Ehrenamtliche unterstützen Familien

Kinderhospizdienst hilft seit zehn Jahren

Alina Runge (l.) betreut ehrenamtlich die 16-jährige Jasmin Freitag (r.).

Alina Runge (l.) betreut ehrenamtlich die 16-jährige Jasmin Freitag (r.).

Hannover. Wenn es am Freitagnachmittag bei Familie Freitag klingelt, dann springt Jasmin aus ihrem Rollstuhl hoch. Die 16-Jährige weiß: Das ist Alina, und Alina kommt ausschließlich ihretwegen. Ihr Besuch verspricht drei Stunden Spaß und Abwechslung. Was die 24-jährige ehrenamtliche Helferin des Ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienstes in der Region Hannover (AKHD) und Jasmin unternehmen, das bestimmen die beiden ganz allein. Sie gehen gemeinsam ins Kino, einkaufen, spazieren, manchmal auch ins Theater. Jetzt im Winter spielen sie Brettspiele oder mit Legosteinen, manchmal lackiert Alina sogar Jasmins Fingernägel. Das ist zurzeit das Größte.

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„Alina bringt so viel Unbeschwertheit in unsere Familie“, sagt Susanne Freitag, Jasmins Mutter. „Ich finde es wunderbar, dass Jasmin eine so junge Begleiterin gefunden hat, die sie so gut versteht.“ Seit 2008 wird Familie Freitag von Ehrenamtlichen des Ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienstes begleitet. Die Freitags sind eine von zurzeit 25 Familien, die von insgesamt 40 Ehrenamtlichen zwischen 24 und 70 Jahren begleitet werden. Die Besucher spielen mit den Kindern, gehen mit ihnen spazieren, lesen ihnen vor. Während einer vorher festgelegten Zeit können die Eltern in Ruhe einkaufen oder anderes erledigen, ohne sich um ihre schwer kranken oder behinderten Kinder zu kümmern. „Manchmal spielen wir aber auch alle gemeinsam“, erzählt Susanne Freitag.

Stoffwechselkrankheit macht den Alltag schwierig

Jasmin war drei Monate alt, als bei ihr Mukopolysaccharidose (MPS) vom Typ 1, der schwersten Verlaufsform, diagnostiziert wurde. Diese seltene, genetisch bedingte Stoffwechselkrankheit, von der bundesweit etwa 1000 Kinder und Jugendliche betroffen sind, führt unter anderem zu schweren körperlichen Beeinträchtigungen wie porösen Knochen, Kleinwuchs und instabilen Wirbeln. Ihre Lebenserwartung liegt rein statistisch zwischen fünf und 23 Jahren. Jasmin hat bereits zahlreiche Operationen hinter sich. Nach zwei Hüftoperationen musste das Kind jeweils acht Wochen lang eingegipst auf dem Rücken liegen. „In dieser Zeit haben sich zwei ältere ehrenamtliche Helfer des AKHD abgewechselt und mit Jasmin gespielt“, erzählt ihre Mutter.

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Seit einer Stammzelltransplantation in der Medizinischen Hochschule Hannover geht es Jasmin deutlich besser. Sie besucht inzwischen die achte Klasse der Werner-Dicke-Schule des Annastifts, sie singt und malt leidenschaftlich gern. „Trotz ihrer Einschränkungen und Pflegestufe 3 kann man mit ihr noch verhältnismäßig viel machen“, sagt ihre Mutter, verreisen zum Beispiel.

Alina Runge war 16 Jahre alt, als sie eine Dokumentation über das Kinderhospiz Löwenherz in Syke sah. „Das hat mich sehr beeindruckt“, erzählt die 24-jährige Versicherungskauffrau, die nebenbei noch Versicherungswirtschaft studiert. Sie schrieb das Kinderhospiz an, bot ihre Mitarbeit an. Dort verwies man die junge Frau aus Hannover an den Ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienst der Region Hannover – allein der Entfernung wegen. 2012 begann Alina Runge mit dem sechsmonatigen Vorbereitungskurs beim AKHD, der Kinder und Jugendliche mit sogenannten lebensverkürzenden Erkrankungen, ihre Eltern und Geschwister unterstützt. Jasmin ist das erste Kind, das sie begleitet. „Ich möchte der Familie ein paar unbeschwerte Stunden schenken“, sagt die 24-Jährige über das Motiv ihres ehrenamtlichen Engagements.

