„The Looming Tower“ und mehr DVD-Tipps
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Hannover. Hereditary. Filme über die Wege des Teufels, seines Höllenadels und böser, ewiger Seelen gibt es viele. Die meisten sind lachhaft - wenige sind wirklich bewegend, erschreckend und klug wie "Schloss des Schreckens" (1961), "Rosemarys Baby" (1968), "Der Exorzist" (1973), "Shining" (1980) oder "The Witch" (2016). Ari Ashers "Hereditary" gehört unbedingt in diese Reihe.
Wie alle anderen erzählt er vordergründig vom Zerfall einer Familie, in seinen tiefsten Abgründen von Disintegration und dem Verschließen des vor sich selbst erschrockenen Ich selbst vor den Nächsten. Der Tod der Großmutter setzt in der Familie der Künstlerin Charlie (Toni Collette) eine Kette von Ereignissen in Gang, die schließlich in okkulte Abgründe führt. Der Langfilmdebütant Asher ist ein Virtuose des Grauens, baut ein Geheimnis auf - behutsam, langsam, hochwirksam - das er mit beunruhigenden bis schockierenden Bildern bestückt.
„Hereditary“ ist ein großkalibriges Schreckensstück, wie ein immer größer werdender Riss in der Welt, durch den man nicht nur in das kakofonische Universum des Wahnsinns schauen kann, sondern durch das dieses Universum in unseres tropft, sickert, schließlich schwappt.
Großartige Kameraarbeit, Kubricksche Sorgfalt des Bildaufbaus, kongeniale Musik, dazu Schauspieler, die den unvorstellbaren Einbruch des Paranormalen ins Rationale glaubwürdig wirken lassen und dem Zuschauer das Gefühl vermitteln, das wohlfeile Gefüge der Gesellschaft sei stets nur eine Handbreit von Zerstörung und Chaos entfernt.
Dieser Film erschreckt, speziell in den Zeiten Donald Trumps, noch auf einer tieferen Ebene. Auf jeden Fall aber blickt man danach wieder eine Weile beunruhigt in dunkle Ecken, weil man meint, dort, wo eigentlich nichts sein dürfe, habe sich etwas bewegt. Chapeau!
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Hereditary
© Quelle: WVG Medien
The Looming Tower – Miniserie. Spät kommt der große Jeff Daniels übers Qualitätsfernsehen zu seinem verdienten zweiten Frühling - als aufrechter Nachrichtenmann ("Newsroom"), als komplett durchgeknallter Wildwestbandit ("Godless") und nun als FBI-Agent in Hulus "The Looming Tower".
Die Miniserie nach dem Pulitzer-Preis-gekürten Sachbuch „Der Tod wird euch finden: Al-Qaida und der Weg zum 11. September“ des Journalisten Lawrence Wright erzählt, wie sich FBI-Mann John O’Neill (Daniels) und CIA-Agent Martin Schmidt (Peter Sarsgaard) im Vorfeld des Angriffs auf Amerika ob sich überschneidender Kompetenzen bekämpfen, und mit ihrem Fixiertsein aufeinander dem unbeobachteten Terror letztlich den Weg bereiten.
Das Ende der Geschichte ging 2001 in den schockierenden Bildern der fallenden Türme um die Welt, es ist der Weg dorthin, den Serienschöpfer Dan Futterman in exquisiten Dialogen und mit hervorragenden Schauspielern abbilden.
Was eine nervtötend langweilige Geschichtsstunde hätte werden können, gerät zum spannenden, temporeichen Politthriller. Kommende Staffeln sollen sich – laut Anbieter Hulu – mit anderen Kapiteln des amerikanischen Antiterrorkampfes beschäftigen.
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The Looming Tower
© Quelle: Warner
El Dorado. Das Schiff nähert sich dem Boot. Mehr als 100 Flüchtlinge werden gezählt, es ist schwer, die Verzweifelten zur Ruhe zu bekommen, geordnet für alle Schwimmwesten auszugeben, bevor sie dann endlich an Bord des Rettungsschiffs dürfen.
