Wie funktioniert Höflichkeit?

Gräfin Schönfeldt erklärt: So funktioniert gutes Benehmen im Jahr 2022

So geht’s eher nicht: ein Junge mit beiden Ellbogen auf dem Tisch (Symbolfoto).

So geht’s eher nicht: ein Junge mit beiden Ellbogen auf dem Tisch (Symbolfoto).

Hamburg. Gräfin Schönfeldt, was haben Sie in Ihren 70 Berufsjahren als Journalistin und Autorin am liebsten gemacht?

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Alles, was mit Literatur zusammenhängt. Ich habe eigentlich alles gemacht, was man mit Büchern machen kann – vom Übersetzen übers Rezensieren bis zum Schreiben und Herausgeben.

Angefangen haben Sie als Redakteurin Anfang der Fünfzigerjahre. Was war das für eine Atmosphäre? Eine Aufbruchsstimmung?

Ja, durchaus. Ich habe mein Volontariat 1951 beim „Göttinger Tageblatt“ begonnen, bin anschließend nach Hamburg gegangen. Damals war die Welt noch leer im Vergleich zu heute. Du hast gefragt: Was passiert hier oder dort eigentlich? Und irgendjemand sagte: Willst du nicht darüber schreiben? Es war eine Übergangszeit, die für meine Generation geprägt war durch die unbeschreibliche Wonne, endlich ein Mensch zu sein.

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Sybil Graefin Schoenfeldt,

Sybil Gräfin Schönfeldt

Was meinen Sie damit?

Dass wir nicht mehr nur eine Nummer in einer Masse waren, in der Mädelsgruppe, im Arbeitsdienst, in der Kameradschaft. Auch auf der Flucht hat man immer Menschen rechts und links neben und vor und hinter sich gehabt. Doch jetzt warst du endlich wieder du selbst und konntest mit dem richtigen Leben anfangen.

War es damals schwierig, sich als Frau in der Medienwelt zu behaupten?

Frau oder Mann – das hat im Beruf gar keine Rolle gespielt. Man musste einfach überleben, ob man nun weiblich war oder männlich. Und außerdem: Eine „Medienwelt“ gab es noch gar nicht. Papier musste bei den Alliierten beantragt werden, es gab kaum Fernsehen, nur wenige Zeitungen oder Illustrierte.

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Heute ist die Frage der Chancengerechtigkeit von Frauen in Unternehmen ein großes Thema.

Ich wünsche den heutigen Frauen natürlich Glück. Als Journalistin wurdest du früher meist schlechter bezahlt als der männliche Kollege, der für die gleiche Arbeit ein Drittel mehr Gehalt bekam. Mir wurde auch schon mal gesagt: Na ja, du hast ja Herrn Schlepegrell, also meinen Ehemann. Das Wichtigste für Frauen ist, dass sie genauso Geld verdienen wie die Männer, danach kommt alles andere. Du kannst in den Wörtern Sternchen setzen, doch das ist nur ein Nebenschauplatz. Die Hauptsache ist, dass die Kasse für Frauen stimmt.

Sie waren immer berufstätig, auch als junge Mutter in den späten Fünfziger-, frühen Sechzigerjahren. War das ein schwieriger Spagat?

Das mussten alle Frauen hinbekommen, es waren ja die Aufbaujahre. Da konnten sich nur die wenigsten Frauen aufs Sofa legen und mit den Kindern spielen. Wir anderen mussten versuchen, irgendwie durchzukommen. Ich habe zehn Jahre als fest angestellte Redakteurin gearbeitet, dann geheiratet, dann Kinder bekommen und meinen festen Job aufgegeben. Seitdem bin ich freie Journalistin gewesen.

Fiel Ihnen der Abschied von der Festanstellung schwer?

