Peter Handke zu Nobelpreis: „Ist das wahr?“

Peter Handke, Schriftsteller aus Österreich und  Literaturnobelpreisträger, steht auf dem Grundstück seines Hauses in Chaville.

Peter Handke, Schriftsteller aus Österreich und Literaturnobelpreisträger, steht auf dem Grundstück seines Hauses in Chaville.

Das Literaturparadies, es blieb unzugänglich: Im vergangenen Jahr war die goldverzierte Tür der Schwedischen Akademie in Stockholm geschlossen geblieben. Erschüttert durch die Vorwürfe um sexuellen Missbrauch und Vetternwirtschaft war die Königlich Schwedische Akademie dermaßen beschädigt und intern zerstritten, dass der Literaturnobelpreis 2018 nicht vergeben wurde. Am Donnerstag gab es deshalb zwei Preise, den aktuellen und den für das Jahr 2018. Um Punkt 13 Uhr trat der ständige Sekretär der Akademie, Mats Malm, vor ebenjene goldverzierte Tür und nannte die beiden Preisträger: die polnische Schriftstellerin Olga Tokarczuk für das vergangene Jahr und den österreichischen Schriftsteller Peter Handke für 2019.

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Kritik an Marcel Reich-Ranicki

Handke ist damit der erste deutschsprachige Literaturnobelpreisträger seit Herta Müller vor genau zehn Jahren. In die Literaturwelt trat Handke vor mehr als 50 Jahren mit Aplomb. Bei der heute legendären Tagung der Gruppe 47 in Princeton 1966 kritisierte der damals 23-Jährige mit einem verbalen Rundumschlag die deutsche Gegenwartsliteratur genauso wie die versammelten Literaten Günter Grass bis Peter Weiss und Hans Magnus Enzensberger und attestierte ihnen „Beschreibungsimpotenz“. Auch die anwesenden Literaturkritiker von Marcel Reich-Ranicki bis Walter Jens ließ er nicht aus, die er als „ebenso läppisch wie diese läppische Literatur“ bezeichnete.

Mit den Konventionen brechen

Im selben Jahr führte der Regisseur Claus Peymann Handkes Stück „Publikumsbeschimpfung“ auf. Ein Stück, in dem gesprochen und nicht gespielt wurde – was dann doch wieder zum Spiel wurde. „Sie werden kein Schauspiel sehen. Ihre Schaulust wird nicht befriedigt werden. Sie werden kein Spiel sehen. Hier wird nicht gespielt werden.“ Diese Sätze eröffnen das Stück, das unentwegt seine eigene Inszenierung thematisierte – und zeigen, wie der junge Jurastudent Handke mit den Konventionen brechen will und dabei ununterbrochen das Publikum anspricht. Und ebenfalls im Jahr 1966 war Handkes Debütroman „Die Hornissen“ erschienen. Ein neuer Literaturstar war geboren, auch wenn in den Sechzigerjahren niemand von „Literaturstars“ gesprochen hätte.

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„Der Himmel über Berlin“

In den folgenden 51 Jahren – sein bislang letzter Roman „Die Obstdiebin“ erschien 2017 – schuf Handke ein riesiges Werk. Die bei Suhrkamp, seinem Hausverlag, erscheinende Handke-Bibliothek umfasst 11.400 Seiten. Dazu gehören Schriften mit allein schon umwerfenden Titeln wie „Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt“, „Der kurze Brief zum langen Abschied“, „Die Lehre der Sainte-Victoire“ und „Mein Jahr in der Niemandsbucht“. Einem breiten Publikum wurde Handke durch seinen Krimi „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ bekannt, der 1972 von Wim Wenders verfilmt wurde. Ebenfalls unter der Regie von Wim Wenders kam „Der Himmel über Berlin“ in die Kinos, zu dem Handke das Drehbuch schrieb.

