NS-Kunst und die Documenta: wieder eine Stunde null weniger
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Kunstgeschichte als politische Geschichte: Der Schriftzug „documenta“ ist auf einer Fensterscheibe des Documenta-Archivs angebracht. Das DHM in Berlin zeichnet nun die Geschichte der Ausstellung nach.
© Quelle: Uwe Zucchi/dpa
Das Verhältnis zwischen Politik und Kunst ist so komplex wie kompliziert. In der Geschichte finden sich die unterschiedlichsten Beispiele. Schriftsteller wie Emile Zola und Günter Grass etwa engagierten sich in politischen Debatten. Viel öfter aber haben Künstler ihre Werke sprechen lassen. Etwa, indem sie wie George Grosz oder Hannah Höch ihren Protest gegen das politische Geschehen ihrer Gegenwart artikuliert haben.
Wie sehr die bedeutendste deutsche Kunstausstellung der Nachkriegszeit der jungen Bundesrepublik als Aushängeschild diente, wie sehr sie als Bollwerk gegen den „Ostblock“ aufgebaut wurde, wie sehr sie die Westintegration ästhetisch begleiten sollte und wie an ihr die schwierige Abkehr vom Nationalsozialismus gezeigt werden kann, kurzum wie politisch die Documenta war, zeigt nun eine Ausstellung im Deutschen Historischen Museum (DHM) in Berlin.
Der treibende Kopf der Documenta 1 bis 3 war aktiv an Kriegsverbrechen beteiligt
Die Kuratoren der ersten Documenta wollten mit der Rehabilitierung der von den Nationalsozialisten als „entartet“ diffamierten modernen Kunst die Abkehr vom Faschismus auch in der Kunst vollziehen. Die Documenta sollte im Kunstverständnis und in der Kunstpolitik der jungen Bundesrepublik die Stunde null symbolisieren. Doch während der Recherchen zur Ausstellung stieß der Historiker Carlo Gentile auf Quellen, die zeigen, dass der treibende Kopf der Documenta 1 bis 3, Werner Haftmann, nicht nur NSDAP-Mitglied, sondern in Italien aktiv an Folter und Kriegsverbrechen beteiligt war.
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Blick gen Westen: Werner Haftmann (l.) und Arnold Bode.
© Quelle: Wolfgang_Haut
Haftmann war der Mann, der gemeinsam mit dem Sozialdemokraten Arnold Bode als Gründer der Kasseler Ausstellung fungierte. Er öffnete die Kunstausstellung für die Moderne. Allerdings weist die Berliner Ausstellung nach, wie Haftmann verhinderte, dass Werke von jüdischen und kommunistischen Künstlern in der Documenta gezeigt wurden. Es gibt einen Satz von Haftmann, der einem die Sprache raubt: „Die moderne Kunst wurde als jüdische Erfindung zur Zersetzung des ‚nordischen Geistes’ erklärt, obwohl nicht ein einziger der deutschen modernen Maler Jude war.“ Damit wurden von den Nationalsozialisten verfemte oder gar ermordete Juden wie Max Liebermann, Rudolf Levy, Lesser Ury und Lotte Laserstein ein zweites Mal aus der Kunstwelt ausgeschlossen. Die Ausstellung im DHM zeigt einen eigenen Teil über Leben und Werk von Rudolf Levy.
Die Documenta wollte in die Zukunft weisen, die Abgrenzung zum NS-Kunstverständnis stand ebenso im Mittelpunkt wie die neue Orientierung hin zur westlichen Wertegemeinschaft. Hätte sich die Documenta mit den Werken jüdischer Künstler (nur Marc Chagall war auf der d1 zu sehen) beschäftigt, hätte sie sich auch mit den Verbrechen der Nationalsozialisten und mit der Shoah beschäftigen müssen. Das sollte offenbar unter allen Umständen vermieden werden. Zu zeigen, dass dabei auch die politische Gesinnung und die persönliche Vergangenheit Haftmanns eine entscheidende Rolle spielten, ist eines der großen Verdienste dieser Ausstellung.
Kunstausstellung schreibt politische Geschichte
Sie zeigt aber auch, wie mit moderner und ab der d2 dann speziell mit abstrakter Kunst ein ästhetisches Gegenmodell zum sozialistischen Realismus geschaffen wurde. Indem Künstler aus der DDR auf der Documenta bis sage und schreibe 1977 in Kassel ignoriert wurden, schrieb die Kunstausstellung auch in diesem Bereich politische Geschichte.
Im „Zonenrandgebiet“, im 30 Kilometer von der deutsch-deutschen Grenze entfernt liegenden Kassel, sollte die Documenta ein „Schutzschild gegen den Osten“ sein, wie es im Katalog zur Ausstellung heißt. Gleichzeitig wollten die Ausstellungsmacher – im Sinne der jungen Bundesrepublik – durch ihre frühe Hinwendung zu US-Künstlern wie Jackson Pollock und Andy Warhol die neue Weltoffenheit der Bundesrepublik demonstrieren.