Man sieht zum ersten Mal eine solche Rettungsaktion im Detail und fühlt sich sofort beschämt vom Abschottungsverhalten des reichen Europa, fühlt einen unbändigen Groll gegen all jene, ein problemarmes Leben gewohnten Leute aufsteigen, die in den gesicherten Verhältnissen einer reichen Demokratie gegen die Anwesenheit von Flüchtlingen nicht nur demonstrieren, sondern sie jagen und dabei zum Vokabular und der Straßenbrutalität des Nationalsozialismus zurückkehren.
Der Schweizer Filmemacher Markus Imhoof („More Than Honey“) hat seine Doku „El Dorado“ aus sehr persönlichen Gründen gedreht. Als Kind hatte seine Familie ein italienisches Mädchen aus ärmlichen Verhältnissen aufgenommen, um es „aufzupäppeln“ – ein Handel mit dem faschistischen Italien, das für die Aufnahme von drei seiner hungernden Kinder einem in der Schweiz untergekommenen deutschen Juden die Flucht vor Hitlers Lagern ermöglichte.
Erinnerungen und Briefzitate der jungen Italienerin werden immer wieder in die Geschichte des afrikanischen Exodus eingebettet. Der Zuschauer muss den Gedankensprung selber machen: Dass hinter den erschöpften Hundertschaften auf den Booten und den Hundertschaften auf Italiens Tomatenplantagen, den dort für billig Geld schwer arbeitenden Männern und den Frauen, die sich in einem Elendscamp an Italiener prostituieren müssen, Einzelschicksale wie das der jungen Silvana stecken.
Der sanfte Blick Imhoofs entdeckt dem Zuschauer die Zynismen der Flüchtlingskrise, ein Europa in Schande, dessen Werte nichts wert sind, dass seine Ideen verraten und sich selbst beschmutzt hat.
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El Dorado
© Quelle: Majestic
The Woman Who Left. 30 Jahre war die philippinische Lehrerin Horacia (überwältigend gespielt von der einflussreichen Filmproduzentin Charo Santos-Concio) in Haft. 30 Jahre hat sie im Lager Häftlinge unterrichtet und sich eingerichtet in einem Leben in Unfreiheit. Dann gesteht eine andere Frau den Mord und Horacia kommt frei, um festzustellen, dass sich alles verändert hat und sie im Jahr 1997 vor der Welt steht wie eine Betrachterin im Museum, die vergeblich versucht, Teil des Bildes zu werden.
So beschließt die Frau sich an dem Mann zu rächen, der ihr Leben zerstört hat. Das bahnt sich langsam an, sehr langsam, die Heldin befreundet sich zunächst mit drei Underdogs der philippinischen Gesellschaft - einer Bettlerin, einer epileptischen Transfrau und einem buckligen Snackverkäufer, die sie für ihre Pläne benutzt.
Und obwohl Lav Diaz‘ „The Woman Who Left“ mit 226 Minuten 14 Minuten länger ist als William Wylers „Ben Hur“ und sechs Minuten länger als Cecil B. De Milles „Die zehn Gebote“, ist diese auf einer Kurzgeschichte von Tolstoi basierende Geschichte einer bemerkenswerten Rückkehr in ihren kontrastreichen Schwarzweißbildern, die an den frühen Tonfilm und den italienischen Neorealismus erinnern, niemals auch nur eine Sekunde zäh.
Ein stilles, bewegendes Meisterwerk über die Unbilden und Härten des menschlichen Daseins, das sozialkritisch die Instabilität der von Massenentführungen gebeutelten philippinischen Gesellschaft spiegelt und in Venedig verdient mit dem Goldenen Löwen der Filmfestspiele ausgezeichnet wurde.
