„Wir müssen den Jungen zeigen, wie ,wild’ geht“
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Betrachtet das Schicksal „eher wagnerianisch“: Heinz Rudolf Kunze hat mit seiner Band unter dem Albumtitel „Schöne Grüße vom Schicksal“ 15 neue Songs eingespielt.
© Quelle: Martin Huch
Texte schreibt er alle Tage, am liebsten würde er drei Alben pro Jahr herausbringen, er glaubt an eine höhere Ordnung und die Allianz von Rap und Rechts ist ihm schon lange verdächtig. Der Liedermacher und Rockmusiker Heinz Rudolf Kunze (61) möchte Musik machen bis ans Ende seiner Tage, am liebsten mit seiner derzeitigen Band, mit der es so harmonisch ist „wie in der Hippiezeit“.
Herr Kunze, „Schöne Grüße vom Schicksal …“ heißt Ihr neues Album. Fehlt da nicht noch der eigentliche Gruß, etwa, „… lass den Kopf nicht hängen“ oder „… rutsch mir den Buckel runter?“
Gar nichts fehlt da. (lacht). Diese 15 Stücke sind einfach 15 „schöne Grüße vom Schicksal“, von dem, was dir als Mensch bestimmt ist. Das Wort Schicksal habe ich gewählt, obwohl ich mir darüber klar bin, dass es im Deutschen negativ besetzt ist. Da ist immer die Rede vom, schweren, düsteren, dräuenden Schicksal. Eigentlich meinte ich mehr „Geschick“ oder „Fügung“. Es kann auch offen sein oder sogar positiv.
Glauben Sie denn an das Schicksal? Gibt es eine höhere Macht?
Das weiß ich nicht, aber ich hoffe es. Ich möchte, dass es irgendein Gefüge gibt, einen Plan - auch wenn ich ihn nicht verstehe. Mir ist die Vorstellung unangenehm, die mein Kollege Heiner Lürig hat, der ein knochenharter Naturwissenschaftler und Atheist ist. Ich möchte so nicht leben. Alles nur eine zufällige Zusammenballung von Molekülen, alles nur Chemie und Physik? Das reicht mir nicht. Ich kann ihm das Gegenteil nicht beweisen, er mir aber auch nicht.
Was ist Ihr Schicksal?
Mein Schicksal ist das, was aus mir geworden ist. Und dafür bin ich dem Schicksal unterm Strich auch dankbar. Dass ich das tun durfte, was ich mir innigst gewünscht habe, seit ich elf oder zwölf Jahre alt bin. Das sah lange Zeit nicht so aus, ich habe es auch gar nicht bewusst verfolgt. Ich war kein besonders aktiver Musikamateur, eher ein introvertierter, resignierter, der dachte, es interessiert keinen Schwanz, was ich denke, schreibe, tue. Und nur durch eine glückliche Fügung von vielen Dingen, hat sich daraus meine Karriere ergeben.
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„Ich würde es noch mal machen. Würde mir keinen anderen Lebensweg suchen wollen.“
© Quelle: MARTIN HUCH
Hätten Sie es sonst irgendwann aufgegeben zu musizieren?
Privat hätte ich wahrscheinlich immer Musik gemacht. Aber daraus ein Leben zu machen, einen Beruf, das war aus meiner Sicht schon Schicksal. Das (lacht, hebt die Stimme) kann doch nicht alles Zufall gewesen sein.
Haben Sie in der Zeit auch mal mit dem Schicksal gehadert. Etwa als die Konzerthallen kleiner wurden?
Klar. Jeder Mensch hadert manchmal mit dem Schicksal und bereut gemachte Fehler. Aber ich würde es noch mal machen. Würde mir, hätte ich noch mal die Wahl, keinen anderen Lebensweg suchen wollen.
Mit „Stein vom Herzen“ und „Deutschland“ bildet „Schöne Grüße“ für Sie eine Trilogie. Warum?
Das hat mit dem Personal und der von uns gemachten Musik zu tun. Wir haben eine Truppe zusammen, die auf ihre ganz eigene Weise klingt. So wie die Kunzeband der Achtzigerjahre ihren Klang hatte. Die eigene Handschrift ist auf diesen drei Alben sehr ausgeprägt. Das ist zudem mit Abstand die friedlichste Mannschaft, die ich je hatte.
