Leander Haußmann macht „Staatssicherheitstheater“ an der Volksbühne

Harald Hauswald ist der Produktionsfotograf von „Haußmanns Staatssicherheitstheater“. Seine historischen Aufnahmen eines Piratensenders auf einem Hausdach in der Schönhauser Allee in Ostberlin spielen in der Inszenierung eine Rolle.

Harald Hauswald ist der Produktionsfotograf von „Haußmanns Staatssicherheitstheater“. Seine historischen Aufnahmen eines Piratensenders auf einem Hausdach in der Schönhauser Allee in Ostberlin spielen in der Inszenierung eine Rolle.

Berlin. Im Film „Sonnenallee“ gibt es diese Szene, als Abiturienten sich für den Wehrdienst in der DDR verpflichten. Die Voraussetzung für ein Studium. Am Ende unterschreiben fast alle – auch jene, die früher mit großer Klappe gegen das System opponierten. „In solchen Momenten ist man sehr allein“, heißt es im Film.

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Solch einen Moment hat der Regisseur von „Sonnenallee“, Leander Haußmann, selbst erlebt. Als Student an der Schauspielschule Ernst Busch musste er in den Achtzigern zustimmen, sich im Falle einer Bedrohungslage zum Offizier ausbilden zu lassen. „Ich habe nicht gezögert.“

Was die perfiden Druckmechanismen des Systems mit den Menschen machen, ist auch Thema seines aktuellen Projekts: An der Berliner Volksbühne hat am 14. Dezember „Haußmanns Staatssicherheitstheater“ Uraufführung. Roman und Film folgen. Das Stück spielt in den Achtzigerjahren. Der Stasi ist die Künstlerszene am Prenzlauer Berg nicht geheuer.

„Dies ist die erste Stasi-Komödie“

Statt – wie in der Realität geschehen – Inoffizielle Mitarbeiter (IM) anzuheuern, züchtet die Stasi in Haußmanns Fiktion selbst Künstler heran. Der Dramaturg Steffen Sünkel sagt: „Wir lachen über Hitler, wir lachen über die Mafia. Und dies ist die erste Stasi-Komödie.“ Haußmann ergänzt: „Einige unserer Schauspieler hatten durchaus unangenehme Berührungen mit der Staatssicherheit. Wir wissen also, wovon wir sprechen.“

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Der Zuschauer sieht den Spitzeln beim Verkleiden zu. Einer wird zum Punk ausgebildet, ein anderer zum Existenzialisten. Sie dürfen Literatur und Musik aus der Asservatenkammer konsumieren. Hesses „Steppenwolf“ und „Little Red Rooster“ von den Stones als Requisiten für den Stasi-Künstler. Die Sondereinheit, die Spitzel zu Künstlern macht, heißt im Stück LSD – nach den drei Straßen des Prenzlauer Bergs, Lychener-, Schliemann- und Dunckerstraße.

Bei einer Bühnenprobe ruft der Regisseur einem der Schauspieler den Satz zu: „Ich bin zwar ein Sachse, aber ich lasse mich trotzdem nicht anwerben!“ Das Spiel mit den Klischees ist Haußmanns Spezialität, ob es um Vorurteile über Ostler und Westler geht („Sonnenallee“, 1999), die „NVA“ (2005) oder Geschlechterverhältnisse („Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken“, 2007).

Der Regisseur Leander Haußmann wurde selbst einst von der Stasi angesprochen.

Der Regisseur Leander Haußmann wurde selbst einst von der Stasi angesprochen.

Der 59-Jährige sagt: „Eines der besten Dinge an der Demokratie ist doch, dass wir die Menschen als Individuen sehen. Bei der Stasi aber denken wir merkwürdigerweise gerne in Klischees.“ Das sei die Sicht von Menschen, die das Thema BRD und DDR gerne auf drei Seiten im Geschichtsbuch abhandeln würden.

Die Realität sei aber komplexer. „Bei uns zu Hause war Ostfernsehen verboten, mein Vater hat dann sofort umgeschaltet. Dass ich nicht zur Stasi gehe, war klar. Aber wer in der Stasi-Hochburg Lichtenberg aufwuchs, hatte kaum eine Chance. Wir haben eine so arrogante Sicht auf die Vergangenheit.“

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Doch auch Haußmann schickt die Ermittler mit albernen Hüten und Handgelenktaschen auf die Bühne, wie sie dem Stereotyp entsprechen. „Das ist meine Form von Rache. Ich möchte jede Art von Mythos zerstören, der der Stasi anhaftet“, sagt er. Mit den Fingern zeigt der Regisseur die Dicke seiner eigenen Stasi-Akte an, wie ein opulenter Atlas.

