„Lüttje Lage“: Public Viewing in der Stilloase
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/GGKDTRPE4Q4X6NLNJTVW4OWGNQ.jpg)
Die Lüttje Lage heute von Susanna Bauch
© Quelle: HAZ
Hannover. Unweit des Rotlichtviertels haben Kunstaktivisten unlängst einen opulenten Thron errichtet, auf dem junge Mütter ihre Babys stillen konnten. Damit sollte für mehr Akzeptanz dieser Art der ersten Nahrungsversorgung geworben werden. Seltsamerweise störten sich vornehmlich Männer an der stillenden Frau. Mag daran liegen, dass viele Frauen das persönlich hinter sich haben und es als das begreifen, was es ist: Ein natürlicher Vorgang, der Name Säugling kommt ja nicht von ungefähr.
Ich habe an diesem Tag nicht nur entspannt stillende Mütter beobachtet, sondern zahlreiche Herren, die sich an dem Anblick störten. Und trotzdem über einen langen Zeitraum gar nicht wegschauen konnten. Der Begriff „Public Viewing“ bekam auf einmal eine ganz neue Bedeutung. Sich öffentlich zu entblößen finde er unangemessen, Baby hin oder her, meinte ein Zuschauer, der sich vermutlich am Nacktbadebereich an den Ricklinger Teichen weniger stört. Und sein Guck-Nachbar erklärte, dass das offene Stillen ihm irgendwie zu erotisch sei.
Die Peep-Shows um die Ecke in der Reitwallstraße bieten da offenbar weniger Anlass für moralische Entrüstung. Ich hatte mein Auto dort geparkt – natürlich hielten mich die Herren in diesem Abschnitt allenfalls für eine Reinigungskraft. Zwei Mittvierziger in gepflegtem Anzug mit eheberingten gepflegten Händen schlossen ihre Rennräder vor einem der Etablissements an. Vermutlich ganz normaler Steintoralltag. Als ich beide allerdings eine Stunde später rein zufällig ein paar Straßen weiter in einer schicken Kanzlei sitzen sah, bin ich doch ins Grübeln gekommen. Warum kein weibliches Stillen in der Öffentlichkeit auf der einen, dafür männliche Bedürfnisse stillen im Geheimen auf der anderen Seite? Ich verstehe die Männer nicht. Vielleicht ertragen manche den baren Busen nur gegen Bezahlung.
Von Susanna Bauch