Eine Schicksalsgemeinschaft?
Es gab früher immer irgendwo Konfliktstoff mit irgendjemand – entweder aus privaten oder musikalischen Gründen. Da war immer Dampf auf der Bude. In dieser Band ist es unglaublich einvernehmlich und harmonisch. Man muss nie streiten. Das ist Wahnsinn - wie in der Hippiezeit. Jemand macht einen Vorschlag, dann sagen die anderen „Gut. Machen wir.“
Aber „jemand“ ist nicht ausschließlich Heinz Rudolf Kunze?
Natürlich hat derjenige, der das Lied komponiert hat, einen Plan. Aber der kann umgeschmissen werden. Ich bin da sehr neugierig, wir probieren viel aus und dann kann auch die andere Idee genommen werden.
Es gibt in Ihrem Sound Genreverweise und Bandbezüge von Country bis Artrock, von Roxy Music bis AC/DC – was haben Sie während des Kreativprozesses gehört?
Hauptsächlich Jazz (lacht), kein Witz! Was man höchstens bei ein, zwei Keith-Jarrett-artigen Akkorden bemerkt. Aber schon auch die von Ihnen genannten alten Bands. Neue Bands nicht mehr so, weil ich da nur noch weniges finde, von dem meine Aufmerksamkeit nicht bald abgleitet.
Weil der Speicher voll ist?
Genau. Wir hören schon so lange Musik. Man hat genug damit zu tun, die Dinge zu pflegen, die man schon kennt. Man kann nicht mehr unentwegt Neues aufnehmen. The National ist eine Band, die ich gut finde. Aber eben nur gut. Dann höre ich mir das neue Album an und greife hinterher doch wieder zu Led Zeppelins „III“.
Sie hatten Hunderte von Texten für dieses Album. Wie kann man da noch vernünftig die richtigen 15 aussondern?
Es gibt fertige Titel mit Musik, die es beim letzten Mal nicht geschafft haben, die auf Wiedervorlage kommen und nochmal überprüft werden. Von denen hat es diesmal aber wieder keiner geschafft. Das ist die Achillesferse meiner Arbeitsweise, da sprechen Sie einen ganz wunden Punkt an. Die Art wie ich aussuche, ist absolut willkürlich, nicht rational begründbar und ganz sicher bleibt dabei ganz viel schönes Zeug auf der Strecke.
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„Wenn ich will, dass etwas von mir im Radio gespielt wird, muss ich gewisse Parameter einhalten, sonst passiert das nicht.“,
© Quelle: MARTIN HUCH
Wie kommt die Musik dazu?
Ich fange erst an zu komponieren, wenn ich weiß, dass ein Album ansteht – vier fünf Monate vor den Studiotermin. Texte dagegen schreibe ich jeden Tag. In diesen fünf Monaten ist es rein zufällig, welcher Text mich anspringt, zu welchem mir Musik einfällt. Das kann ich nicht steuern. Und so bleibt vieles liegen.
Was gerne Song geworden wäre.
Aber es nicht wird. Weil ich nicht so viele Songs veröffentlichen kann, wie ich gerne möchte.
Drei Platten pro Jahr?
Ja. Ohne Mühe, hands down!
Bloß wird diese anspruchsvolle Musik reiferer Rockmusiker dann nirgends gespielt. Außer, der reife Rockmusiker lässt sich zu Annäherungen an den Schlager herab. Ihr Lied „Ich sag’s dir gerne tausendmal“ könnte von Helene Fischer gecovert werden. Verbiegt man sich, um das Schicksal eines Ungehörten zu vermeiden?
Natürlich könnte Helene das covern, immerhin hat sie ja „Dein ist mein ganzes Herz“ auch schon gecovert. Und es ist eine Frage, die man ganz sachlich beantworten kann, ohne auf Worte wie „verbiegen“ zurückgreifen zu müssen. Es ist eine Frage der nüchternen Vernunft, der Strategie, der Taktik. Wenn ich will, dass etwas von mir im Radio gespielt wird, muss ich gewisse Parameter einhalten, sonst passiert das nicht. Wenn ich das nicht einhalte, wird das schlicht nicht gespielt und kein Mensch erfährt, dass ich ein neues Album habe. Und da wir das können, wir uns nicht sehr „verbiegen“ müssen, machen wir‘s ab und zu. Weil wir jetzt wissen, wie es geht.
