Evangelische Kitas sollen zu Schutzräumen werden
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Alle Kitas arbeiten derzeit an einem sexualpädagogischen Konzept, um den Eltern mehr Transparenz bei den Fragen zum Umgang mit Sexualerziehung zu geben.
© Quelle: dpa (Symbolbild)
Wedemark/Burgwedel/Langenhagen/Isernhagen. Die Kindertagesstätten des Kirchenkreises Burgwedel-Langenhagen arbeiten künftig mit einem Schutzkonzept. Es dient den Mitarbeitern als Basis zum Umgang mit dem Thema Sexualität und und soll präventiv wirken, damit Kitas nicht zu Orten von sexuellen Übergriffen werden. Zudem erarbeiten derzeit die Kita-Teams für ihre jeweilige Einrichtung ein sexualpädagogisches Konzept. Dieses soll den Eltern mehr Transparenz bei den Fragen zum Umgang mit Sexualerziehung geben.
Jeden Tag begegnet den Erziehern das Thema Sexualität – zum Beispiel beim Toilettengang mit den Kindern oder beim Wickeln. Nicht jeder Mitarbeiter kann mit jeder Situation gleich gut umgehen. Damit die Probleme offen angesprochen werden können – und auch müssen –, liefert ein Schutzkonzept für alle Seiten ein Konzept und Handlungssicherheit. Deshalb haben alle 210 pädagogischen Mitarbeiter der 15 evangelischen Einrichtungen an einem Fachtag im Haus der Region Hannover teilgenommen. Dabei haben sich die Teilnehmer unter anderem mit den Fragen „Was ist kindliche Sexualität?“, „Welche sexuellen Verhaltensweisen gelten als normal?“, „Wo fangen Übergriffe unter Kindern an?“, „Was sollten Kinder über Sexualität wissen?“ und „Wie ist meine Haltung zu Nähe und Distanz?“ auseinandergesetzt. „Das muss uns alle interessieren“, sagt Bärbel Stöcker, Leiterin der evangelischen Kita in Resse.
Viele Aufgaben entfallen auf Erzieher
Gerade weil die Kinder immer länger am Tag in der Obhut in der Erzieher sind, müssten diese mehr Aufgaben übernehmen, die sonst in der Familie geregelt wurden. Zusammen mit Lars Arneke und der Region Hannover hat Stöcker die Weiterbildung mit dem Titel "Raum für Raum zum Schutzkonzept" organisiert und vorbereitet. Ziel war es, Sicherheit im Umgang mit kindlicher Sexualität zu gewinnen. Dabei müsse berücksichtigt werden, dass für Kinder Sexualität etwas anderes bedeutet, als für Erwachsene.
Die kompletten Kita-Teams haben an der Weiterbildung teilgenommen, die der Kirchenkreis finanziert hat. „Um ein Schutzkonzept nachhaltig in einer Einrichtung zu implementieren, müssen alle Mitarbeiter beteiligt werden – der Schutzraum muss ein Raum sein, in dem sich alle wiederfinden“, sagt Stöcker.
Kita in Resse arbeitet bereits mit Konzept
Die Kita-Leiterin, die 15 Jahre im Wedemärker Verein Gegenwind gegen sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen aktiv war, fand es an der Zeit sich mit dem Thema auseinanderzusetzen: „Ich habe wahrgenommen, wie wenig Kitas damit arbeiten.“ In ihrer Einrichtung in Resse hat sie bereits mit den Erziehern ein sozial- und religionspädagogisches Konzept entwickelt. Es ist für alle auf der Internetseite der Kita nachzulesen. „Mir ist wichtig, dass die Eltern wissen, was bei uns stattfindet“, sagt Stöcker.
Doch Stöcker weiß auch, dass auch Schutzkonzepte keinen hundertprozentigen Schutz vor sexuellem Missbrauch geben. „Das heißt nicht, dass es nicht passiert“, sagt sie. „Der beste Schutz ist, wenn die Kinder frühzeitig aufgeklärt werden.“ Denn das Kennen des eigenen Körpers ist ein wichtiger Bestandteil für Selbstwertgefühl und Selbstbestimmtheit – und damit auch, in einer entsprechenden Situation ganz klar sagen zu können: „Nein, das will ich jetzt nicht!“
Im nächsten Jahr ist für die Mitarbeiter ein Studientag zur Vertiefung des Themas geplant, Ende 2019 soll in allen Einrichtungen ein Grundgerüst für ein Schutzkonzept erarbeitet worden sein. „In unserer Trägerschaft sind wir damit auf einem richtig guten Weg“, sagt Superintendent Holger Grünjes.
Gemeinde arbeitet an „Schutzraumkonzept“
Auch die Gemeinde Wedemark erarbeitet derzeit ein sogenanntes „Schutzraumkonzept“ für die acht kommunalen Einrichtungen. Die Anregung für solch ein Konzept habe es bereits seit 2017 gegeben, teilt Gemeindesprecher Ewald Nagel auf Nachfrage mit. Doch andere dringendere Themen hätten die Erstellung verzögert. Auch ein flächendeckendes Programm zur Sexualerziehung hat die Gemeinde nicht. Aber in den Kitas arbeiten die Mitarbeiter nach Aussage von Nagel darauf hin, dass das Selbstwertgefühl der Kinder spielerisch gestärkt wird und die Jungen und Mädchen ihre eigene Identität finden. „Dazu stehen den Kindern in den Einrichtungen viele Materialien zur Verfügung, die unter dem Aspekt der Sexualerziehung förderlich sind“, sagt er. In den Kitas gibt es unter anderem Arztkoffer, Massagebälle und Spiegel. Zudem ist das Thema Kinderrechte in der Gemeinde ständig präsent, sagt der Gemeindesprecher.
Kita: Ein Raum voller Bedürfnisse und Ansprüche
Jeden Tag begegnet den Erziehern das Thema Intimität und Sexualität – zum Beispiel beim Toilettengang mit den Kindern, beim Wickeln oder bei Doktorspielen der Kinder. Auch Trösten und Kuscheln gehören zum Kita-Alltag dazu – oft verbunden mit körperlicher Nähe. Aber auch in Erzählungen und Bildern erfahren Erzieher vieles aus der kindlichen Erfahrungswelt, das sie deuten und im Kreis miteinander besprechen müssen. Kindertagesstätten sind ein Raum mit unterschiedlichen Schutzbedürfnissen. Das Thema Sexualität ist dabei besonders heikel. Denn für Kinder bedeutet Sexualität etwas anderes als für Erwachsene. „Kinder wollen ausprobieren und ihren Körper kennenlernen, Erwachsene verbinden mit Sexualität die Befriedigung von sich oder dem Partner“, sagt Bärbel Stöcker. Deshalb müssen sich die Erzieher mit der Körperlichkeit von Kindern auseinandersetzen – und haben dabei eine große Verantwortung. Denn immer länger sind Jungen und Mädchen täglich in der Obhut von Erziehern, bringen aber ihr Leben aus dem Elternhaus mit. Die Sexualerziehung ist deshalb mehr und mehr Thema und muss in den Kita-Alltag integriert werden. jsp
Von Julia Polley