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Ikone mit Pinsel: Andy Warhol.
© Quelle: BMW AG/dpa-tmn
Zweite Ausstellung zeigt Kontinuitäten der „gottbegnadeten“ Künstler
An diesem Wochenende nun wird im DHM eine korrespondierende zweite Ausstellung eröffnet. Auch hier wird deutlich, wie eine Stunde null auch in der Kunstwelt eine Mär war. In dieser Schau geht es um die sogenannte Gottbegnadetenliste. Als zum 1. September 1944 im Rahmen der totalen Mobilmachung auch viele Künstler zum Kriegsdienst eingezogen oder an der „Heimatfront“ in Rüstungsbetrieben eingesetzt wurden, waren 1041 von ihnen von diesem Einsatz in der Endphase des Zweiten Weltkriegs ausgenommen. Auf 36 Seiten hatten Joseph Goebbels und Adolf Hitler die Namen von Schriftstellern, Musikern, Schauspielern und bildenden Künstlern zusammengestellt, die als unersetzlich galten.
Die Ausstellung im DHM zeigt nun, wie die junge Bundesrepublik Künstler, die im „Dritten Reich“ Karriere gemacht hatten, etwa mit „Kunst am Bau“-Aufträgen versorgte. Arno Breker, Willy Meller, Werner Peiner, Adolf Wamper sind nur einige Namen. „Zwei Monate vor der ersten Documenta beispielsweise eröffnete Bundespräsident Theodor Heuss den Kongresssaal des Deutschen Museums in München, dessen monumentales Wandmosaik von Hermann Kaspar, dem Chefausstatter der Reichskanzlei, 1935 begonnen und 1955 nach kriegsbedingten Unterbrechungen vollendet worden war”, schreibt Kurator Wolfgang Brauneis im Katalog zur Ausstellung.
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„Sie können somit weiterhin Ihre künstlerische Tätigkeit ausüben“: Auch Eduard Bischoff war vom „totalen Kriegseinsatz“ ausgenommen.
© Quelle: Ostpreußisches Landesmuseum Lüneburg/DHM
Einige dieser Künstler wie Arno Breker sind heute noch bekannt, viele sind vergessen. Ihre Werke aber finden sich noch heute im öffentlichen Raum. Die Ausstellung zeichnet die Wege von zwölf dieser Künstler im Nationalsozialismus und der Nachkriegszeit nach. Unterteilt ist die Ausstellung in einzelne Regionen, in denen die Künstler wirkten.
Erst Reichsadler, dann Bundesadler
DHM-Leiter Raphael Gross wies darauf hin, wie etwa der Bildhauer Willy Meller 1939 ein Relief des Reichsadlers für ein Verwaltungsgebäude in Bochum entworfen hat. Meller war im „Dritten Reich“ ein sehr aktiver und gefragter Künstler, der unter anderem eine „Deutsche Nike“ für das Olympiagelände in Berlin und Arbeiten für die NS-Ordensburg Vogelsang schuf. „Sein Reichsadlerrelief finde ich deswegen interessant, weil er 1952 dieses Mal einen Bundesadler schaffen konnte“, sagte Gross auf der Pressekonferenz zum Ausstellungsbeginn. „Dieses Mal am Haupteingang des Palais Schaumburg in Bonn, der damals der Amtssitz des Bundeskanzlers war.“
Aktiv im Nationalsozialismus, in der DDR und der Bundesrepublik
Auch die Lebensgeschichte von Hans Breker, dem jüngeren Bruder von Arno Breker, wird in der Ausstellung thematisiert. Breker war der einzige Künstler der “Gottbegnadetenliste”, der später auch in der DDR tätig war. Er wurde an die Hochschule für Baukunst und bildende Künste berufen, mit der Auflage, seinen Namen zu ändern. Damit sollte die Erinnerung an seinen Bruder Arno verwischt werden. Hans Breker nannte sich Hans van Breek. 1954 kehrte er nach Düsseldorf zurück, wo er zur NS-Zeit sein Atelier hatte. Breker erhielt in der Bundesrepublik zahlreiche öffentliche Aufträge zur Gestaltung von Plätzen und Denkmälern.
Solche Beispiele findet man in dieser Schau viele. Kontinuitäten waren, so wird hier deutlich, keine Ausnahmen, sondern eher die Regel. Auch im Bereich der bildenden Kunst war eine Stunde null also nicht mehr als ein Schlagwort.
Die Ausstellung „Documenta. Politik und Kunst“ ist noch bis zum 9. Januar 2022 zu sehen. „Die Liste der ‚Gottbegnadeten’. Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik“ schließt am 5. Dezember 2021. Beide Kataloge erscheinen bei Prestel.