„Roman J. Israel, Esq.“ – Ein Moralist wankt
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Guter Mann in Not: Pflichtverteidiger Roman Israel (Denzel Washington) gibt viel auf seine Unbeugsamkeit.
© Quelle: Foto: Sony
Hannover. In seinen 41 Dienstjahren hat Denzel Washington von „Philadelphia“ über „Malcolm X“ und „Training Day“ bis hin zu seiner eigenen Regiearbeit „Fences“ die verschiedensten Charaktere verkörpert. Gemeinsam war jedoch fast allen Figuren – egal auf welcher Seite des moralischen Spektrums sie sich befanden – ihr starkes Charisma, das der afroamerikanische Star-Schauspieler aus scheinbar unerschöpflichen Reserven in seine Rollen injizierte.
Israel blieb den Idealen der Bürgerrechtsbewegung treu
Genau damit scheint Washington nun in seinem neuen Film brechen zu wollen. Mit riesiger Brille, unförmigem Afro-Look, schlecht sitzendem Anzug, überdimensionierter Krawatte und einigen Kilos über dem Idealgewicht tritt er in Dan Gilroys „Roman J. Israel, Esq.“ vor die Kamera, deren neugierigen Blicken er stets auszuweichen scheint. 26 Jahre lang hat Roman als zweiter Mann in einer Anwaltskanzlei gearbeitet, die sich der Verteidigung der Bürgerrechte verschrieben hat und gegen die Kriminalisierung der afroamerikanischen Community eingetreten ist.
Sein Chef trat vor Gericht auf, während Roman sich im Hinterzimmer in die Akten vergrub und die juristische Recherchearbeit leistete. Materiell hat es Roman zu nichts gebracht, aber er ist stolz darauf, dass er den Idealen der schwarzen Bürgerrechtsbewegung treu geblieben ist. Das alte dreistöckige Mietshaus, in dem er lebt, ist umgeben von Baugruben, aus denen sich riesige Luxuswohnanlagen langsam in den Himmel hocharbeiten.
Ein Mann wie aus der Zeit gefallen
Genauso verloren und aus der Zeit gefallen wirkt auch Roman in dieser modernen Welt, die keine Werte mehr zu haben scheint, oder vor Gericht, wo die Staatsanwälte Höchststrafen für Bagatelldelikte fordern, um die Angeklagten danach mit Deals zu einem Schuldeingeständnis zu bewegen. Als der Chef nach einem Herzschlag im Koma liegt und der gewievte Anwalt George Pierce (Colin Farrell) die Abwicklung des finanziell angeschlagenen Unternehmens übernimmt, gerät Romans materielle und ideelle Existenz ins Wanken. Zum ersten Mal bricht er nicht nur seine eigenen moralischen Regeln, sondern auch das Gesetz, um sich eine Belohnung von 100 000 Dollar zur erschleichen – ein Fehltritt mit weitreichenden Folgen.
Wie schon in seinem beachtlichen Regiedebüt „Nightcrawler“ stellt Dan Gilroy auch in „Roman J. Israel, Esq.“ eine Charakterstudie ins Zentrum der Erzählung, in der aus dem Augenwinkel heraus die gesellschaftlichen Verhältnisse reflektiert werden. Machte Jake Gyllenhaal in „Nightcrawler“ als narzisstischer Kameramann ohne ethische Maßstäbe in der Medienbranche Karriere, ist dieser Roman J. Israel ein moralisches Relikt aus einer längst vergangenen Ära, das an der sozialen und juristischen Rücksichtslosigkeit der Gegenwart zu verzweifeln droht.
Washington spielt seine Rolle an der Grenze zum Autismus
Washington spielt den politischen Überzeugungstäter in der Krise mit nervösen Ticks, ausweichenden Blicken und herunterhängenden Wangen an der Grenze zum Autismus. Und Gilroy lässt keinen Raum für politische Nostalgie, sondern zeigt wie sich Roman selbst vom eigenen Sockel stürzt, indem er eine individualistische, eigennützige Entscheidung mit fatalen Folgewirkungen trifft.
Mit seiner Selbstdekonstruktion versucht sich der Idealist der vollkommen unidealistischen Umgebung anzupassen und scheitert dabei auf tragische Weise. Diese interessante Anti-Katharsis steht jedoch leider auf sehr wackeligen, dramaturgischen Beinen. Gilroy gelingt es nicht, sein Vorhaben in einem schlüssigen Plot voranzutreiben. Immer wieder verläuft er sich in Nebenhandlungen und symbolischen Erzählgesten. Es ist – wieder einmal – Washington, der den Film auch ohne Charisma-Anstrengungen mit einer stimmigen, komplexen Performance zusammenhält.
Von Martin Schwickert/RND