Mitgefühl durch Mode?

„Full Destroyed“: Wie Luxusmodemarken mit politischen Statements polarisieren

Spiel mit Armutsästhetik: Der Paris-Sneaker von Balenciaga polarisiert in diesen Zeiten.

Spiel mit Armutsästhetik: Der Paris-Sneaker von Balenciaga polarisiert in diesen Zeiten.

Er starrt vor Dreck, ist zerfetzt, sieht einfach kaputt aus: Gerade spaltet der Paris-Sneaker von Balenciaga die Gemüter. Der Schuh erschien zum einen in einer sauberen Variante und zum anderen in einer auf 100 Stück limitierten Sonderedition namens „Full Destroyed“ für 1450 Euro. Wie immer, wenn man sehr viel Geld für etwas ausgeben soll, das vielleicht sogar als hässlich bezeichnet werden könnte, gibt das Stoff für Diskussionen. Angeheizt hat sie ein wahrer Meister der Kontroverse: Demna Gvasalia, der Kreativdirektor von Balenciaga, der einst mit dem 245 Euro teuren DHL-T-Shirt, das er für das Designkollektiv Vetements entwarf, dafür sorgte, dass in den Internetmodeforen die Post abging.

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Nicht schön, aber erfolgreich: Vetements’ DHL-Shirt war 2016 ein It-Piece.

Nicht schön, aber erfolgreich: Vetements’ DHL-Shirt war 2016 ein It-Piece.

Ist der Schmuddelturnschuh nun wieder ein genialer Mar­ke­ting­move – weil alle über ihn sprechen – oder aber geschmacklos und zynisch angesichts dessen, dass es gerade viele Ukrainer und Ukrainerinnen gibt, die in zerschlissener, schmutziger Kleidung auf der Flucht vor dem Krieg in ihrer Heimat sind? Es könnte auch sein, dass Gvasalia durch sein Spiel mit der Armutsästhetik geschickt zum Nachdenken über die Kluft anregen will, die zwischen einer Welt voller Luxus und einer des menschlichen Leids klafft. Und damit die Frage aufwirft, wie viel Moral Mode sich eigentlich erlaubt – oder sich als Industriezweig, der auf Profit und Wettbewerb beruht, erlauben kann.

Designer selbst als Kind geflüchtet

Gvasalia jedenfalls zeigt Haltung: Während der Fashion-Week in Paris setzte er als erster ein nachdrückliches Statement gegen den Krieg, indem er Models in einer eiskalten Halle in Kunstschnee stapfen und gegen einen Schneesturm ankämpfen ließ, während das Publikum durch eine Glasscheibe davon getrennt zuschaute. Einige Models trugen Müllsäcke aus Leder in der Hand, andere lediglich eine Unterhose und ein Handtuch um den Oberkörper. Demna Gvasalia weiß, wie sich Vertreibung und Brutalität anfühlen: Er wurde 1981 in Georgien geboren und flüchtete als Zwölfjähriger nach Deutschland. Damals herrschte Krieg zwischen Georgiern und den abchasischen Separatisten, die maßgeblich von Russland unterstützt wurden. Bei anderen Modemachern und Modemacherinnen wäre die Inszenierung von Elend womöglich als anmaßend wahrgenommen worden, doch die Branche reagierte betroffen auf Gvasalias Auseinandersetzung mit dem Thema.

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„Entscheidend ist, wie glaubhaft jemand seine Werte vertritt“, sagt Sibylle Klose, Designerin aus Paris und Professorin für Mode an der Pforzheimer Hochschule für Gestaltung. „Man kann Mitgefühl über Mode transportieren“, meint sie. „Der eigentliche Impuls dazu muss authentisch sein. Und das ist man dann, wenn man von einer Sache überzeugt ist; es lässt sich nicht kognitiv steuern.“ Die Verbraucherinnen und Verbraucher seien heutzutage aufgeklärt und informiert, „sie lassen sich nicht für dumm verkaufen und erkennen meist klar, wenn etwa Kollaborationen von Labels mit NGOs ernst gemeinte Initiativen sind – oder reine PR-Maßnahmen.“

