Klavier, Kunst und keine Kellerbar: ein Besuch im Haus von Helmut Schmidt

Wer in das Wohnhaus von Helmut und Loki Schmidt im Norden Hamburgs kommt und durch die weiße Haustür tritt, sieht ihn als Allererstes: Ein paar Schritte weiter, dort, wo Diele und Wohnzimmer in einer lichtdurchfluteten Ecke zusammentreffen, steht der Steinway-Flügel, schwarz und glänzend. Der Flügel ist ein Blickfang, ein Fluchtpunkt der unteren Etage des Schmidt-Hauses, so wie die Musik ein Fluchtort des Bundeskanzlers war.

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Nach seinen oft 15-stündigen Arbeitstagen beruhigte sich Schmidt am Abend im heimischen Hamburg oder auch im Kanzlerbungalow in Bonn an den schwarzen und weißen Tasten. „Musik war für ihn ein Kraftfeld“, sagt Reiner Lehberger. Der Hamburger Autor, der sowohl Bücher über das Ehepaar Loki und Helmut Schmidt als auch über Loki Schmidt allein geschrieben hat, macht nun Helmut Schmidts Verhältnis zur Musik zum Thema.

Mit historischer Klavieraufnahme: Reiner Lehberger im Wohnzimmer im Haus von Helmut und Loki Schmidt.

Mit historischer Klavieraufnahme: Reiner Lehberger im Wohnzimmer im Haus von Helmut und Loki Schmidt.

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Eines stellt Lehberger während der Vorstellung seines Buchs „Helmut Schmidt am Klavier. Ein Leben mit Musik“ gleich klar: „Er war kein verkanntes Musikgenie.“ Aber er sei auch mehr als nur ein Hobbymusiker gewesen. Justus Frantz wird mit der Aussage zitiert: „Wenn er sich richtig konzentrierte, konnte er am Flügel Dinge schaffen, die anderen nicht gelangen.“

Aufnahme in den berühmten Abbey Road Studios

Immerhin wagte sich Schmidt mit seinem Klavierspiel dreimal an die Öffentlichkeit. Dafür ist er unter anderem zu Bild- und Tonaufnahmen mit Stars der Klassikwelt zusammengekommen, unter anderem spielte er 1981 gemeinsam mit den Pianisten und Dirigenten Christoph Eschenbach und Justus Frantz Mozarts Klavierkonzert für drei Klaviere in F-Dur ein. Ort des Geschehens: die berühmten Abbey Road Studios in London. „Come together, right now!“ Der Geist der begnadeten Beatles trifft auf den mentholgeschwängerten Geruch der Schmidtschen Kippen.

Klangvoll: Sijia Ma am Klavier von Helmut Schmidt im Haus von Helmut und Loki Schmidt.

Klangvoll: Sijia Ma am Klavier von Helmut Schmidt im Haus von Helmut und Loki Schmidt.

Dabei sollte am dritten Klavier damals ursprünglich gar nicht Schmidt sitzen. Frantz und Eschenbach wollten Luciano Pavarotti als Pianisten an ihrer Seite für diese Schallplattenaufnahme haben. Doch dieser traute sich nicht. So rief Justus Frantz Helmut Schmidt an, und der sagte zu. An Selbstbewusstsein mangelte es ihm ja selten.

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Welche Rolle Musik – sowohl die selbst gespielte als auch die gehörte – für Schmidt einnahm, zeigt sehr gut ein Dokument aus dem Jahr 1943: Ein Mietvertrag gibt Auskunft darüber, dass er sich damals ein Klavier in einem Musikgeschäft in Hamburg ausgeliehen hat. Mitten im Zweiten Weltkrieg. „Wenn sich jemand im Krieg, in solch existenzieller Bedrohung, so der Musik hinwendet, hat das eine hohe Bedeutung“, resümiert Lehberger, der seit dem Jahr 1996 immer wieder das Ehepaar Schmidt in dessen Haus besuchte.

Helmut Schmidt mit Ehefrau Loki und Tochter Susanne.

Helmut Schmidt mit Ehefrau Loki und Tochter Susanne.

Schmidts musikalische Bildung begann als Kind, bereits im Alter von sieben Jahren erhielt er Klavierunterricht. Zunächst, schreibt Lehberger, sei dies mehr Pflicht als Freude gewesen. Das änderte sich mit dem Wechsel auf die kunst- und musikorientierte Lichtwarkschule. Dort lernte er die Kultur schätzen und lieben. „Die in diesen Jahren geformte Beziehung zur Musik und zur Kunst hielt ein Leben lang“, so der Autor.

