Künstler Ai Weiwei: „Wer könnte besser sein als ich?“

Ai Weiwei, Künstler, lächelt bei einer Lesung im Berliner Ensemble. Weiwei stellt seine Autobiographie „1000 Jahre Freud und Leid“ vor. Der Menschenrechtler war nach regierungskritischen Äußerungen während der Proteste in China 2011 von April bis Juni 2011 inhaftiert.

Ai Weiwei, Künstler, lächelt bei einer Lesung im Berliner Ensemble. Weiwei stellt seine Autobiographie „1000 Jahre Freud und Leid“ vor. Der Menschenrechtler war nach regierungskritischen Äußerungen während der Proteste in China 2011 von April bis Juni 2011 inhaftiert.

Ai Weiwei, muss die Welt Angst vor China haben?

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Es wäre so, als ob eine Eiche Angst vor einer Birke oder einem Ahornbaum hätte. Es sind einfach unterschiedliche Bäume, die gemeinsam wachsen. Ein Problem wird daraus nur, wenn ein Baum so groß wird, dass seine Krone den anderen Bäumen das Licht nimmt und seine Wurzeln das ganze Wasser aufsaugen. Zwischen den Bäumen herrscht deshalb ein ständiger Kampf. Solange man auf seine eigene Identität vertraut, muss man keine Angst vor diesem Kampf haben. Allerdings: China ist heutzutage nicht nur ein Baum, es ist mittlerweile ein ganzer Wald. Und China pflanzt in Afrika, Südamerika und Europa weiterhin fleißig Bäume. Manchmal kommt es vor, dass eine invasive Art einheimische Arten verdrängt.

Also ist Angst vor China berechtigt?

China hat zweifelsohne großes Potenzial und die Fähigkeit zu verdrängen. Wenn die anderen Bäume sich nicht hartnäckig wehren, dann wird China die Oberhand gewinnen. Das ist klar! Die chinesischen Bäume sind sehr stark. China hat definitiv den klaren Willen, eine Supernation zu werden und die Welt wirtschaftlich und kulturell zu dominieren.

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Wäre eine von China dominierte Welt eine bessere oder eine schlechtere Welt?

Mittlerweile gibt es auch im Westen viele Menschen, die der Meinung sind, dass es nicht schlecht sein muss, wenn China den Westen dominiert. Sogar die „New York Times“ hat Meinungsartikel veröffentlicht, in denen es heißt: „Vielleicht sollten wir nicht mehr ständig dagegen ankämpfen, sondern Chinas Dominanz einfach akzeptieren.“ Aber was würden wir da akzeptieren? Um wirtschaftlich mit dem Westen gleichzuziehen, hat China in den letzten 30, 40 Jahren all das getan, was der Westen nicht tun durfte. Es hat sich nicht um Arbeitnehmerrechte, die Gesundheit seiner Bevölkerung, die Umwelt, Menschenrechte und die Redefreiheit geschert. Der Westen und China sind so ein Dream-Team geworden. Der Westen liebt es!

Der Westen liebt Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung? Warum glauben Sie das?

Weil der Westen sich keinen besseren Partner als China wünschen kann, um Geschäfte zu machen. Im Westen muss man mit zwei, drei oder fünf Parteien jahrelang diskutieren und kämpfen und erreicht am Ende vielleicht trotzdem nichts. In China kann alles von einem einzigen Führer entschieden werden. In China heißt es: „Okay, lasst uns zu Abend essen!“ Und am nächsten Tag ist alles geregelt. Dann kann Volkswagen einfach so eine Fabrik bauen. Dann kann man alles machen!

Vor zehn Jahren wurden Sie in China wegen angeblicher Steuerhinterziehung festgenommen und saßen 81 Tage in Haft. Hätten Sie Angst, erneut verhaftet zu werden, wenn Sie nach China zurückgingen?

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Ginge ich zurück nach China, könnte es jederzeit passieren. Aber vor der Haft an sich hätte ich keine Angst. Selbst während meiner Inhaftierung hatte ich nie Angst.

Ich glaube nicht, dass sie mich foltern würden. Das würde einfach keinen Sinn machen.

Wovor haben Sie dann Angst?

Ich glaube nicht, dass sie mich foltern würden. Das würde einfach keinen Sinn machen. Ich bin kein Spion, der unter Folter etwas gestehen oder preisgeben könnte. Ich habe nichts zu beichten. (lacht) Meine Kritik war immer offen. Dafür bin ich vielleicht auch zu bekannt. Aber ich fürchte, dass sie mich anders leiden lassen würden.

Wie könnte China Sie leiden lassen?