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Auch eines der verrücktesten Beispiele der experimentierfreudigen Literatur der 60er-Jahre stammt von Peter Handke: 1969 erschien sein Gedicht „Die Aufstellung des 1. FC Nürnberg vom 27. 1. 1968“, in der nichts anderes zu sehen war als eben die Aufstellung des 1. FC Nürnberg vom 27.1. 1968 im DFB-Pokal gegen Bayer Leverkusen. Ähnlich wie in der Kunst das Readymade verweist das Werk darauf, dass ein Gedicht nicht nur durch Inhalt und Textmerkmale definiert wird, sondern auch von der Kommunikationssituation zwischen Leser und Text.

Kritik für Balkan-Konflikt

In die Kritik geriet Peter Handke in den Neunzigerjahren wegen seiner Haltung im Balkan-Konflikt. Er stellte sich kategorisch auf die Seite der Serben, verurteilte die Nato-Luftangriffe und hielt 2006 eine Rede auf der Beerdigung des ehemaligen serbischen Präsidenten und Autokraten Slobodan Miloševic. Deshalb gab es vermehrt großen Wirbel um Handke, unter anderem bei Literaturpreisverleihungen – so verzichtete Handke 2006 auf den Heinrich-Heine-Preis der Stadt Düsseldorf, nachdem ihn mehrere Stadträte für seine Pro-Serbien-Haltung kritisiert hatten.

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Der Literaturkritiker Denis Scheck sagte daher mit Blick auf die Entscheidung für Handke: „Die politische Korrektheit hat eine krachende Ohrfeige erhalten, eine Niederlage erlitten.“ Dieser, so Scheck weiter, sei einer der großen Provokateure – er beweise, dass man sich politisch total verlaufen und gleichzeitig Weltliteratur schreiben könne. Handke sei ein „würdiger Preisträger“. Als Einstieg in dessen Werk empfiehlt Scheck „Wunschloses Unglück“. In der Erzählung geht es um den Suizid von Handkes Mutter.

Leise und eindringliche Stimme

Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen zeigte sich ebenfalls erfreut über die Vergabe des Literaturnobelpreises an Peter Handke. „Mit Peter Handke hat ein Autor den Nobelpreis gewonnen, dessen leise und eindringliche Stimme seit Jahrzehnten Welten, Orte und Menschen entwirft, die faszinierender nicht sein könnten“, schrieb Van der Bellen bei Twitter. Und Elfriede Jelinek, die den Literaturnobelpreis 2006 erhielt, jubelte: „Großartig! Er wäre auf jeden Fall schon vor mir dran gewesen.“ Es sei „höchste Zeit“, dass Handke diese Auszeichnung erhält.

Der Suhrkamp-Verlag unterstrich die Vielseitigkeit des Nobelpreisträgers: Wer sich wie Peter Handke zum Grundsatz gemacht habe, ein literarisches Verfahren nur ein einziges Mal anzuwenden, „entwickelt sich zum Erfinder immer neuer Weltmodelle, schafft ein in seinem Facettenreichtum nie da gewesenes Oeuvre, jedes Buch eine Überraschung, das Ganze, zusammengenommen, die Summe einer Welterfahrung, wie nur Peter Handke zu leisten imstande ist“, heißt es in einer Stellungnahme. „Und wer mit der ganzen literarischen Tradition derart vertraut ist, darf zu Recht als traditionell-revolutionärer Weltliterat gelten.“

Überschreiten von Grenzen als Lebensform

Auch der Nobelpreis für das Jahr 2018 geht nach Europa. Ihn erhält die polnische Autorin Olga Tokarczuk. Die Nobelpreisjury lobte ihre „erzählerische Vorstellungskraft, die mit enzyklopädischer Leidenschaft das Überschreiten von Grenzen als Lebensform“ repräsentiere.

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Die 57-Jährige ist vor allem für ihre Romane bekannt.

Ihre erste Veröffentlichung war allerdings 1989 ein Gedichtband. Vier Jahre später erschien dann der Roman „Die Reise der Buchmenschen“. In Deutschland wurde sie mit ihrem dritten Roman „Ur und andere Zeiten“ bekannt. Dieses Buch spielt in dem fiktiven Ort Ur. Aus der Perspektive von Engeln wird von drei Generationen und zwei Weltkriegen erzählt.

