Mario Adorf: „Nach dem Tod kommt gar nichts mehr“

Galant, gelassen, großartig: Der Schauspieler Mario Adorf blickt im RND-Interview und in einem Dokumentarfilm auf sein erfahrungsreiches Leben zurück.

Galant, gelassen, großartig: Der Schauspieler Mario Adorf blickt im RND-Interview und in einem Dokumentarfilm auf sein erfahrungsreiches Leben zurück.

Dezent blaues Sakko, Halstuch, grau gewelltes Haar: Mario Adorfs Eleganz wird nur noch von seiner Bereitschaft übertroffen, über sein reiches Leben zu reden – und auch über das, was danach kommen könnte. Stefan Stosch hat den 89-jährigen Schauspieler in Berlin nach ersten und nach letzten Dingen befragt.

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Herr Adorf, singen Sie morgens unter der Dusche?

Ein bisschen geträllert habe ich heute Morgen gewiss. Vielleicht singe ich weniger als früher, aber ich neige schon dazu. Früher diente das auch dazu, meine Stimme zu trainieren. Für einen Schauspieler ist die Stimme ein wichtiger Muskel, der keinesfalls geschont werden darf. Da hilft Singen unter der Dusche. Heute brauche ich dieses Training natürlich nicht mehr in dem Maße.

Gehen Sie mit Vorfreude in den neuen Tag?

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Ich bin morgens in der Regel gut gelaunt und optimistisch – aber nun auch nicht unbedingt der Typ, der sich nach dem Aufwachen erst einmal beim lieben Gott bedankt, dass er ihm noch einen Tag geschenkt hat.

Nun kommt ein Dokumentarfilm über Ihr Leben ins Kino. Er trägt den Titel „Es hätte schlimmer kommen können“. Warum dieser Titel, wo doch so vieles in Ihrem Leben gut gelaufen ist?

Da haben Sie recht, den Titel habe ich selbst aber auch gar nicht ausgesucht. Den sollten Sie am besten ironisch verstehen: Schlimm war mein Leben nun wirklich nicht. Im Gegenteil: Ich habe viel Glück gehabt.

In dem Dokumentarfilm gibt es eine Szene, in der Sie an der ratternden Nähmaschine Ihrer Mutter sitzen: Schwelgen Sie gern in Erinnerungen?

Für meine Mutter und mich war diese Nähmaschine überlebenswichtig. Mit ihr hat meine Mutter nach dem Zweiten Weltkrieg unseren Unterhalt verdient, meine Mutter war Schneidermeisterin. So viele andere Dinge von ihr habe ich entsorgt, von dieser Maschine habe ich mich nie trennen mögen. Sie stand immer noch in meinem Keller in München, als das Filmteam bei mir drehte. Allerdings war ich schon ein wenig erstaunt, als ich gebeten worden bin, die Maschine noch einmal in Bewegung zu setzen.

Hand aufs Herz: Braucht es eine gewisse Eitelkeit, um einem Kinoprojekt zuzustimmen, in dem man selbst ins Zentrum gerückt wird?

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Ich halte und hielt das Projekt ja nicht für eine Lobeshymne. Ich habe mich nie für besonders eitel gehalten. Ich bin niemand, der sich jeden Tag im Spiegel bewundert. Mir ging es nie darum, wie ich mich wahrnehme, sondern allein darum, wie das Publikum mich wahrnimmt. Ich muss mir nicht selbst gefallen, ich muss allein den Zuschauern gefallen.

Gehört für einen Schauspieler womöglich eine gewisse Portion Eitelkeit dazu?

Ich kenne Menschen, die keine Schauspieler sind, aber sehr viel eitler. Ich glaube, dass gerade ernsthafte Schauspieler sogar weniger eitel sind, weil sie in ihren Rollen glänzen und sich privat eher bescheiden zurückhalten können.

Was war das für ein Gefühl, als Sie nun nach so vielen Jahrzehnten Ihr eigenes Bewerbungsschreiben an der Münchner Otto-Falckenberg-Schauspielschule in die Hand gedrückt bekommen haben?