Indem sie meine Beziehungen zur Realität abschneiden. Indem sie mich in einem Raum isolieren und mich weder meinen Anwalt noch meine Mutter anrufen lassen. Das würde bedeuten, dass das Leben beendet ist, bevor man stirbt. Ich hätte Angst, dass sie dafür sorgen würden, dass meine Stimme nicht mehr gehört werden kann. Das würde das Leben vieler Menschen in Dunkelheit tauchen. Außerdem möchte ich nicht, dass mein Sohn seinen Vater so früh verliert. Er ist doch noch klein. Er ist erst zwölf Jahre alt.

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Sie haben von 2015 bis 2019 in Berlin gelebt, gearbeitet und gelehrt. Aber in Ihrer jetzt erschienenen Autobiografie „1000 Jahre Freud und Leid“ erwähnen Sie Berlin kaum. Warum?

Ich habe ein Buch über meine schlimmsten Erfahrungen geschrieben. Es geht darin hauptsächlich um China, meinen Vater und mich. Und nicht um Berlin.

Haben Sie gerne in Berlin gelebt?

Nein! Alle mögen Berlin. Ich nicht. Ich mag den Sonnenschein, aber in Berlin sind die Winter kalt und lang. Außerdem: Berlin ist zu dreckig und zu faul. Was ist bloß mit dieser Stadt los? Niemand schneidet dort einen Baum oder kehrt die Straße. Alles ist so kaputt! Dabei gibt es in Berlin doch so viele Migranten: Gebt ihnen einfach ein wenig Geld und lasst sie die Arbeit machen. Aber das passiert nicht! Berlin ist eine Stadt ohne Hoffnung. Man kann doch nicht die drittmächtigste Nation der Welt sein, aber eine Hauptstadt wie ein Dritte-Welt-Land haben! Gucken Sie sich doch nur den Flughafen und die Infrastruktur an! Außerdem gefällt es mir nicht, dass die Taxifahrer in Berlin alle aus der Türkei kommen.

Was für ein Problem haben Sie mit Taxifahrern aus der Türkei?

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Dass sie in dritter Generation in Berlin leben und immer noch Taxi fahren. Das ist für mich kein gutes Zeichen.

Es ist nicht das erste Mal, dass Sie hart über Berlin und Deutschland urteilen: Deutschland sei autoritär, fremdenfeindlich, bigott und intolerant, sagten Sie. Viele Deutsche empfanden Ihre Kritik als sehr pauschal.

Niemand mag mich. Aber das mag ich. Denn ich bin in einer Gesellschaft aufgewachsen, in der mich niemand mochte.

Dass Sie in Deutschland niemand mag, stimmt nicht. Als Sie inhaftiert waren, hat die Bundesregierung sich zusammen mit deutschen Künstlern, Menschenrechtlern und Wissenschaftlern vehement für Ihre Freilassung eingesetzt. Sind Sie ein undankbarer Mensch?

Nein, ich bin dankbar für das, was Deutschland für mich getan hat. Aber wenn die Deutschen zu mir sagen, „Wir haben dein Leben gerettet. Wir haben für dich bezahlt. Sei gefälligst dankbar“, dann höre ich das nicht gerne. Doch das ist mir nicht nur einmal gesagt worden. Als ich in Berlin gelebt habe, mochte ich es nicht, dass ich in Deutschland als jemand gesehen wurde, der etwas zurückzahlen müsse, weil Deutschland ihn angeblich gerettet habe.

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Sehen Sie sich als Helden?

Nein. Im Westen sehen manche mich als Helden, der gegen die Kommunisten gekämpft hat. Aber ich bin nur ein Mann, der für Recht und Freiheit einsteht.

Aber kann denn Kunst auch autoritäre Regime stürzen?

Das glaube ich nicht. Zwar haben autoritäre Staaten wie China Angst vor der Kunst, weil sie im direkten Zusammenhang mit der Meinungsfreiheit steht. Aber diese autoritären Staaten lassen sich nicht von der Kunst besiegen. Ihre Systeme sind stärker und mächtiger als die Kunst. Genau darum geht es ja auch in meinem Buch.

Sie haben Fans auf der ganzen Welt. Genießen Sie es, bewundert zu werden?

Ja.

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Warum?

Weil ich sehe, dass ich Licht in das Leben vieler Menschen bringe. Ich erhalte viel Unterstützung von hart arbeitenden Menschen, die nicht zur Kunstwelt gehören. Das können Lastwagenfahrer, Verkäufer, Köche oder Museumswärter sein. Sie kommen zu mir und sagen: „Weiwei, ich unterstütze deine Kunst. Denn du drückst etwas aus, was ich nie sagen könnte. Bitte mach weiter so.“

Schmeichelt das Ihrer Eitelkeit?