Die Stasi-Akte als Statussymbol

Haußmann hat sie nach der Wende Seite für Seite durchgelesen. „Ich war sauer, dass meine Akte nicht noch dicker war“, sagt er. „Ich wurde ganz offen beschattet. Das war auch irgendwie geil.“ Die Stasi-Akte als Statussymbol. Er erzählt von seiner ehemaligen Schwiegermutter, „einer überzeugten Kommunistin, die in Palästina Diplomaten verführte“. Als IM erstattete sie Meldung über Haußmann – und ließ sich in Keramik bezahlen. „Alles voller Vasen.“

Auch mit Berichten über Haußmanns Vater Ezard, einen Volksbühnen-Schauspieler, hat die Stasi viele Seiten gefüllt. „Mein Vater hat 1968 nach der Niederschlagung des Aufstands in Prag durch Sowjettruppen einen Kranz vor die Botschaft der tschechoslowakischen sozialistischen Republik in Berlin gelegt und daraufhin ein zehnjähriges Berufsverbot bekommen“, erinnert sich der Sohn.

„Die Stasi war eifersüchtig auf ihn. Denn er war Großmaul, Frauenheld, Querulant.“ In Ezards Akte ist auch die Versetzungsbitte eines Spitzels zu finden. Der verweist auf seine Familie, er könne bei den Saufgelagen im Theater nicht mehr mithalten. Im Stück des Sohnes gibt es jetzt einen IM mit dem Decknamen Starke Leber.

Neue Zeiten an der Volksbühne nach der Dercon-Krise

„Ich bin praktisch in der Volksbühne aufgewachsen“, sagt Leander Haußmann. „Und im Berliner Ensemble, wo mein Großvater auftrat.“ Beide Häuser sind auch zur künstlerischen Heimat des jungen Haußmann geworden, der neben 13 Filmen schon mehr als 130 Theaterstücke inszenierte, darunter Ulrich Plenzdorfs DDR-Kultgeschichte „Die Legende von Paul und Paula“ (2000) an der Volksbühne und zuletzt „Die Räuber“ am BE.

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Als sich 2016 das Ende der Intendanz von Claus Peymann ankündigte, zog sich Haußmann zunächst vom Theater zurück. Nun ist seine Uraufführung eine der ersten Premieren an der Volksbühne, die der Interimsintendant Klaus Dörr nach dem Rauswurf von Chris Dercon im April 2018 organisierte. Die Komödie mit Starregisseur bietet die Chance, die Krisenzeiten nach dem Ende der Ära Frank Castorf zurückzulassen.

Haußmann, der 1995 als damals jüngster Theaterintendant Deutschlands ans Bochumer Schauspielhaus berufen wurde, hat selbst schon Politikerentscheidungen ausbaden müssen, als er 2000 gehen musste. Er sagt nun: „Die Erinnerungskultur im Theater ist nicht so ausgeprägt, für die Volksbühne brechen neue Zeiten an.“ Das Haus passe zu seinem Stück. Nicht nur wegen der Nähe zum Prenzlauer Berg. „Bei der Holzvertäfelung muss ich immer an die Stasi-Zentrale denken.“

Ein Komparse beim Filmdreh zu „NVA" unter der Regie von Leander Haußmann

Ein Komparse beim Filmdreh zu „NVA" unter der Regie von Leander Haußmann. Mit der Soldatenkomödie beschloss Haußmann seine so genannte Mauer-Trilogie, zu der auch „Sonnenallee" und „Herr Lehmann" gehören.

Als Kind wollte Leander Haußmann selbst gern Spion werden. Wenn man ihn heute fragt, ob die Stasi noch interessiere, regt er sich auf. „Solange ich lebe, ist das Thema nicht durch!“ Es gehe um Grundsätzliches: „Was sind wir für Menschen, die wir Dossiers über andere anlegen? Was sind wir bereit, für ein angenehmes Leben zu tun?“ Um diese Frage kreist Haußmanns Werk.

Nachdem er ein Telefonat über das Casting für die Filmversion seines Stasi-Stücks beendet („Das wird ein Star!“) und die Pudeldame Tilly, die er für seine Kinder hütet, abgewehrt hat, ergänzt Haußmann: „So groß war die Wurst ja nicht, die man vor der Nase der IM-Anwärter geschwenkt hat. Wer einmal Nein sagte, wurde oft in Ruhe gelassen.“

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Der Regisseur spricht aus Erfahrung. Mit 16 machte er halbherzig eine Druckerlehre. Eines Tages wurde er ins Büro des Direktors gerufen. Zwei Männer in Zivil fragten ihn, ob eine alternative Karriere etwas für ihn wäre. Polizist. Haußmann fand das damals amüsant und blieb vorerst doch lieber in der Druckerei. Erst später realisierte er, wofür er hier eigentlich rekrutiert werden sollte.

„Haußmanns Staatssicherheitstheater“, Volksbühne Berlin. Uraufführung am 14. Dezember 2018. Weitere Termine am 15. und 21. Dezember 2018 und am 5. Januar 2019.

https://www.volksbuehne.berlin/de/

Von Nina May

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