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Ja, klar, ich war zu dem Zeitpunkt in einer Zeitschriftenredaktion und habe dort sehr gern gearbeitet – nicht nur geschrieben, sondern auch geplant, ein Produkt zusammengestellt. Aber letztlich bin ich dennoch froh und dankbar, dass die Kinder mich veranlasst haben, freiberuflich zu arbeiten, weil das tatsächlich größere Freiheit bedeutet. Wenn mir ein Verlag moralisch oder politisch nicht passte, konnte ich sagen: Nein, danke, ich mache etwas anderes. Und ich konnte mir die Themen aussuchen. Das können Sie als Festangestellte nicht.

Eines der Bücher, das Sie als junge freie Journalistin geschrieben haben, ist der Best- und Longseller „1×1 des guten Tons“.

Und das ist auch nichts anderes als eine Auftragsarbeit gewesen. Der Bertelsmann-Verlag hatte diesen Titel sozusagen im Schließfach, er hatte den Ursprungstitel vor 1933 in Auftrag gegeben. In der Nazi-Zeit war das dann ein Nazi-Benimmbuch. Und es sollte jetzt, Anfang der Sechzigerjahre, überarbeitet werden. Ich schrieb damals in der „Zeit“ viel im Ressort Modernes Leben, hatte regelmäßig eine Kolumne, und da sind die Leute von Bertelsmann irgendwie auf mich gekommen. Bei dem Buch habe ich aber letztlich genauso journalistisch gearbeitet wie bei anderen Themen: Man recherchiert, wie der aktuelle Zustand ist, wirft einen Blick in die Zukunft. Und stellt die naheliegende Frage: Wie muss man sich benehmen, damit man bestehen kann, auch vor sich selbst?

Guter Ton – das klingt 2022 ziemlich altmodisch. Was verstehen Sie darunter?

Das, was man als Alltagbenehmen kennt. Die Regeln sind ja keine Erfindung von irgendjemandem, sondern eine Übereinkunft. Sie sind das Ergebnis aus dem, was in der Welt, in der wir leben, sich an Benehmensformen gebildet hat und bildet. Was das Benehmen angeht, haben in der Nachkriegszeit übrigens die Tanzschulen eine große Rolle gespielt. Die Tanzlehrer wurden von den jungen Leuten, besonders von Flüchtlingen aus dem Osten, gefragt: Wie benimmt man sich hier, in dieser neuen Heimat? Sie wollten alles richtig machen, um dazuzugehören.

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Wie wichtig ist gutes Benehmens heute überhaupt noch?

Jede Zeit hat ihr eigenes Benehmen. Aber ich finde, wenn man sich auf ein paar Grundbegriffe konzentriert, ergibt sich alles andere von selbst. Wichtig bei all diesen Regeln ist Rücksicht: dass nicht immer nur alles nach deiner eigenen Nase geht, sondern dass du dich fragst, wie du dem, der neben oder hinter dir geht, helfen kannst. Dass du dich fragst: Wie benimmt er sich, und was erwartet er von mir?

Was ist mit dem Anstand?

Anstand ist ein Wort, dessen Bedeutung sich im Lauf der Zeit sehr gewandelt hat. Es bedeutet im Prinzip, dass du weißt, wo du stehst, und dass du dich in deiner Gruppe einfügst. Und dass man auch weiß: Unter Umständen muss ich die Gruppe verlassen, wenn ich ganz anders leben und entscheiden will.

Unsere Gegenwart ist hoch individualisiert. Sich in eine Gruppe einzufügen klingt für viele abschreckend.

Es kommt natürlich auf die Gruppe an. Wenn es eine ist, die man schätzt und liebt wie die Familie oder den Freundeskreis, dann schmiegt man sich leichter an als bei einem Zweckverhältnis. Aber es gibt Gruppensituationen, die jeder kennt, etwa wenn man eine neue Stelle antritt. Da gibt es immer diesen ersten Moment, wenn sich alle anschauen und in dieser Sekunde eine Entscheidung übereinander treffen – da muss man schon sehen, wie man sich verhält. Und das bedeutet im besten Fall: abwarten, zurückhaltend bleiben und höflich allen gegenüber sein. Höflichkeit hilft einem ja sowieso sehr, zum Beispiel auch in Auseinandersetzungen. Wer dabei dem Gegenüber mit Höflichkeit begegnet, macht es auch für ihn leichter, wieder einen entspannteren Umgang zu finden.