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The Woman Who Left
© Quelle: Alamode
7 Tage in Entebbe. Ist die eigene politische Sache nicht in einem erträglichen Zeitraum auf friedlichem Wege durchsetzbar, gibt es immer Gruppen, die den Weg in den Krieg wählen. In ihrem Selbstverständnis sind sie Freiheitskämpfer, in der Sichtweise des bekämpften Systems sind sie Terroristen.
Ein Quartett aus deutschen und palästinensischen Angreifern kaperte 1976 einen französischen Jet mit vielen isralischen Passagieren und verbrachten sie nach Entebbe, ins Uganda des Diktators Idi Amin Dada. Die Augen der Welt sollten auf die Revolution gerichtet werden, die indes kaum Rückhalt in den Gesellschaften des Westens hatte.
José Padilha („Tropa de Elite“) erzählt diese wahre Geschichte in seinem Politthriller „7 Tage in Entebbe“ nach, zeigt, wie die israelischen Passagiere selektiert wurden und sich die arabischen und die deutschen Geiselnehmer darob entzweiten. „Ich habe Angst vor einem Leben ohne Bedeutung“, legt Kuhlmann in einer Szene das Bekenntnis ab, eine Leere mit irgendetwas gefüllt zu haben.
Rosamund Pike, Daniel Brühl, Lior Ashkenazi und Eddie Marsan spielen die Hauptrollen in einem Drama, in dem die Opfer (und damit die Klaustrophobie) weitgehend gesichtslos bleiben. Dennoch ist Padilhas Film dem seelenlosen ersten Versuch einer Verfilmung weit überlegen. Marvin Chomsky hatte sein eilig gefilmtes, oberflächliches Spektakel „Unternehmen Entebbe“ noch im Terrorjahr 1976 mit großer Starbesetzung (Burt Lancaster, Elizabeth Taylor, Kirk Douglas) ins Kino geworfen.
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7 Tage in Entebbe
© Quelle: eOne/Fox/Participant Media
A Beautiful Day. Dieser Film könnte auch ein Sozialdrama sein. Der Mittvierziger mit dem Pferdeschwanz und dem Rübezahlbart schimpft seine demente Mutter, weil sie sich ohne ihn Hitchcocks "Psycho" im Fernsehen angesehen hat und deshalb jetzt nicht einschlafen kann. Er putzt das Bad, wenn sie wieder mal das Wasser hat überlaufen lassen. Und er seufzt schwer wegen der verwitterten Sachen im Kühlschrank. Ein guter Sohn, einer, der das Glück selbst nie gefunden hat, kümmert sich und löst den Generationenvertrag ein.
Dann gibt es noch eine zweite Geschichte, die damit beginnt, dass der Mann in den ersten Minuten von Lynne Ramsays „A Beautiful Day“ in einem Hotel Sachen verschwinden lässt. Joe (Joaquin Phoenix) war mal beim Militär, dann beim FBI. Er ist ein Spezialist für Kidnappings, er befreit minderjährige Entführungsopfer und bestraft die Verantwortlichen mit seinem Hammer.
Er ist ein Rächer wie Batman, nur trägt er Käppi statt Cape. Zugleich ist er ein Gefangener seiner Vergangenheit, den Erinnerungen an eine schlimme Kindheit quälen, den Flashbacks von Lastwagen voller toter Mädchen aus dem Schlaf hochschrecken lassen, der sich in asphyxische Situationen begibt, um das Heute zu spüren und das Gestern zu verdrängen.
Wir werden Zeuge eines neuen Auftrags, der Befreiung einer Senatorentochter (Ekaterina Samsonov) aus einem Bordell. Stoisch erledigt Joe den Job, der dann anders verläuft als gewohnt. Das gerettete Mädchen wird erneut entführt und Joe, der den Überfall überlebt, muss ein Rätsel lösen, ein Komplott durchschauen, fliehen und zugleich angreifen, um jene Nina doch noch zu retten. Man kann den Wahnsinn spüren, der im Gesicht des großartigen Phoenix heraufzieht.