Ich war wirklich gerührt. Ich wusste ja gar nicht, dass das Bewerbungsschreiben noch existiert. Nun bekommt es in meinem Archiv einen Ehrenplatz. Beim Wiederlesen habe ich aber auch gemerkt, dass das Schreiben von einer gewissen Naivität zeugt. Das gilt besonders für den letzten Satz darin, wenn ich schreibe, dass ich unbedingt Schauspieler werden muss.

In welchen Beruf hätte es Sie wohl sonst gezogen?

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Zwischenzeitlich war ich mir jedenfalls ziemlich sicher, dass ich mich nach einem anderen Beruf umschauen sollte: Am Ende der Aufnahmeprüfung in München hatte ich mit meiner Karriere als Schauspieler abgeschlossen. Die Sache war ja ziemlich schiefgelaufen.

Was war passiert?

Ich bin damals mit so viel Tempo auf die Bühne gestürmt, dass ich über die Rampe in den Zuschauerraum gestürzt bin. Tja, was ich sonst gemacht hätte? Nach dem Krieg hatte man nicht die freie Berufswahl wie heute. Maler wäre vielleicht eine Möglichkeit gewesen. Aber es gab damals keine Farben, keine Pinsel und keine Leinwand. Da war Schauspielerei schon einfacher: Man braucht nur den eigenen Körper. Dass es bei der Schauspielerei auch ein Handwerk zu erlernen gilt, hatte ich damals zunächst gar nicht so genau wahrgenommen.

Warum hat die Schauspielschule Sie denn trotz des Sturzes angenommen?

„Er hat Kraft und Naivität“: So hat es die Prüfungskommission begründet. „Probieren wir ihn mal drei Monate aus.“

Mit Kraft und Naivität haben Sie jedenfalls eine große Karriere hingelegt: Auf welchen Film schauen Sie besonders gern zurück?

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Da gibt es einige. Am liebsten mag ich wohl den Generaldirektor Haffenloher aus „Kir Royal“. Auf den werde ich bis heute immer noch angesprochen, auch auf dessen legendären Satz „Ich scheiß dich so was von zu mit meinem Jeld“. Es hat mir viel Spaß gemacht, diesen neureichen Klebstofffabrikanten zu spielen. Und das hatte einen besonderen Grund: Ich konnte bei dieser Rolle meinen rheinischen Dialekt anbringen. Das Bühnendeutsch, also das Hochdeutsche, habe ich weniger geschätzt.

Aber macht das Hochdeutsche das Leben für einen Schauspieler, der überall verstanden werden will, nicht leichter?

Das Hochdeutsche hat so etwas Glattes, wenig Gefühlvolles. Ich mochte es immer viel lieber, wenn sich heraushören ließ, woher die Leute kamen. Bevor es das Fernsehen gab und alle Dialekte abgeschliffen hat, war die Herkunft noch leicht zu erkennen. Heuss, Strauß, Adenauer, Ulbricht: Wo die groß geworden sind, war leicht zu erkennen. Heute sprechen alle Fernsehhochdeutsch – mit Ausnahme vielleicht von ein paar Unentwegten im Bayerischen oder Schwäbischen.

Warum haben Sie vor ein paar Jahren in der „Winnetou“-Neuauflage noch einmal den Bösewicht Santer gespielt?

Nicht den bösen Santer selbst, seinen ebenso bösen Vater. Das habe ich als Würdigung der alten Karl-May-Filme verstanden. Ich bin ja einer der wenigen, die überhaupt noch übrig sind aus den Sechzigern.

Obwohl Ihnen diese Rolle damals mehr Ärger bereitet hat, als Ihnen lieb war …

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... stimmt, die echten „Winnetou“-Fans haben mir nie verziehen, dass ich als Fiesling die edle Nscho-tschi, die Schwester des Apachenhäuptlings Winnetou, erschossen habe. Ich habe die Rolle allerdings damals auch nicht sonderlich gemocht. Der Santer hatte keinerlei psychologischen Hintergrund, der war einfach nur geradeaus böse. Er hat mich in meiner Karriere lange verfolgt.