Wobei die Freunde des Scharftexters Kunze über Frühling, Flieder, Tirili aber murren.
Die sollen dann halt die anderen Lieder hören.
Sie traten mal für eine bestimmte Menge an deutschsprachigem Pop im Radio ein. Jetzt hört man mehr denn je davon, aber es ist mehrheitlich substanzarmes Lalala zwischen Euphorie und neuer deutscher Weinerlichkeit. Rock scheint gleich ganz verschwunden. Nervt Sie das?
Es ist vielleicht nicht mein Recht, dass es mich nervt - ich muss es ja nicht anmachen. Aber es ist für mich schon irritierend, dass ich bei fast allem, was auf Deutsch erscheint, nicht mehr weiß: Ist das jetzt noch Rock oder schon Schlager. Es ist so verwischt, so eins, so ähnlich, dass man es nicht genau zuordnen kann. Ich kriege nicht viel mit, aber das, was ich mitkriege, erscheint mir schon sehr mutlos und uneckig. Aber vielleicht wachsen die jungen Leute ja noch in ihre Rolle hinein.
Dazu bedürfte es erstmal eines Sendemediums, das Eckiges für das wahre Runde befindet.
Immerhin gibt es noch diese knarzige Band AnnenMayKantereit. Und die haben ja auch Erfolg. Aber mehrheitlich ist schon alles sehr zahm. Und es ist eine seltsame Situation, dass wir alten Säcke den jungen Leuten erklären müssen, wie „wild“ geht. (schmunzelt)
Herrschen vielleicht mittlerweile ein Zwang zum Konsensklang und eine Angst vor Originalität. Originalität verhindert Erfolg: Radioeinsatz, Verkaufszahlen.
Bei mir nicht. Und Kantereit haben sich auch einen Dreck darum geschert. Die sind spielerisch unbeholfen, aber das hat noch nie geschadet in der Rockmusik. Und die haben diesen Sänger – einen jungen Mann, der mit seiner brüchigen Stimme faszinierend klingt wie ein Alter. Ich kann mir aber vorstellen, dass viele der Jungen sich fürchten. Weil das von der Musikindustrie nicht unbedingt gefördert wird, weil die Angst haben bei den zurückgegangenen Umsätzen. Was langfristig falsch ist.
Wie siehst du den Echoskandal um Kollegah und Farid Bang?
Ich verweise auf meine Facebook.-Seite und mein Gedicht „Die Allianz der Ränder“ , wo ich mir so meine gereimten Gedanken gemacht über diese komische Allianz von Rap und Rechts gegen das neue Weimar.
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Ist der Echo denn noch zu retten – als Jury-&-Qualitätspreis?
Das will ich doch hoffen. Ich möchte noch den Lebenswerkpreis haben.
Es werden zwar keine Namen genannt, dennoch erscheint „Die Letzten der Zitadelle“ als Lied, das mit den Rechten abrechnet.
Nicht nur. Es ist ein Lied gegen die galoppierende Verblödung allenthalben. Letzten Endes ist es damit auch ein Ermutigungslied für die letzten aufrechten Künstler.
Viele der Songs sind bissig, aber man muss ihnen auf die doppelten Böden gehen wollen. „Wie tut man denn sowas?“ klingt zunächst wie ein Spottgesang auf die Empörungskultur, die zwar Schimpf aber keinen Rat weiß.
Das ist interessant. Ich dagegen hatte mir überlegt, wie man jemand wird, der mit einem Sprengstoffgürtel loszieht und sich und fremde Menschen in den Tod reißt? Wie wird man so, wie kann man sich so verhärten. Eigentlich ist das so ein richtig klassischer alter Protestsong.
Der seit Trumps Wahl international auf breiter Front Wiederauferstehung feiert.
Da hätte ich auch in Deutschland nichts dagegen. Wollen wir hoffen, dass es auch bei uns eine Renaissance des Protestsongs gibt – aber ohne einen deutschen Trump.
Wobei die Masse inzwischen unpolitisch unterhalten werden will. Wenn Westernhagen von der Bühne herunter gegen rechts spricht, gibt es heute auch Buhrufe.
