Hannover: Roma müssen in menschenunwürdiger Notunterkunft leben
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Blick in einen Flur der Obdachlosenunterkunft Alte Peiner Heerstraße.
© Quelle: Moritz Frankenberg
Hannover. Ein in Grau gehaltener, schmaler Gang, fensterlos. Die Wände, der Boden, alles zerkratzt. Die Türen zu den Zimmern: teilweise völlig kaputt. Anschlüsse liegen frei, Kabel hängen aus den Wänden. Deckenlampen fehlen. Wer die städtische Obdachlosenunterkunft in der Alten Peiner Heerstraße in Lahe betritt, dem schlägt nichts als Trostlosigkeit und Verwahrlosung entgegen. Wer glaubt, er habe beim Anblick des Erdgeschosses schon das Schlimmste gesehen, irrt. Im ersten Stock der heruntergekommenen Containeranlage liegen alte Teppiche mitten in dem verdreckten Gang, von dem die schmalen Zimmer der Bewohner abgehen.
Selbst die ausgerechnet in Rosa gestrichenen Wände sind verschmiert. Umgekippter Sperrmüll steht dort, dazwischen – verlassen – kaputtes Kinderspielzeug.
Zwölf Erwachsene, dazu auch noch 23 Kinder, zumeist Roma und Sinti, müssen nach Angaben der Stadt Hannover derzeit unter diesen erbärmlichen Umständen leben. Wohlgemerkt: nicht in einer privat vermieteten Schrottimmobilie, sondern in einer Notunterkunft der Stadt. Irgendwo im Niemandsland Hannovers liegt sie, zwischen Gewerbegebiet und Autobahnzubringer, nicht weit entfernt von der städtischen Zentraldeponie. Gibt es irgendein soziales Umfeld, andere Wohnhäuser, Kita, Schule, oder auch nur einen Spielplatz in der Nähe? Fehlanzeige. Die Verkehrsanbindung ist so schlecht, dass schulpflichtige Kinder mit dem Taxi in die Schule gebracht werden. „Müll und Unrat abladen verboten“ warnt ein einsames Schild auf dem holprigen Feldweg direkt vor der Einfahrt. Drumherum liegen alte Autoreifen, Sperrmüll, Gerümpel, im Gestrüpp. Die Fläche vor dem heruntergekommenen Wohncontainer ist an diesem Tag eine einzige, schlammige Pfütze. Spielgeräte gibt es nicht. Dafür gibt es aber offenbar immer wieder Ungeziefer: Ratten, Kakerlaken. Nach HAZ-Informationen musste zuletzt Ende November 2018 ein Kammerjäger kommen.
Verwaltung kennt Probleme seit Jahren
Das Schlimmste ist: Die Zustände sind der Verwaltung in all ihrer Dramatik seit Jahren bekannt. Bereits im April 2016 richtet der zuständige Bezirksrat Bothfeld-Vahrenheide einstimmig einen dringenden Appell an die Stadt, aufgrund der „menschenunwürdigen Zustände“ endlich für Ersatz für die Notunterkunft zu sorgen. Schon damals haben die maroden Container in der Alten Peiner Heerstraße eine bemerkenswert umrühmliche Geschichte hinter sich. Bereits 2009 will der damalige Betreiber, die Johanniter Unfallhilfe, die Container wegen „gravierender Mängel“ durch einen Neubau ersetzen: nach 25-jähriger Betriebszeit. 2011 reaktiviert die Stadt die veraltete Unterkunft, mit Blick auf den Bauzustand zunächst nur für 18 Monate. Mittlerweile sind 84 Monate daraus geworden. Mal wohnen Flüchtlinge, dann wieder Obdachlose, vor allem Familien aus Südosteuropa, darin.
Wie dickfällig kann man sein?
Man könnte denken, es müsste reichen, wenn nicht nur Bewohner, Nachbarn oder Sozialarbeiter, sondern sogar alle Bezirksratspolitiker eines Stadtbezirks einer städtischen Notunterkunft öffentlich menschenunwürdige Verhältnisse attestieren. Man könnte denken – zumal wenn Kinder im Spiel sind –, nach einer solchen Ansage gelte für eine marode städtische Notunterkunft die Alarmstufe Rot. In der hannoverschen Bauverwaltung setzen sich aber offenbar selbst dann nur quälend langsame Verwaltungsprozesse in Gang, die dazu am Ende noch in einem baulichen Desaster enden. Die Stadt hat schon bei der Kita am Mühlenberger Canarisweg bewiesen, mit welcher Dickfelligkeit sie in Fällen großer Armut selbst gröbste Missstände aussitzt. Auch in Lahe toleriert sie inakzeptable Zustände jahrelang und reagiert dann, nach einer Serie voller Pleiten, Pech und Pannen, nur mit einem müden Weiterso. Das Schlimme ist, dass als Konsequenz daraus arme Menschen Monat für Monat weiter in bitterstem Elend leben müssen. Das muss sich endlich, und zwar ganz grundsätzlich, ändern. jr
Ende März 2017, nach dem Hilferuf des Bezirksrates, schafft die Ratsversammlung endlich die planungsrechtlichen Voraussetzungen für den Neubau. 2,5 Millionen Euro werden nach Angaben von SPD-Ratsherr Florian Spiegelhauer, dessen Wahlbereich Bothfeld-Vahrenheide ist, dafür im Haushalt bereitgestellt. Wiederum rund ein Jahr später – Ende Februar 2018 – fragt die SPD-Fraktion im Bezirksrat Bothfeld-Vahrenheide nach, wann der Neubau fertig sei,. Ein Umzug für die Bewohner der alten Anlage sei „dringend notwendig“. „Es war uns wichtig, dass die Bewohner endlich menschenwürdig untergebracht werden“, sagt Spiegelhauer. Die Anlage sei „zu 90 Prozent fertiggestellt und leider noch sehr Mangel behaftet“,antwortet die Stadtverwaltung darauf mit dürren Worten. Der Generalunternehmer befinde sich aufgrund der Vielzahl wesentlicher Mängel, zum Beispiel der fehlerhaften Ausführung der Laubengänge, im Verzug.