Sie sind im Nationalsozialismus groß geworden. Wie erinnern Sie sich an Ihre Jugend?

Um meine Jugend fühle ich mich betrogen. Ich wurde missbraucht, betrogen, verführt. Gott sei Dank war ich nie so sehr vom Nationalsozialismus infiziert worden – was sicher auch daran lag, dass ich im Rheinland groß geworden bin und nicht in Berlin zum Beispiel. In der Provinz gab es nicht so viele von diesen fanatischen Hitlerjungen, die Berlin bis zum letzten Blutstropfen verteidigen wollten.

Wie ist der Krieg für Sie zu Ende gegangen?

Mein letzter Befehl im Dritten Reich lautete, als Mitglied des Volkssturms mit einer Panzerfaust auf einen amerikanischen Panzer zu schießen. Ich hätte den Befehl wohl auch ausgeführt, aber ich musste es dann Gott sei Dank nicht tun, weil es einen besonnenen Vorgesetzten gab. Und der hat damals gesagt: Weg mit den Dingern, Jungs! Geht nach Hause, für uns ist der Krieg aus.

Macht es Sie wütend, wenn Sie sehen und hören, wie die Rechten sich heute wieder in Deutschland bemerkbar machen?

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Nicht wütend, Wut ist keine gute Regung, sie trübt die Urteilskraft. Nein, das macht mich traurig. Ich bin enttäuscht. Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass es in diesem Land wieder so einen Rechtsruck geben könnte. Ich hoffe, dass wir die Demokratie nicht verlieren und auch nicht das vereinte Europa. Die Leute, die behaupten, sie hätten eine Alternative, haben in Wirklichkeit keine. Bei allen Fehlern in der politischen Gegenwart: Wie kann man diese Errungenschaften wegschmeißen wollen? Wiederaufbau, Wohlstand, mehr als 70 Jahre ohne Krieg in einem freien Land: Meine Generation weiß das zu schätzen.

Wie viel Hoffnung setzen Sie auf die jungen Leute, die nun wieder vermehrt zum Protestieren auf die Straße gehen?

Ich hoffe sehr, dass sich die Jugend nicht verführen lässt und dass sie erkennt, was für sie auf dem Spiel steht. Es gibt eine Verpflichtung zum Erhalt von Dingen, die sich über die Zeit bewährt haben. Ich finde es toll, wenn der Nachwuchs jetzt auf die Straße geht. Denn wir Alten tun nicht genug, um zum Beispiel die nahende Klimakatastrophe zu stoppen.

In Ihrem Dokumentarfilm kicken Sie ganz locker mit einer leeren Dose am Strand herum: Fühlen Sie sich so alt, wie Sie laut Geburtsurkunde sind?

Man fühlt sich immer jünger, als man ist. Ich bin noch ganz gut beieinander, verfolge aber kein Fitnessprogramm. Ich mag auch keine Seniorenheiterkeit. Das brauche ich alles nicht. Ich schwimme gern, am liebsten im Meer.

Im Kino sind Sie ungezählte Tode gestorben: Wie sehr macht Ihnen der Tod jenseits der Leinwand zu schaffen?

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Im Kino geht man leichtfertig mit dem Tod um und stirbt sozusagen routinemäßig. In der Wirklichkeit ist das etwas anderes. Ich hoffe mal, mir bei diesem Thema die Gelassenheit zu bewahren, die mir schon früh in meinem Leben nachgesagt worden ist. Ich möchte mich auch nicht wegmogeln. Ich möchte das Sterben so akzeptieren, wie es mir widerfährt. Ich möchte nicht in die Schweiz fahren und Pillen schlucken. Aber wer weiß am Ende, wie es wirklich kommt.