Ich habe das so noch nicht erlebt. Ich bin in meinen Soloprogrammen vermutlich wesentlich krasser als Marius. Aber zu mir gehen nur Überzeugte – Gott sei Dank. Ich tauge nämlich nicht zum Helden und auch mein Karate ist noch ausbaufähig. (lacht)
Die Buhrufer im Dunkel der Konzertsäle, sind das die noch überschaubaren aus der rechten Ecke oder schon die „ganz normalen Menschen“ des letzten Songs Ihres Albums, die nach rechts driften?
Wenn es soweit kommt, dass diese „ganz normalen Menschen“, die ich für den Song im Auge gehabt habe, alle nach Rechts gehen, dann gute Nacht. Die meisten, die schon dort sind, muss man wiederholen. Ich glaube nicht, dass mehr als zehn Prozent von den Rechten in der Wolle gefärbte Nazis sind. Das sind unzufriedene Menschen.
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„Ich würde ins Studio kriechen und dort Musik machen, wenn ich live nicht mehr durchhalten könnte.“
© Quelle: MARTIN HUCH
Fühlen Sie sich 2018 dich heute noch wohl in diesem, Ihrem Land?
Noch, ja. Ich hoffe auch, dass sich das für den Rest des Lebens, das mir der liebe Gott noch schenkt, nicht ändert.
Und glauben Sie noch an ein friedvolles Leben für Ihre Kinder in Deutschland und Europa?
Ich hoffe es, weiß es aber nicht. Ich habe ja sogar schon Enkel. Wir hatte eine schöne Zeit, oder? Vor uns wars scheiße, hoffentlich wird’s nach uns nicht wieder scheiße.
Der erste Song „Raus auf die Straße“ beschreibt die vibrierende Energie, wenn neue Songs zum Publikum hindrängen. Albumveröffentlichung und endlich Livekonzerte. Könnten Sie sich auch vorstellen, nur noch im Studio zu arbeiten?
Ich würde ins Studio kriechen und dort Musik machen, wenn ich live nicht mehr durchhalten könnte. Aber mir würde doch das Beste fehlen – also die Spargelspitzen, die wären weg.
In der Ballade vom „Vogel, der nach Süden zieht“ singen Sie Trauriges übers Liedermachen: „Ich leg mir einen Vorrat an / aus dem ich singe dann und wann / es überdauert keines“. Ist das so eine Angst von Ihnen - dass möglicherweise nichts bleibt?
Manchmal hat man diese Anfälle von Wehmut. Man denkt, man hat sich so viel Mühe gegeben, so viel Arbeit reingesteckt und was leibt eigentlich am Ende. Und dann schreibt man so eine Zeile auf und hofft, dass der Saal ruft: „Nein! Stimmt nicht!“ (schmunzelt)
Wie hat sich das in Ihr Gemüt gesenkt, dass es ins siebte Lebensjahrzehnt geht. Sie sind 61 geworden.
Letztlich reduziert es sich immer auf die billige Aussage: Besser als nicht geworden. 50 fand ich einen größeren Einschnitt. Und gesundheitlich gings mir, als ich Mitte 40 war, schlechter als heute.
In Ihrem Song „Immerzu fehlt was“ wünscht sich jede Lebensphase etwas vom Schicksal. Das Alter wünscht sich die Jugend zurück. Sie auch?
Nicht so wirklich. Oder doch, aber mit dem Bewusstsein von heute. Das wäre geil.
Was würden Sie sich heute noch vom Schicksal wünschen?
Dass ich noch sehe, wie mein kleiner Enkel, der noch nicht mal ein Jahr alt ist, groß wird. Und dass ich mir die Stadien zurückhole, natürlich (lacht). Und – ganz eigensüchtig – dass ich einfach noch ganz lange machen darf, was ich tue. Dass das unübersehbar weitergeht.
Ist das Schicksal nicht eigentlich wie ein Auftrag, sich zurückzulehnen und zu warten, bis das Glück vorbeischaut?
Wenn man’s buddhistisch betrachten will, wahrscheinlich. Ich betrachte das aber doch eher … wagnerianisch (lacht).
Von Matthias Halbig / RND