Mit den Traditionen brechen

Wie Weihnachten auch ohne Tannenbaum, Geschenke und Festtagsessen zu etwas Besonderem wird

Weihnachten am Strand? Unsere Autorin Irene Habich hat es ausprobiert – und fühlte sich auch ohne Schnee und Tannenbaum genau am richtigen Ort.

Weihnachten am Strand? Unsere Autorin Irene Habich hat es ausprobiert – und fühlte sich auch ohne Schnee und Tannenbaum genau am richtigen Ort.

Weihnachten als Kind, das war wie es sein sollte und fing schon in der Adventszeit an: Basteln und Kekse backen, Gemütlichkeit und Geschichten vorlesen bei Kerzenschein. Am Heiligabend gab es bei uns wie in den meisten Familien feste Traditionen: Meine Schwester und ich schmückten den Baum, später gingen wir alle zusammen im Wald spazieren und mit den Großeltern in die Kirche, wo mein Opa immer von allen Opas am lautesten sang. Danach Bescherung, leckeres Essen und Gesellschaftsspiele bis Mitternacht. All das habe ich furchtbar genossen. Ich erinnere mich noch gut an dieses festliche, fröhliche, ganz besondere „Weihnachts­gefühl“.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Doch genau wie andere Erlebnisse konnten das „Weihnachtsgefühl“ und vieles von dem, was es ausgemacht hat, die Kindheit nicht überdauern. Seitdem habe ich beschlossen, dass ich keinen Sinn darin sehe, am klassischen Brauchtum festzuhalten. Meine schönsten Weihnachtsfeste als Erwachsene waren jedenfalls die, bei denen ich den Heiligabend ganz unkonventionell verbracht habe. Und ich kann jede und jeden nur ermutigen, dies einmal selbst auszuprobieren.

Heiligabend in Australien: Weihnachtsmarkt bei schwüler Hitze

Zu meinem ersten echten Bruch mit der Tradition kommt es nach dem Abi, durch einen „Work and travel“-Aufenthalt in Australien. Mit Freunden, die ich auf der Reise kennengelernt habe, haben wir über die Feiertage ein Haus in dem kleinen Surferstädtchen Byron Bay gemietet. Der australische Winter ist warm, wir sitzen im Garten und statt eines Festtagsbratens gibt es ein gemeinsam gekochtes vegetarisches Essen. Zusammen gehen wir noch auf eine Art Weihnachtsmarkt, wegen der schwülen Hitze kommt mir das allerdings ziemlich seltsam vor. Aus einer Telefonzelle rufe ich meine Oma an, die alle meine Reisen aus der Ferne aufgeregt begleitet und wünsche ihr frohe Weihnachten.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Chanukka statt Weihnachtsfest

Mein zweites „anderes“ Weihnachtsfest habe ich in Berlin gefeiert. Das Studentenwerk vermittelt dort Weihnachtsmänner und Weihnachtsengel an Familien, die sie für die Bescherung buchen möchten. Über einen Aushang finde ich einen anderen Studenten, der regelmäßig als Weihnachtsmann jobbt und den ich als Engel begleiten kann. Im Secondhandgeschäft kaufe ich ein silbrig glänzendes Kleid, an das ich flauschige weiße Flügel annähe. Ob mein Kostüm funktioniert, teste ich am kleinen Sohn meiner Freunde, der mich eigentlich gut kennt, nun aber mit großen Augen fragt, ob ich denn auch fliegen kann.

Das Programm am Heiligabend ist eng getaktet. Wir fahren von einer Familie zur nächsten und verteilen Geschenke an die Kinder, die ihre Eltern vorher in einem Versteck hinterlegt haben. Die Familien feiern ziemlich unterschiedlich. Bei der einen laufen der Fernseher und Wolfgang Petris Weihnachts‑CD. Woanders muss uns ein kleiner, in einen steifen Anzug gezwängter Junge ganz klassisch Gedichte vortragen. Bei einigen Familien herrscht auch bereits dicke Luft, als Engel und Weihnachtsmann eintreffen. Aber eines ist bei allen gleich – die Kinder sind von uns begeistert und benehmen sich geradezu ehrfurchtsvoll – keines scheint unser Schauspiel infrage zu stellen.

Nach der Geschenketour lassen wir den Abend bei Freunden des Weihnachtmanns ausklingen: Sie kommen aus Israel und feiern nicht den Heiligen Abend, sondern das jüdische Chanukka-Fest, und wir sind herzlich eingeladen, mit ihnen zu essen und zu trinken. Die weihnachtliche Stimmung hat mir nicht gefehlt an diesem Abend, im Gegenteil. Ich konnte dazu beitragen, denen das Fest zu verschönern, denen es am meisten bedeutet, und das war eine tolle Erfahrung. Ganz nebenbei haben wir gutes Geld verdient, von dem ich mich selbst nun beschenken kann.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Glühwein trinken in der Provence

Einige Jahre später sitze ich am Heiligabend an einem Strand auf der Sinaihalbinsel in Ägypten. Ich mache Urlaub in einem von Beduinen betriebenen Camp. Man wohnt in einfachen Hütten, nur einige Meter vom Wasser entfernt, indem sich bunte Fische in einem Korallenriff tummeln. Strom gibt es nur für ein paar Stunden am Tag, abends sitzen wir alle ums Lagerfeuer, so auch am Heiligabend, Touristen und Einheimische zusammen. Nach Ägypten bin ich auch gefahren, um nach dem Tod meiner Oma wieder zu mir zu kommen, die mir sehr nahe war. Ein Jahr zuvor hatte ich den Heiligabend noch einmal mit ihr gemeinsam verbracht. Nun bin ich hier, und es ist wieder Weihnachten.

Die Beduinen singen ihre eigenen traditionellen Lieder, untermalt von Trommeln und rhythmischem Klatschen, es wird ums Feuer getanzt. Wir feiern zusammen ein Fest: Es ist nicht ganz klar, was für eines, aber es ist großartig und hat etwas Reinigendes, und ich fühle mich in diesem Moment genau am richtigen Ort.

Mittlerweile verbringe ich einen großen Teil meines Lebens in Südfrankreich. Und habe gemerkt, dass es vor allem die Bräuche der Vorweihnachtszeit sind, die mir doch manchmal fehlen, auch weil sie hier weniger verbreitet sind. Dann kommt es vor, dass ich mich mit anderen Deutschen zum Plätzchenbacken verabrede oder versuche, Franzosen einen hausgemachten Glühwein („vin chaud“ heißt er hier) schmackhaft zu machen. Über die Feiertage habe ich in diesem Jahr spontan ein Retreat in der Provence gebucht. Schöne Natur soll es dort geben und Tiere, Yogakurse und eine Sauna. Und Menschen, die vermutlich das Gleiche suchen wie ich: eine andere Art, Heiligabend zu feiern.

Anzeige
Anzeige
Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Outbrain UK Ltd, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

 

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken