„Zwei Herren im Anzug“: Nach dem Leichenschmaus

Bayerische Urgewalt: Bauer Pankraz (Josef Bierbichler), gefolgt von einem Herren im Anzug (Benjamin Cabuk).

Bayerische Urgewalt: Bauer Pankraz (Josef Bierbichler), gefolgt von einem Herren im Anzug (Benjamin Cabuk).

Hannover. Josef Bierbichler ist kein „Manschgerl“, wie man in Bayern diese soften Zeitgeist-Männer nennt, sondern ein gestandener und unbequemer Kerl mit Eigensinn und Durchsetzungsvermögen. Anders hätte er seinen Roman „Mittelreich“ 2011 wohl auch kaum gestemmt. Nach Motiven dieser Familiensaga präsentiert er nun als Regisseur ein Stück Heimatgeschichte und deutsche Geschichte von 1914 bis ins Jahr 1984. Im Gegensatz zum Roman wird der Film nicht von außen erzählt, sondern aus der Perspektive zweier Protagonisten – und das Ganze wiederum beobachtet von „Zwei Herren im Anzug“.

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Im Zentrum steht das Gespräch zwischen Vater und Sohn, somit auch das Verhältnis zur 1968er Generation, das Unverständnis auf beiden Seiten. Nach dem Leichenschmaus bleiben zwei Menschen im leeren Tanzsaal der Traditionsgaststätte zurück: Pankraz (Bierbichler), der seine Frau zu Grabe getragen hat, und sein Sohn Semi (Bierbichlers Sohn Simon Donatz). Die beiden hatten sich wohl nie viel zu sagen, nun sitzen sie einander gegenüber. Der Vater will reden, endlich. Loswerden, was ihm seit Jahrzehnten auf der Seele brennt. Er beginnt weit in der Vergangenheit, wühlt in einem Kasten mit Fotos. Erinnerungen werden wach in Schwarz-Weiß: Da raufen die Burschen, grölen in Lederhosen „Lieb Vaterland magst ruhig sein“, wird Pankraz’ großer Bruder eingezogen und verspricht ihm, aus dem Ersten Weltkrieg „einen toten Franzosen mitzubringen“.

„Heil Hitler, der Herr“

Doch der Bruder kommt mit einem Kopfschuss zurück und landet in der Psychiatrie, der Jüngere muss den Hof übernehmen. Aus ist der Traum vom Opernsänger in München. Bald brechen sich Juden- und Kommunistenhass Bahn, man grüßt devot mit „Heil Hitler, der Herr“. Eine Zeit, in der „alles leicht war und vollkommen“, wie Pankraz sagt. Und dann: „Ich war zwar nie ein Nazi. Aber kein Nazi war ich nie“. Wie so viele hat er seine Haut gerettet und verdrängt. Dass er im fünften Kriegsjahr nach Russland abkommandiert wird, das weiß er noch, aber dann ist da nur noch eine weiße Landschaft, Verwesungsgeruch. Erst ganz am Ende des Films offenbaren Bilder eines monströsen Ereignisses die Ursache seines Traumas. Sie sind verbunden mit einer immer währenden Schuld.

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Eine bayerische Comédie Humaine

Es geht nicht nur explizit politisch zu. Der Alltag mit Frau (Martina Gedeck) und Kind fordert seinen Tribut, da sind die geifernden Schwestern, die der Schwägerin keinen Raum zum Atmen lassen, da ist die Nachkriegszeit mit Alliierten und Flüchtlingen, Wirtschaftswunder und Touristen, erwachender Konsumlust. Es ist ein Wust von kleinen und großen Geschichten, die Bierbichler auftischt, eine bayerische Comédie Humaine, die manchmal aus dem Ruder läuft – etwa bei einem Faschingsfest mit einem Fräulein samt angeklebten Hitlerbärtchen. Dann wieder konzentriert er sich auf die Zerrissenheit eines Menschen, der Nähe zum eigenen Kind nicht ertragen kann.

Bierbichler sieht sein Werk nicht als Heimatfilm. Er weist autobiografische Elemente von sich. Die Fiktion ist gespeist von ihm bekannten Situationen, die Hauptfigur setzt sich aus verschiedenen Personen zusammen, entspricht keinesfalls dem Bild seines Vaters. Erst in den 1950er Jahren, wenn der nach dem Krieg geborene Sohn zu erzählen beginnt, wechselt der Film in Farbe. Dem Zuschauer wird es nicht leicht gemacht. Schon die Sprache ist für Nordlichter anstrengend, der Ausflug ins Ödipale verstörend, die Wagner-Musik sehr präsent. Aber es ist Bierbichlers brachiale Naturgewalt, die fasziniert, der Verzicht auf jeglichen Hauch von Gefälligkeit. Heute eine Rarität.

Von Margret Köhler / RND

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