„Lady Bird“: Hommage an Mama
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Sieht nicht gerade nach Harmonie aus: Christine (Saoirse Ronan) alias Lady Bird und ihre Mutter Marion (Laurie Metcalf).
© Quelle: Universal
Hannover. Es beginnt mit einem Moment der Eintracht: Gemeinsam hören Mutter und Tochter John Steinbecks „Früchte des Zorns“ im Auto. Schon manche Stunde müssen sie so Seite an Seite zugebracht haben auf gemeinsamen Fahrten. Als die letzten Romansätze der letzten Kassette abgespult sind, seufzen beide aus tiefstem Herzen und beinahe synchron. Man sollte sich diesen Augenblick in Greta Gerwigs feinfühligem Regiedebüt „Lady Bird“ gut merken, denn so viel Übereinstimmung zwischen Mutter und Tochter werden wir kaum wieder erleben.
Ein paar Sekunden später zoffen sich Mutter Marion (Laurie Metcalf) und Tochter Christine (Saoirse Ronan) tüchtig. Die Tochter möchte einfach nur weg aus Sacramento, dem „Mittleren Westen Kaliforniens“, wie sie verächtlich sagt. Sie will an die Ostküste, wo das intellektuelle Herz Amerikas schlägt. Die Mutter dagegen sieht Christines Zukunft eher in einem katholischen College im Westen – schon wegen der ausgesprochen übersichtlichen schulischen Leistung der Tochter und der noch übersichtlicheren familiären Haushaltskasse.
Gegen jugendliches Rebellentum hilft mütterliche Vernunft nicht
Christine vernimmt diese auf mütterliche Vernunft gründenden, leider aber mit jugendlichem Rebellentum kaum zu vereinbarenden Worte wohl nicht zum ersten Mal. Sie öffnet sekundenschnell die Tür und lässt sich aus dem rollenden Auto fallen. Mama schreit. Von nun an läuft die Tochter mit einem Gips (Aufschrift: „Fuck You Mom“) durch diese ganz normale Geschichte vom Erwachsenwerden, die dank Gerwig zu einem besonderen Kinoerlebnis wird.
Man kann gar nicht anders, als in der verpeilten 17-jährigen Protagonistin die Regisseurin Gerwig zu suchen. Die 34-jährige Gerwig ist ebenfalls in Sacramento aufgewachsen, ging ebenfalls auf eine katholische Mädchenschule, ihre Mutter ist ebenfalls Krankenschwester, und auch Gerwig lebt heute in New York. Christine muss etwa Gerwigs Generation entstammen. Das Regiedebüt „Lady Bird“ ist also irgendwie autobiografisch und dann auch wieder nicht. Oder wie Gerwig sagt: „Nichts von dem ist passiert, aber alles ist wahr.“
So fühlt es sich tatsächlich auch an, egal ob Christine mit ihrer besten Freundin Julie (Beanie Feldstein) abhängt und heimlich eine Packung Oblaten verputzt („Sind ja noch nicht geweiht“), erste enttäuschende sexuelle Erfahrungen mit dem ultracoolen Musiker Kyle (Timothée Chalamet, der so heftig Liebende aus „Call Me By Your Name“) hat oder sich mit Mama an ihrer Seite für den Abschlussball einkleidet. In knackigen eineinhalb Kinostunden wird Christines Seelenzustand zwischen Himmelhochjauchzen und zu Tode betrübt ausgeleuchtet. Wobei die zuletzt genannte Gemütslage überwiegt.
So viele Möglichkeiten, so viele Hindernisse
Es ist nun mal eine ziemlich komplizierte Angelegenheit, erwachsen zu werden. Denn leider fehlen dabei naturgemäß alle Erfahrungswerte. So viele Möglichkeiten eröffnen sich am Horizont, und so viel nervige Wirklichkeit schiebt sich immer wieder vor die eigenen Träume. Das ist glatt zum Verzweifeln. Wäre es nicht so aufregend.
Wobei wir schnell noch klarstellen müssen: Christine heißt gar nicht Christine, sie nennt sich Lady Bird. Sogar ihre Mutter akzeptiert diesen komischen Namen. Die hart arbeitende Krankenschwester Marion ist die zweite zentrale Figur in dieser für ein Regiedebüt erstaunlich weisen Komödie.
Marion bringt die Familie mit Doppelschichten über die Runden. Ihr Mann Larry (Tracy Letts) hat gerade seinen Job verloren. Mit unermüdlicher Penetranz – jedenfalls in den Ohren ihrer Tochter – ruft sie Lady Bird immer wieder zur Ordnung. Sie sei die Böse in der Familie, sagt die Mutter selbst. Ihr Mann ist der verständnisvolle Gute, der Konflikte nicht gut erträgt.
Die Träume ihrer Tochter bremst Marion geradezu brutal aus – oder jedenfalls versucht sie es, denn dem Lady Birds Überschwang ist noch so gut gemeinte Bedenkenträgerei nicht gewachsen. Mutter und Tochter seien nun mal beide „starke Persönlichkeiten“, sagt Vater Larry, der einen Konsens zwischen den beiden Betroffenen herbeizuführen versucht, der in diesem ziemlich ehrlichen Film aber nicht so leicht zu haben ist.
Vieles geschieht hier wie nebenbei und wird doch blitzschnell in seiner ganzen Bedeutsamkeit erkennbar. In wenigen Pinselstrichen sehen wir Lady Bird beim Flüggewerden zu. Nur das Ende malt die Regisseurin ein wenig zu vorhersehbar aus – und ist dann gar nicht mehr so weit entfernt vom Kitsch.
Endlich: Freiheit in New York
Andererseits erwärmen gerade diese Szenen das Herz: „Lady Bird“ ist im Kern und trotz all der Scharmützel eine Hommage an Mama. Das wird auch Lady Bird erkennen, sobald sie erst einmal die so lang ersehnte New Yorker Freiheit unter den Flügeln verspürt. Gut möglich, dass sie sich nun zu einer zögerlichen, mit sich selbst hadernden Frau entwickelt, die nach dem richtigen Weg in ihrem neuen Leben sucht – so eine, wie sie Gerwig immer wieder gespielt hat. Wie gesagt: So leicht sind Kino und Leben hier nicht zu trennen.
Erst einmal aber ruft Lady Bird zu Hause an und spricht ein echtes Liebesbekenntnis – und zwar auf den Anrufbeantworter. Und wer noch mal nachfühlen möchte, wie schwierig es sein kann, erwachsen zu werden: Bitte in diesen glücklich machenden Film gehen!
Von Stefan Stosch / RND