Kunst von Barlach bis Kollwitz

Wer heute ins Haus der Schmidts kommt, sieht diesen Eindruck bestätigt. Kaum ein Quadratmeter an den Wänden ist nicht mit Kunst behängt. Dazu kommen unzählige Bücher – Belletristik, Politik, Philosophie, Kunstbände, Biografien. Und was für Kunstwerke zu sehen sind: Bernhard Heisigs Porträt von Helmut Schmidt, das „Selbstporträt im Profil nach rechts“ von Käthe Kollwitz oder August Mackes „Begrüßung“. Dazu kommen Plastiken wie Ernst Barlachs „Der singende Mann“. Das ganze Ausmaß dieser Privatsammlung zeigt das schöne Buch „Kanzlers Kunst“.

Viel Kunst: Schon in der Diele hängen Bilder unter anderem von Bernhard Heisig.

Viel Kunst: Schon in der Diele hängen Bilder unter anderem von Bernhard Heisig.

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Es verwundert dann auch nicht, dass selbst auf der Gästetoilette noch Bilder hängen – neben zwei karikaturistischen Salz- und Pfefferstreuern von Helmut Schmidt und Franz Josef Strauß. Die politischen Widersacher auf dem Gästeklo – eine sehr subtile Art von Humor.

Mit Humor: Salz- und Pfefferstreuer von Helmut Schmidt und Franz-Josef Strauß stehen auf dem Gästeklo des Schmidtschen Hauses.

Mit Humor: Salz- und Pfefferstreuer von Helmut Schmidt und Franz-Josef Strauß stehen auf dem Gästeklo des Schmidtschen Hauses.

Das Haus in Hamburg-Langenhorn entwickelte sich in Schmidts Kanzlerschaft zwischen 1974 und 1982 zu einer Art zweitem Regierungssitz. Der amerikanische Außenminister Henry Kissinger besuchte ihn hier, der sowjetische Staats- und Parteichef Leonid Breschnew kam vorbei, natürlich auch sein französischer Freund Valéry Giscard d‘Estaing (von dem auch ein Foto mit Widmung in Schmidts Arbeitszimmer im ersten Stock des Hauses hängt) und Spaniens damaliger König Juan Carlos.

Wenn er sich richtig konzentrierte, konnte er am Flügel Dinge schaffen, die anderen nicht gelangen.

Justus Frantz,

Pianist und Dirigent

Mentholzigaretten im Keller sind eine Legende

Zum Treffpunkt in späteren Stunden wurde dann gern die Schmidtsche Bar, die auch heute noch eine beeindruckende Zahl an Spirituosen und anderen Getränken aufweist. Aber um an dieser Stelle gleich mit einem Mythos aufzuräumen: Diese berühmte Kellerbar, in der Vertreter der Weltpolitik mit Helmut Schmidt anstießen und sich die Köpfe heißredeten, ist gar keine Kellerbar – sie ist Teil des Erdgeschosses und liegt zwischen Wohnzimmer und Essbereich. Und wo wir gerade dabei sind, alte Legenden vom Tisch zu wischen: Das Haus der Schmidts ist, anders als oft kolportiert, auch kein Reihen-, sondern ein Doppelhaus. Und die Geschichte von den 200 Stangen Mentholzigaretten, die noch im Keller lagern, stimmt ebenfalls nicht. Sie geht auf Schmidts SPD-Genossen Peer Steinbrück zurück, der die Geschichte einst feixend in die Welt setzte.

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So wie er es hinterlassen hat: Das Arbeitszimmer von Helmut Schmidt.

So wie er es hinterlassen hat: Das Arbeitszimmer von Helmut Schmidt.

Schmidt, der von seinen Landsleuten nach seiner Amtszeit zum moralischen Gewissen und politischen Kommentator Nummer eins der Republik gekrönt wurde, nannte Johann Sebastian Bach seinen Lieblingskomponisten. Deswegen regte er 1985 noch einmal eine Aufnahme – Bild und Ton – an. Gemeinsam mit Frantz und Eschenbach sowie dem Pianisten Gerhard Oppitz und den Hamburger Philharmonikern spielte er Bachs Klavierkonzert für vier Klaviere.

Aber der 2015 in Hamburg verstorbene Schmidt war kein ausschließlicher Klassikfanatiker. Er hörte auch andere Stile, vor allem dem Jazz war er zugeneigt. 1980 war Jazzklarinettist Benny Goodman Stargast des dritten Kanzlerfests. Und 1966 besuchten die Schmidts gemeinsam mit Tochter Susanne ein Konzert der Beatles in der Hamburger Ernst-Merck-Halle. Ein Foto zeigt, wie Loki sich die Ohren zuhält während Helmut seine Augen geschlossen hat. Ob er damals schon davon träumte, einmal eine Schallplatte im Wohnzimmer der Beatles, den Abbey Road Studios, aufzunehmen?

Reiner Lehberger: „Helmut Schmidt am Klavier. Ein Leben mit Musik“. Hoffmann und Campe. 332 Seiten, 24 Euro.

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Helmut-und-Loki-Schmidt-Stiftung (Hrsg): „Kanzlers Kunst. Die private Sammlung von Helmut und Loki Schmidt“. Dölling und Galitz. 216 Seiten, 34 Euro.

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