Es geht nicht um Eitelkeit. Es geht um meine Verantwortung. Ich habe das Gefühl, dass ich die Hoffnung vieler Menschen erfüllen muss. Vor allem die Hoffnung von Menschen, deren Rechte eingeschränkt sind.

Sind Sie eitel?

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Ich denke, fast alle Menschen sind eitel. Das ist nicht gut. Wir sollten demütig sein, denn wir haben die gleichen Rechte wie Ameisen oder Bienen. Von mir selbst kann ich sagen, dass ich nicht eitel bin. Ich habe gesehen, wie mein Vater, Chinas größter Dichter, jahrelang öffentliche Latrinen putzen musste, nachdem er bei den Kommunisten in Ungnade gefallen war. Ich bin sehr stark von meinem Vater beeinflusst. Wie könnte ich da eitel sein?

Betrachten Sie sich als den größten lebenden Künstler?

Natürlich. Wer könnte besser sein als ich?

Meinen Sie das ironisch?

Natürlich! Ich wollte nie einer der sogenannten großen, wichtigen oder guten Künstler sein. Ich wollte immer nur ein aufrichtiger Künstler sein. Ein von jeglicher Macht unabhängiger und unabhängig denkender Künstler.

Was treibt Sie an, Kunst zu schaffen?

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Es geht mir um Ästhetik, Moral und Philosophie. Aber ehrlich gesagt: Ich habe keine große Motivation mehr, Kunst zu schaffen.

Warum?

Weil ich genug gemacht habe. Ich bin der am meisten ausgestellte Künstler der Welt. Niemand hatte mehr Besucher als ich. Andererseits: Es gibt so viele Dinge, die ich noch nie gemacht habe. Ich könnte jeden Tag sterben, und dann würde ich es sehr bedauern, wenn ich mein ganzes Leben lang nur Kunst gemacht hätte.

Was wollen Sie stattdessen tun?

Vielleicht pflanze ich Bäume oder baue etwas. Oder ich verbringe mehr Zeit mit meinem Sohn. Oder ich schreibe noch ein Buch. Oder ich drehe weitere Filme.

Werden Sie in Zukunft weniger Kunstwerke schaffen?

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Ja, ich denke schon.

Die Leute sollen einfach warten, bis ich sterbe. Dann werden die Preise richtig in die Höhe schnellen.

Das könnte dazu führen, dass die Preise für Ihre Werke weiter in die Höhe schießen.

Die Leute sollen einfach warten, bis ich sterbe. Dann werden die Preise richtig in die Höhe schnellen. Allzu lange wird es nicht mehr dauern.

Schon jetzt werden Millionen für Ihre Werke gezahlt. Halten Sie die Preise für angemessen?

Die Preise für meine Kunst sind zu niedrig. (lacht)

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Sie sind 2009 im Alter von 52 Jahren Vater geworden. Sind Sie ein guter Vater?

Ich weiß es nicht. Mein Sohn sagt, ich sei ein guter Vater. Aber er sagt auch: „Du bist ständig unterwegs.“ Ich erkläre ihm dann, dass ich nicht nur sein Vater sein kann, sondern auch mein eigenes Leben leben muss. Er versteht das.

In Ihrer Autobiografie schreiben Sie, dass die emotionale Bindung zwischen Ihnen und Ihrem Vater nicht sehr eng war. Haben Sie zu Ihrem Sohn eine stärkere Beziehung?

Ja, sie ist viel, viel stärker. Hundertmal stärker. Auch wenn ich an seiner Seite war, hat mein Vater mich nicht beachtet. Er musste immer kämpfen und konnte mir keine Aufmerksamkeit schenken. Aber das ist für mich in Ordnung. Ich bin dankbar, dass er ein aufrichtiger Mann war, sodass ich noch jetzt jemanden habe, zu dem ich aufschauen kann.

Ihre Erinnerungen heißen „1000 Jahre Freud und Leid“. Gab es in Ihrem Leben mehr Freude oder mehr Leid?

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Mehr Freude, fast kein Leid. Ich bin wirklich ein glücklicher, fröhlicher Mensch.

Und wie möchten Sie selbst in Erinnerung bleiben?

Auf meinen Grabstein soll stehen: „Dieser Mann hat gelebt und nichts erreicht.“

Ist das wieder Ironie?

Nein. Was hat ein Mann wie ich schon erreicht? Wenn wir uns die Welt ansehen, sehen wir so viele Menschen, die immer noch ohne Licht in der Dunkelheit leben. Also haben wir alle zu wenig erreicht.

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