderas ist „Bester Schauspieler“
Zumindest in diesem glorreichen 72. Jahrgang hat es das Festival geschafft, die von Streamingdiensten und schwindender Zuschauergunst bedrohte Filmkunst zu feiern. Wo gibt es das sonst, dass Männer im Kino weinen? Die Herren waren allerdings von sich selbst gerührt: Elton John verdrückte Tränen, als er sich im Musical „Rocketman“ sah. Bei Pedro Almodóvar wurden die Augen feucht, als er Antonio Banderas als sein Alter Ego im Drama „Leid und Herrlichkeit“ erblickte.
Mit dieser Rolle gewann Banderas die Darstellerpalme: „Ich danke Pedro für all die Jahre, für unsere gemeinsamen Filme“, sagte Banderas. Siegerin bei den Frauen war die Britin Emily Beecham, die in „Little Joe“ eine Wissenschaftlerin spielt, die eine vermeintlich glücklich machende Blume züchtet: „Ich erhielt heute Morgen einen Anruf von meinem Produzenten und sollte mich schnell ins Flugzeug setzen“, verriet die Glückliche bei der Gala.
Das Reiseproblem hatte Kino-Aficionado Tarantino nicht. Wenn man es recht bedenkt, konnte auch er einen zählbaren Erfolg verbuchen: Der genauso brave wie bisswütige Pitbull Brandy aus „Once Upon a Time … in Hollywood“ holte sich vorab die in Cannes jährlich verliehene und nicht ganz ernst gemeinte Filmhundepalme. Damit stehe fest, dass „ich nicht mit leeren Händen fahre“, so Tarantino. Er sollte recht behalten. Der Mann hat Humor.
Von Stefan Stosch