Ramsay findet ungewöhnliche Bilder für das thrillerartige Psychogramm eines Mannes, der erkennt, für welche Leute er all die Jahre seinen Kopf hingehalten hat. Und sie illuminiert diese Bilder mit der Musik des Radiohead-Gitarristen Jonny Greenwood, die man akustischen Kummer nennen könnte. Die unglaubliche Gewalt zeigt sie als Resultat, sie überlässt es dem Betrachter, sie sich auszumalen. Im Kopf spukt einem nach alldem Woody Guthries Song „If I had a Hammer“ herum, obwohl der gar nicht im Soundtrack enthalten ist.
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A Beautiful Day
© Quelle: Constantin
Wahrheit oder Pflicht. Lucy Hale, die puppenhafte Aria Montgomery aus sieben Staffeln des Teenie-Thrillers "Pretty Little Liars" (die letzten drei davon ziemlich ermüdend), spielt die Hauptrolle in diesem Teenage-Horrorfilm. Eine Gruppe von Freunden fährt darin zum letzten gemeinsamen Wildsein vorm Ernst des Lebens zum Springbreak nach Mexiko. Dort werden sie von einem fremden Jungen in eine alte Kirche gelockt, der sie zu einer Runde "Wahrheit oder Pflicht" überredet.
Das Spiel hat ein unseliges Eigenleben, es „folgt“ den Helden von Jeff Wadlows Film nach Amerika und zwingt sie zu Enthüllungen und Mutproben, die zu Entzweiung und Tod führen. Der übliche Gruselnonsens muss zur Überwindung des Bösen erledigt werden: Ein Spruch muss siebenmal wiederholt werden, eine ziemlich schwer zu erbringende Opfergabe in einem versiegelten Gefäß in einer stillgelegten mexikanischen Kirche versteckt werden - damit ist der Dämon angeblich zu vertreiben.
Ein Film nach dem „Final Destination“-Muster, geimpft mit dem viralen Horror von „The Ring“. Einige Male schafft es der Regisseur in diesem möglichen Auftakt zu einem neuen Trash-Franchise auch, dem Zuschauer Schauer über den Rücken zu jagen. Aber wer die Wahrheit wissen will: Wadlow erledigt seine Pflicht, durch die Logiklöcher kann man Brote werfen, die Kür lässt auf sich warten.
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Wahrheit oder Pflicht
© Quelle: Universal
I, Tonya. Es ist eine traurige Komödie nach einer wahren, bösen Geschichte, die hier von Regisseur Craig Gillespie und Drehbuchautor Steven Rogers erzählt wird. Von einer Eiskunstläuferin von ganz unten, die instrumentalisiert, geliebt, gehasst und vergessen wurde. Jedenfalls wusste Margot Robbie, berühmt geworden als Superschurkin Harley Quinn in "Suicide Squad", nicht, wer ihre "Figur" Tonya Harding war.
Die älteren Zuschauer, die sich noch an die Medienberichte des Jahres 1994 erinnern können, haben das Bild von der kaltschnäuzigen „Eishexe“ im Kopf, die Nancy Kerrigan, ihre aussichtsreichste Gegnerin, ausschalten lassen wollte, indem sie Leute anheuerte, die ihr das Knie zertrümmern sollten – ein Attentat, dessen Kenntnis Harding leugnete.
Robbie schlüpft in die Haut einer verbissenen jungen Frau, an der zeitlebens der Minderwertigkeitskomplex der White-Trash-Herkunft nagte, die sich verspottet fühlte von den Eisprinzessinnen aus gutem Hause, die von ihrer lieblosen, hexenhaften Mutter LaVona (Allison Janney) angetrieben und von ihrem Ehemann Jeff (Sebastian Stan) geschlagen wurde.