Stellen Sie an sich eine gewisse Altersweisheit fest?

Nein, ich habe weder die Überzeugung noch den Anspruch, mit der Lebenszeit weise geworden zu sein. Ich habe in den vergangenen Jahren viel über mich gesprochen – vor allem in Büchern. Und jetzt spreche ich auch in diesem Film noch einmal über mich. Deshalb möchte ich es künftig mit der wunderbaren Schauspielerin Therese Giehse halten, und deren Erinnerungsbuch hieß: „Ich habe nichts zum Sagen.“ Ich habe jetzt auch nichts mehr zu sagen. Oder jedenfalls nicht mehr so viel.

Was wird wohl nach dem Tod passieren?

Da kann ich Ihnen leider auch nicht mit tröstlichen Erkenntnissen dienen. Meiner Ansicht nach kommt nach dem Tod gar nichts mehr. Es wäre mir allerdings lieber, wenn ich das anders sehen könnte. Es würde den Gedanken ans Sterben sicher erleichtern, wenn man die Gewissheit hätte, dass es ein Danach gibt.

Zur Person: Seine lange Karriere hat Mario Adorf am Theater begonnen. Der nicht eheliche Sohn einer deutschen Röntgenassistentin und eines anderweitig verheirateten kalabrischen Chirurgen, geboren am 8. September 1939 in Zürich, aufgewachsen in der Eifel, gehörte lange zum Ensemble der Münchner Kammerspiele. Von Koryphäen wie Fritz Kortner oder Rolf Boysen schaute er sich manchen Trick ab – auch, was deren Durchhaltevermögen auf der Bühne betraf. Einmal, so erinnert sich Adorf, renkte er sich mitten in der Vorstellung als Stanley Kowalski in „Endstation Sehnsucht“ einen Finger aus. Was tun? Adorf rückte den lästigen Finger unbemerkt wieder zurecht und spielte unverdrossen weiter.

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Nach kleineren Kinoauftritten verkörperte Adorf für den aus Hollywood zurückgekehrten Regisseur Robert Siodmak in „Nachts, wenn der Teufel kam“ (1957) einen psychopathischen Frauenmörder. Die Rolle bedeutete seinen Durchbruch. Doch war er nun erst einmal zu seinem Leidwesen auf schurkische Rollen festgelegt. Eindrücklichstes Beispiel: Im ersten „Winnetou“-Film spielte er Santer, der dem edlen Apachenhäuptling an den Kragen will.

Bis heute ist Mario Adorf in mehr als 200 Rollen zu sehen gewesen. Er drehte mit Heinz Rühmann, Hans Albers, Romy Schneider und Klaus Kinski und war ebenso im italienischen, französischen und amerikanischen Kino präsent. Eine seiner berühmtesten Figuren ist die des Vaters Matzerath in „Die Blechtrommel“. Mit Rainer Werner Fassbinder drehte er „Lola“.

Einer seiner Lieblingscharaktere ist der des großkotzigen Generaldirektors Haffenloher in der München-Serie „Kir Royal“ (1985) von Regisseur Helmut Dietl. Für das Regieduo Volker Schlöndorff und Margarethe von Trotta spielte Adorf im damals so umstrittenen Drama „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ (1975) den zwielichtigen Kommissar Beizmenne. Erwähnen sollte man auch Adorfs Nebenbeschäftigungen als Schwergewichtsboxer, Entertainer oder auch als Sänger. Sein jüngstes Buch trägt den Titel „Schauen Sie mal böse!“ und erzählt von Adorfs Anfangszeit – die bis zu seiner allerersten Rolle in „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ zurückreicht. Das war in Adorfs Heimatstadt Mayen, der Darsteller selbst war vier Jahre alt – und der siebte Zwerg.

Mehr aus seinem bewegten Leben ist vom 7. November an auf der Kinoleinwand zu sehen: In dem Dokumentarfilm „Es hätte schlimmer kommen können“ blickt Mario Adorf zurück.

RND

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