„We Should All Be Feminists“

Ein gutes Beispiel für authentisches Engagement seien die T-Shirts gewesen, die Dior-Chefdesignerin Maria Grazia Chiuri 2016 in ihrer Debütkollektion mit dem Satz „We Should All Be Feminists“ bedrucken ließ. Sie spielte damit auf ein gleichnamiges Buch der nigerianischen Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie an. Chiuri führte ein Mentoringprogramm ein, bei dem 200 weibliche Studierende aus aller Welt ein Jahr lang von erfahrenen Mitarbeiterinnen der Dior-Niederlassungen beraten wurden. Die Designerin erklärte: „Ich habe eine 20-jährige Tochter, die mir sehr nahesteht. Durch sie komme ich mit einer neuen Generation von Frauen in Kontakt, eine Generation, die in der Welt eine große Rolle spielen wird. Das treibt mich an, mit ihnen Mode zu machen und sie bei ihren Prozessen zu begleiten.“

Kam zur richtigen Zeit: Maria Grazia Chiuris Debütkollektion für Dior.

Kam zur richtigen Zeit: Maria Grazia Chiuris Debütkollektion für Dior.

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Das T-Shirt und seine Botschaft trafen einen Nerv, weil mit Chiuri eine Frau dahinterstand, die glaubhaft den Feminismus vertreten habe, erläutert Klose. Das Demonstrieren von Werten kann aber auch schiefgehen. Man denke etwa an den Schauspieler Lars Eidinger, der vor einigen Jahren einen Shitstorm auslöste, als er für einen Taschenhersteller einen Beutel in limitierter Auflage im Design einer Aldi-Tüte entwarf und sich dann mit dem 550 Euro teuren Stück in pseudoprekären Posen vor dem Lager schlafender Obdachloser ablichten ließ. Klose sagt: „Bei Eidinger fragte man sich: Ist es ein Gag, was hat er eigentlich mit dem Thema zu tun?“

Künftig erst Moral, dann Mode?

Es komme auch auf den Zeitpunkt an, wann man mithilfe von Kleidung Statements abgebe, meint Modeexpertin Klose: „Mode kann ein Katalysator für Themenfelder sein, die die Gesellschaft gerade beschäftigen.“ Wir leben in einer neuen Ära: Der Krieg in der Ukraine ängstigt viele Menschen ebenso wie steigende Energiepreise und die Klimakrise. „All das spiegelt die Mode wider und reagiert gleichzeitig darauf“, sagt die Professorin. Immer mehr Menschen wollen wissen, wo und unter welchen Bedingungen ihre Kleidung hergestellt wird, und der Satz „Consumo ergo sum“ („Ich kaufe, also bin ich“) verliert an Bedeutung, weil eine Kreislauf- und Sharing-Wirtschaft aus Secondhand- und Leihklamotten ihn ersetzt. Zukunftsforschende rufen jetzt ein Zeitalter aus, in dem auch die Fashionindustrie sich verändert und erst die Moral und dann die Mode kommt.

So prognostiziert etwa die niederländische Trendforscherin Lidewij Edelkoort, dass ein Wertewandel in der Gesellschaft stattfinde, der eine neue Art der Produktion, des Transports und des globalen Handels einläute. In einem Kommentar für das Branchenportal „Business of Fashion“ stellte sie jüngst das bisherige Geschäftsmodell der Branche infrage. Sie folgert, dass vielmehr „ein Bewusstsein für das Leben wesentlich sei, das Materialien ebenso wie Tieren, Pflanzen und Menschen Rechte gibt“. Einige Modehäuser stellten sich bereits dieser Verantwortung, erklärt Edelkoort.

Das bestätigt auch Expertin Sibylle Klose. Sie sagt, dass große Player am Markt viel darüber diskutierten, wie man das Geschäft in Übereinstimmung mit ethischen Grundsätzen führen könne. Kleine Labels hätten es möglicherweise sogar leichter, da sie schneller reagieren könnten als riesige Konzerne, glaubt sie. „Aber alle wissen, dass sich etwas ändern muss, denn die hellwache Konsumgeneration Z bemerkt, ob Imagewashing stattfindet. Ob das Mitgefühl und die Empathie in einer Message echt sind – oder nicht.“

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