Robbie bietet dem Publikum überzeugend eine ambivalente Figur an, die in einem unmöglichen Umfeld versucht, ihren Traum zu leben. Die komödienhaften Männerfiguren, die, um Harding zu helfen, das Attentat durchziehen, erscheinen als ausgemachte Dilettanten. Bleibt die Frage: Was ist die Wahrheit? Wem kann man trauen?
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I, Tonya
© Quelle: dcm
Madame Aurora und der Duft von Frühling. Madame Aurora (Agnès Jaoui) ist immer noch schön, auch immer noch sexy in ihrem schwarzen Lederrock, aber mit 60 naht sich leise der Herbst des Lebens. Sie erfährt erste Zurückweisungen und Abnabelungen: Der Chef nennt sie stur Samantha und versteckt sie in der Bar seines Restaurants, die beiden Töchter sind im eigenen Leben angelangt, die Menopause ärgert mit ihren Wallungen und an der Lebensgefährtenfront erscheint der erste Jugendfreund, den Aurora während seiner Militärzeit zugunsten von dessen bestem Freund abserviert hat.
Und der ist kein Draufgänger sondern – auch aufgrund der mit Aurora gemachten Erfahrungen – eher rückzugsorientiert. Blandine Lenoirs „Madame Aurora und der Duft von Frühling“ ist eine melancholisch-süße Komödie über die zweite Morgenröte, mit leichter Hand gedreht, nicht makellos gewachst wie Hollywoods vergleichbare, oft verlogene Romantikmärchen über den doch hohen Lebenswert auch des Alters, sondern lebendig, amüsant, traurig, ermutigend und von Wahrhaftigkeit durchdrungen.
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Madame Aurora und der Duft von Frühling
© Quelle: Tiberius Film
Das schweigende Klassenzimmer. Die Geschichte ist wahr. Eine Schulklasse in der DDR solidarisierte sich durch eine Schweigeminute im Klassenzimmer mit den Ungarn, deren Aufstand 1956 von sowjetischen Panzern gebrochen wurde. Gesehen haben sie die unerhörten Vorgänge in einer Kinovorschau im Westen.
Um ein Haar wäre nichts passiert, der Rektor in Stalinstadt (heute Eisenhüttenstadt) schien geneigt, die Sache wegen Geringfügigkeit auf sich beruhen zu lassen. Doch ein Lehrer auf Parteilinie bekommt Wind von der Sache, dann die Schulrätin und ein Minister – und schon werden Verrat und Defätismus gewittert, muss ein Exempel an den jugendlichen konterrevolutionären Kräften statuiert werden. Die Schüler sollen den Verantwortlichen in ihren Reihen denunzieren, andernfalls wird die ganze Klasse vom Abitur ausgeschlossen.
Lars Kraume („Der Staat gegen Fritz Bauer“) erzählt in „Das schweigende Klassenzimmer“ von der Angst der Diktaturen vor den eigenen Bürgern, ihrem Hass auf und ihrem Wüten gegen das eigene Volk. Mit einem sehenswerten Ensemble aus Jungschauspielern kämpft hier die Moral gegen die Ideologie. Jördis Triebel und Burghart Klaußner spielen die Rollen der linken Betonköpfe, deren Treiben nahtlos an das der NS-Bürokraten anschließt.
Während auf den Straßen diverser Städte die Möchtegerns einer nächsten Diktatur sich in Hetzjagd und Verbalinjurien üben, kann der Normalbürger anhand dieses Films für sich entscheiden, ob er noch einen dritten diktatorischen Staat auf deutschem Boden ertragen möchte.
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Das schweigende Klassenzimmer
© Quelle: Studiocanal
Freddy/Eddy. Frau weg, Kind weg, Mann am Boden. Wie ein Schatten ist der Maler Freddy Jellik (Felix Schäfer) unterwegs, der Blick seiner Ehefrau Sandra im Treppenhaus des Gerichts, ist wissend, hinterhältig - klar, dass dieses Biest in Frauengestalt ihm das Sorgerecht für den Sohn entziehen wird. Aber schnell wechselt die Sichtweise: Freddy hat seine Frau brutal zusammengeschlagen, nachdem er sie mit einem anderen erwischt hat. Überhaupt ist er schnell mit den Fäusten und scheint sich hinterher an nichts erinnern zu können.