Freude über die Auszeichnung: Die polnische Autorin Olga Tokarczuk spricht am Donnerstag bei einer Pressekonferenz in Bielefeld.

Freude über die Auszeichnung: Die polnische Autorin Olga Tokarczuk spricht am Donnerstag bei einer Pressekonferenz in Bielefeld.

Im vergangen Jahr konnte sich Olga Tokarczuk, die in Polen die bekannteste Schriftstellerin der Gegenwart ist, bereits über eine wichtige Auszeichnung freuen. Sie (und ihre Übersetzerin ins Englische) erhielt den Man Booker International Prize für den Roman „Flights“, der in deutscher Sprache unter dem Titel „Unrast“ erschien (Schöffling & Co). Ihr bislang letzter Roman erschien erst vor wenigen Tagen. „Die Jakobsbücher“ umfasst 1100 Seiten und erscheint wie ihr Gesamtwerk bei Kampa.

Ein großer Tag für die polnische Literatur

Als Erfolg für sein Land hat Polens Kulturminister Piotr Glinski die Verleihung des Literaturnobelpreises an die Schriftstellerin Olga Tokarczuk gewertet. Die Auszeichnung sei ein klarer Beweis dafür, dass die polnische Kultur auf der ganzen Welt geschätzt werde, teilte Glinski am Donnerstag per Kurznachrichtendienst Twitter mit. Ebenfalls auf Twitter schrieb der polnische Präsident Andrzej Duda: „Ein großer Tag für die polnische Literatur.“ Als ausdauernder Leser bezeichnete sich der polnische Politiker und EU-Ratspräsident Donald Tusk in seiner Twitter-Gratulation. „Welche Freude und welcher Stolz!“, schrieb Tusk. Er sei ein „treuer Leser, der alles von Anfang bis zum Ende gelesen“ habe.

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Dass in diesem Jahr zwei Literaturnobelpreisträger bekannt gegeben wurden, lag an einem riesigen Skandal, der die Schwedische Akademie erschüttert hatte. Mehrere Frauen hatten dem Ehemann des mittlerweile ausgetretenen Akademiemitglieds Katarina Frostenson, Jean-Claude Arnault, sexuelle Übergriffe und Belästigung vorgeworfen.

Beide Preisträger reisen nach Stockholm

Gegen Frostenson und Arnault gab es zudem Anschuldigungen, die Literaturnobelpreisträger vorab entgegen den strengen Nobelpreisstatuten verraten zu haben. Der Literaturnobelpreis ist mit jeweils 9 Millionen schwedischen Kronen (rund 830.000 Euro) dotiert. Er wird in der Regel jährlich von der Schwedischen Akademie vergeben, die nominell 18 Mitglieder hat. Nach diversen Rücktritten während der Krise von 2018 wurden inzwischen sieben Mitglieder neu gewählt. Die Entscheidung über die Preisträger dieser beiden Jahre traf das ebenfalls neu gebildete Nobelkomitee, dem vier Akademiemitglieder und fünf externe Experten angehören.

Trotz der Negativschlagzeilen um die Schwedische Akademie aus dem Vorjahr wollen beide Literaturnobelpreisträger zur Preisverleihung nach Stockholm kommen. „Beide haben zugesagt“, sagte der Vorsitzende des Nobelkomitees der Akademie, Anders Olsson, während der Bekanntgabe der Preise 2018.

Handke sei zu Hause gewesen, als er den Anruf der Juroren erhalten habe, sagte Olsson. „Er war sehr, sehr gerührt. Erst hat er kaum ein Wort herausbekommen.“ Dann habe der Österreicher gefragt: „Ist das wahr?“

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Der ständige Sekretär der Akademie, Mats Malm, berichtete davon, dass Tokarczuk gerade während einer Lesetour in Deutschland im Auto gesessen habe. Deshalb habe sie erst einmal am Straßenrand anhalten müssen, um die Botschaft entgegenzunehmen.

Lesen Sie bitte auch: Peter Handke und Olga Tokarczuk erhalten Literaturnobelpreise

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