Zehn Jahre Kinderhospizdienst in der Region Hannover

Ein Fest mit Musik: Am Sonnabend, 7. Februar, feiert der Ambulante Kinder- und Jugendhospizdienst in der Region Hannover (AKHD) von 15 bis 17 Uhr sein zehnjähriges Bestehen im Werkhof Hannover, Hävemeier-und-Sander-Halle, Schaufelder Straße 11. Zu Gast sein werden Niedersachsens Sozialministerin Cornelia Rundt und der Musiker Heinz Rudolf Kunze, Schirmherr des AKHD. Es spielen die A-cappella-Band Maybebop und die Trommler der Stompany. Außerdem berichtet die Mutter eines lebensverkürzt erkrankten Kindes über ihre Erfahrungen und Möglichkeiten der Unterstützung.
Der AKHD, eine Kooperation des Deutschen Kinderhospizvereins in Olpe und des Arbeiter-Samariter-Bunds Hannover, wurde 2005 gegründet. Seitdem wurden mehr als 70 Familien und ihre Kinder zum Teil über viele Jahre durch Ehrenamtliche begleitet. Das Angebot ist für die Familien kostenlos, der Hospizdienst ist aber auf Spenden angewiesen. Der Deutsche Kinderhospizverein betreibt in Kooperation bundesweit 20 ambulante Kinder- und Jugendhospizdienste. Bundesweit haben mehr als 22.000 Kinder und Jugendliche eine Erkrankung, an der sie frühzeitig sterben werden. Dazu zählen außer der Mukopolysaccharidose Progeria, das Tay-Sachs-Syndrom und andere seltene Stoffwechselkrankheiten.
Der AKHD ist über die Begleitung hinaus eine Anlaufstelle für betroffene Familien, auf Wunsch erhalten sie auch nach dem Tod ihrer Kinder Hilfe und Unterstützung. Der Hospizdienst bietet den Eltern ein Forum zum Erfahrungsaustausch, organisiert Informationsveranstaltungen und stellt Kontakte zu stationären Kinderhospizen her.
Ehrenamtliche Mitarbeiter erhalten vor ihrem ersten Einsatz einen sechsmonatigen Befähigungskurs. Der Grundkurs umfasst 80 Stunden, ein Aufbaukurs weitere 20 Stunden. Sind die freiwilligen Helfer im Einsatz, treffen sie sich regelmäßig alle vier Wochen zum Erfahrungsaustausch und werden darüber hinaus regelmäßig geschult. Viermal jährlich erhalten sie eine Supervision, um mit Profis über ihr Erlebtes sprechen zu können.
Bisher sind die meisten freiwilligen Helfer weiblich. Von den 40 Ehrenamtlichen im Alter zwischen 24 und 70 Jahren sind nur vier Männer, berichtet Sylke Schröder, Koordinatorin des AKHD. „Die meisten sind zwischen 40 und 50 Jahre alt“, sagt die Kinderkrankenschwester und Diplom-Sozialpädagogin. Doch die Männer seien inzwischen auf dem Vormarsch, sagt Schröder. „Wir haben noch Potenzial, um weitere Familien zu begleiten und zu unterstützen.“

Kontakt: Ambulanter Kinder- und Jugendhospizdienst in der Region Hannover, Petersstraße 1–2, 30165 Hannover, Telefon (05 11) 3 58 54 49, Internet: www.akhd-hannover.de . Weitere Informationen gibt es auch beim Deutschen Kinderhospizverein, www.deutscher-kinderhospizverein.de.vt

„Die Familien entscheiden selbst, welche Form der Hilfe sie benötigen“, sagt Sylke Schröder, hauptamtliche Koordinatorin des AKHD. Es gebe Familien, in denen gleich zwei schwer kranke Kinder Unterstützung benötigten, in anderen spielten die freiwilligen Helfer auch mit den – gesunden – Geschwisterkindern. Die meisten Familien, die der AKHD unterstützt, haben Kinder mit Gendefekten oder schwerwiegenden Stoffwechselerkrankungen, an denen sie frühzeitig sterben werden, berichtet die Koordinatorin. Einige sind auch Unfallopfer. Für die Ehrenamtlichen bedeutet diese Aufgabe deshalb eine intensive Auseinandersetzung mit Trauer, Tod und der eigenen Endlichkeit. Während des sechsmonatigen Vorbereitungskurses lernen sie aber auch Erste Hilfe beim Kind, alles über deren Krankheitsbilder, die Pflege und Ernährung der Kinder sowie Fragen von Nähe und Distanz.

„Für uns Eltern begann die Trauerarbeit mit der Diagnose“, sagt Jasmins Mutter. Ihr ist es wichtig, das Leben ihrer Tochter so zu gestalten, dass es ihr trotz Krankheit möglichst gut geht. „Dazu gehört vor allem Normalität und dass sie unter Leute kommt. Deshalb ist Alina für uns auch ein Glücksfall.“

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