Dann sitzt da eines Abends Eddy in seinem Atelier, sein imaginärer Freund aus Kindertagen, der ihm gleicht, den kein anderer sehen kann, der aber kein verunsicherter, gebrochener Mann ist, sondern ein Regler, ein Macher, ein verführerischer, diabolischer Manipulator und Haudrauf. Freddy und Eddy tun sich bald offiziell zusammen, um Freddys Leben zu richten, aber natürlich beschleunigt das Bündnis der beiden Persönlichkeiten den Niedergang Freddys nur.
Viele Erinnerungslücken, Flashbacks, Halluzinationen, irritieren den Zuschauer. Gespaltene Persönlichkeit, „Jekyll und Hyde“, Zwillingsmotiv, Gewalttätigkeitsgen, „Fight Club“- eine von den „Was ist eigentlich mit dem Protagonisten los?“-Geschichten bricht sich hier Bahn. Die neue Nachbarin (Jessica Schwarz) und ihre Tochter (Greta Bohacek) bringen etwas Schwung und Fröhlichkeit in Freddys Leben, wobei der Zuschauer sich nur fragt, wann und auf welche Weise er diesen ausnehmend netten Leuten seine dunkle Seite zeigen wird.
Bis in die Nebenrollen (Burghart Klaußner, Robert Stadlober) ist dieser Psychothriller erstklassig besetzt. Aber Regisseurin Tini Tüllmann kriegt ihre Erzählung nicht plausibel, Freddys Ungereimtheiten werden zu Ungereimtheiten des Films, und wie immer glaubt zunächst der Zuschauer an seine eigene Unzulänglichkeit. Die Kurve, die Tüllmanns Streifen dann in der zweiten Hälfte kratzt, die in der Verwandlung des charmanten Schäfer in ein Jack-Nicholson-Imitat gipfelt, ist überraschend und enttäuschend zugleich.
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Freddy/Eddy
© Quelle: Eurovideo
I Feel Pretty. Renée (Amy Schumer) hat immer das Nachsehen. Sie ist schusselig, mollig, keine Schönheit im sogenannten "klassischen Sinn". Ihre attraktiveren Geschlechtsgenossinnen haben Erfolg, innere Werte und Intelligenz scheinen keine Rolle zu spielen. Renées größter Wunsch: Auch so zu sein.
Nach einem Unfall im Fitnessraum geht er in Erfüllung, sieht sie sich plötzlich mit Topfigur im Spiegel und glaubt, die gute Fee oder ein magisches Irgendwas hätte ihren größten Wunsch erfüllt. Problem: Alle anderen sehen Renée weiterhin so proper wie sie ist. Daraus ergeben sich jede Menge seltsamer Situationen, von denen einige auch witzig sind.
Über mehr als die halbe Länge des Films führen die Regisseure Abby Cohn und Marc Silverstein hier allerdings nur eine dickliche Frau an der Nase herum. Das Selbstbewusstsein, das ihre Umgebung ermuntert, ihr Chancen zu geben, das sie attraktiv für Männer und Frauen macht, das ihr Zutritt in die angesagtesten Clubs verschafft, basiert allein auf ihrem Glauben, über Nacht schlank und schön geworden zu sein. Renée bestätigt also das Klischee.
Am Ende wird das Ganze dann doch noch gewaltsam zu einem Plädoyer für ein neues Frauenbild umgebogen -durch einen Monolog Renées auf dem Laufsteg. Da wird der Film dann vollends zum kruden Märchen, das mit dem wahren Leben (leider) nichts zu tun hat.
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I Feel Pretty
© Quelle: Concorde
Von Matthias Halbig