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Neben Ihren Benimmbüchern sind Sie vor allem bekannt durch zahlreiche Veröffentlichungen über Kochen und Gastlichkeit. Wann und wo haben Sie selbst kochen gelernt?

Gar nicht. In den Kriegsjahren hat man geschaut, was die Erwachsenen in ihren eingeschränkten Küchen gemacht haben, und hat das später nachgemacht.

Hat Ihnen das Kochen denn von Anfang an Spaß gemacht?

Es ist damals etwas so Alltägliches gewesen, dass ich gar nicht darüber nachgedacht habe. Außerdem war in der Kriegs- und Nachkriegszeit kochen schlicht eine Tätigkeit, die zur Sättigung – oder oft auch Nichtsättigung – führte. Kochen hatte nichts Künstlerisches oder Ästhetisches. Man war einfach froh, wenn ein paar Haferflocken in der Kochkiste waren.

Eine Ihrer jüngsten Veröffentlichungen ist das „Kochbuch für die kleine alte Frau“. Viele alte und junge Frauen und auch Männer, die allein leben, kochen ungern für sich allein. Was empfehlen Sie denen?

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Die Versuchung, nicht für sich allein zu kochen, überfällt jeden. Deshalb sollte man dagegen gewappnet sein. Wenn man dieser Versuchung nachgibt, bringt man auch die Tagesordnung durcheinander. Und gerade, wenn man allein lebt, ist es ganz gut, eine Ordnung aufrechtzuerhalten. Dazu gehört auch, den Tag morgens mit einem Schluck Kaffee oder Tee zu beginnen und sich zu überlegen: Koche ich am Mittag eine Kleinigkeit oder am Abend? Ich habe ja mit Vergnügen festgestellt, dass den Lesern die Idee des Kettenkochens besonders gut gefällt. Das bedeutet, dass man von Nudeln, Reis oder Kartoffeln nicht nur eine Portion kocht. So habe ich dann erstens immer einen Vorrat, und zweitens sitzt da jemand im Kühlschrank, der sagt: Vergiss mich nicht, koch mich. Ich sorge also schon für die Ordnung der nächsten Tage.

Das ist Sybil Gräfin Schönfeldt

Sie gilt als Dame, die weiß, was sich gehört: Sybil Gräfin Schönfeldt hat unzählige Kolumnen und mehrere Bücher über Benehmen und Etikette geschrieben, am bekanntesten ist wohl „1×1 des guten Tons“. Das ist aber nur ein Themenfeld der Journalistin und Autorin. Unter anderem hat sie Kinder- und Jugendbücher aus dem Englischen übersetzt, darunter Texte von Roald Dahl und Elaine Horseman, auch eine Übertragung von Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“ gibt es von ihr. Erfolgreich waren und sind ihre literarischen Kochbücher über Essen und Gastlichkeit bei Berühmtheiten wie Johann Wolfgang von Goethe, Thomas Mann und Astrid Lindgren. Über die schwedische Autorin, die sie persönlich kannte, hat sie zudem eine Biografie geschrieben. Geboren wurde Sybil Gräfin Schönfeldt 1927 in Bochum; ihr Vater stammte aus verarmtem österreichischen Adel. Ihre Familiengeschichte erzählt sie in „Hoffen auf das Bessere. Vom langen Weg in eine neue Zeit“. Von ihren Erfahrungen 1944/1945 beim Arbeitsdienst handelt der Roman „Sonderappell“. Die 95-Jährige lebt in Hamburg. Hier sind auch „Kochbuch für die kleine alte Frau“, „Kochbuch für den großen alten Mann“ und „Kochbuch für meine liebste Freundin“ entstanden, die jetzt als Sonderedition unter dem Titel „Und Rapunzel, frisch, grün, knackig …“ (Edition Momente, 30 Euro) erschienen sind.