Mängel verhindern Abnahme des Neubaus
Jetzt, Ende Dezember 2018, also noch einmal zehn Monate später, ist die Verwaltung offenbar immer noch kaum einen Schritt weiter. Die Gesamtanlage sei zu ca. 99 Prozent fertig gestellt, heißt es in der Antwort auf eine Anfrage der HAZ. Jedoch verhinderten wesentliche Mängel weiter eine Abnahme. Wieder führt die Verwaltung die nicht fachgerecht ausgeführten Laubengänge an. Dazu sei die Anlage nicht betriebssicher, weil technische Anlagen nicht fachgerecht ausgeführt seien. Ein mittlerweile vorgestelltes Konzept des Generalunternehmers zur Mängelbeseitigung sei einvernehmlich abgestimmt: die Abarbeitung der Mängel habe begonnen.
Geradezu zynisch wirkt: Die Mängel sind augenscheinlich sogar so gravierend, dass die Anlage „voraussichtlich nicht vor dem 3. Quartal 2019 fertiggestellt wird“ obwohl man das nur 150 Meter entfernt gelegene Gebäude schon lange sehen kann. Man habe den Eindruck, die sich ewig verzögernde Fertigstellung einer neuen Notunterkunft in der Alten Peiner Heerstraße entwickele sich langsam zu einer hannoverschen Variante des Baus des Berliner Flughafens, kritisiert Jutta Barth, Vorsitzende der CDU-Fraktion des Bezirksrat Bothfeld-Vahrenheide. Die Zustände seien auch mit Blick auf das Kindeswohl nicht zu verantworten. Es sei üblich, dass man dem Subunternehmer bei Baumängeln einige Wochen Frist zur Nacherfüllung einräume, sagt CDU-Ratsherr Felix Semper, baupolitischer Sprecher und Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Baurecht. Danach könne der Auftraggeber diese in der Regel selbst beseitigen und dem Subunternehmer in Rechnung stellen. Dass für eine Mängelbeseitigung ein Zeitraum von anderthalb Jahren eingeräumt werde, sei „äußerst ungewöhnlich“.
Kritik an Verwaltung aus der Politik
Kritik kommt auch von der SPD: Sie habe ein gewisses Verständnis dafür, dass bauliche Dinge ihre Zeit brauchten, sagt Claudia Heinrich, Vorsitzende der SPD-Fraktion des Bezirksrates Bothfeld-Vahrenheide Aber es sei schon eine verdammt lange Zeit vergangen. „Und dass Menschen in solchen menschenunwürdigen Zuständen leben müssten, geht auf Dauer einfach nicht.“
Die Bewohner selbst versuchen offenbar noch, irgendwie mit der Situation umzugehen. Selbst in dieser vergammelten Containeranlage hält an diesem Tag Weihnachten Einzug. Zumindest das, was in bitterer Armut noch von Weihnachten übrig blieb. Die AWO verteilt bei einer kleinen Weihnachtsfeier Geschenke. Wer eines der Zimmer betritt, wird inmitten all des Elends tatsächlich mit dem Flair von Merry Christmas konfrontiert. Weihnachtsbäume sieht man da, mit Weihnachtskugeln und Lametta behängt, die Stämme zum Teil mit Backsteinen beschwert, damit sie nicht umfallen. In einem Zimmer sind die Lichterketten zugleich offenbar die einzige funktionierende Lichtquelle. „Wir tun alles für unsere Kinder“, sagt eine Romafrau und öffnet ungefragt den Kühlschrank in dem spärlichst eingerichteten Zimmer. Sie tut das offenbar, um zu zeigen, wie sorgsam sie die Lebensmittel geordnet hat.
Neue Unterkunft erst im Herbst 2019 fertig?
Den Gedanken, dass ein so erbärmliches Umfeld zwingend sofort eine Umsiedlung der obdachlosen Familien nach sich ziehen müsste, zieht die Verwaltung offenbar nicht in Betracht. Bezüglich der aufgezeigten Mängel sei ein Gesprächstermin mit der Geschäftsführung des Betreibers am 7. Januar terminiert, schreibt sie trocken.In Hannover in der Podbielskistraße 115 stand –wie berichtet –eine ursprünglich für Flüchtlinge geplante Unterkunft mehr als ein Jahr lang leer. Noch in diesem Winter sollen obdachlose Familien dort einziehen, hieß es vonseiten der Verwaltung bereits Ende November. Für die Sinti und Roma aus Lahe kommt diese Unterkunft als ein neues, menschenwürdiges Zuhause offenbar nicht in Betracht. Auf die Frage, wann ihre marode Unterkunft endlich geräumt wird, antwortet die Verwaltung der HAZ jedenfalls schlicht: Ein Umzug der Bewohner/innen in die neue Anlage sei erst nach Fertigstellung im dritten Quartal 2019 möglich.
Von Jutta Rinas