Schaffen Sie es, regelmäßig zu kochen?

Fast immer. Es gibt natürlich Tage, an denen ich am Schreibtisch arbeite und die Zeit vergesse. Dann schaue ich irgendwann auf die Uhr und denke: O Gott, jetzt ist es schon wieder halb drei, was mache ich jetzt? Dann esse ich meistens einen griechischen Joghurt mit einem Löffel Honig oder Marmelade und koche am Abend eine Kleinigkeit.

So plant man ein Essen mit Gästen

Was macht ein gutes Essen für Sie aus?

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Dass es mir einfach schmeckt – und den Gästen schmeckt, wenn man welche hat. Und dass es mich als Gastgeberin nicht in der Küche stehen lässt, während alle anderen am Tisch sitzen, sich unterhalten und lachen. Jetzt habe ich ja nicht mehr so oft Gäste, aber früher habe ich immer so geplant, dass mindestens die Vorspeise oder das Dessert komplett vorbereitet war. Als Hauptgang gab es immer etwas, das ich nur noch schnell fertig machen musste.

Oft sind Gastgeber ziemlich hektisch und verbreiten nicht gerade eine entspannte Atmosphäre am Tisch.

Das versuche ich zu vermeiden. Und es gibt so viele Gerichte, denen man nur noch schnell den letzten Schliff geben muss. Die vielen Kochsendungen heute wecken allerdings in normal begabten Köchen die Idee: So kann ich das auch machen. Aber die Profiköche haben erstens ganz andere Geräte, zweitens ganz andere Küchen mit anderen Herden und drittens einen großen Vorrat von allem. Das heißt: Ich muss mein Essen kochen und nicht das, was die Profis mir im Fernsehen zeigen. Ich finde es dann umso wunderbarer, in einem Restaurant Dinge zu essen, von denen ich genau weiß, dass ich sie nicht zubereiten kann und nicht nachmachen will.

Schauen Sie sich denn Kochshows an?

Manchmal. Ich sehe mir auf jeden Fall die Sendungen von Köchen an, die ich kenne. Martina und Moritz liebe ich, die machen das wunderbar. Aber da schaue ich Freunden zu und denke manchmal: Aha, so machen die das, ich mache das anders.

Was sie an Kochshows schätzt

Martina und Moritz kochen ja auch ziemlich handfest, ohne viel Chichi.

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Ja, und zudem kochen sie mit Kräutern, Gemüse und Obst aus dem eigenen Garten. Wunderbar! Das ist in der Großstadt kaum möglich. Wobei mir gerade einfällt, dass ich im vergangenen Jahr etwas ausprobiert habe. In meinem Kartoffelkorb war eine verschrumpelte Kartoffel übrig, und die wollte ich nicht wegwerfen. Ich habe sie durchgeschnitten, die Hälften in einen Topf voller Blumenerde versenkt und gedacht: Na, mal sehen, was passiert. Kurz darauf wurde ich von freundlichem, grünem Kraut begrüßt. Und was habe ich im Herbst bekommen? Vier wunderschöne Kartoffeln, die waren der Traum von einem Erdapfel. Ich habe sie gekocht, sie waren mehlig, habe ein bissel Butter und ein bissel Salz dazugetan – und sie mit Genuss gegessen. Jetzt schaue ich manchmal meine Blumentöpfe an und denke, dass ich den einen oder anderen nicht wieder mit Blumen bepflanzen werde. Das wird dann im Herbst mein Kartoffelacker.

Zum Abschluss noch ein ganz anderes Thema. Sie gehören der Generation an, die den Zweiten Weltkrieg bewusst miterlebt hat. Was empfinden Sie, wenn Sie heute die Bilder aus der ­Ukraine sehen?

Ich sage: Was ist aus den Träumen unserer Jugend geworden? Wir haben wirklich gedacht: So etwas kann nie wieder passieren. Es zerreißt mir das Herz.

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