Amtsgericht Neustadt

Missverständnis begünstigte tödlichen Unfall

Der Angeklagte Andreas L. erwartete am Unglückstag einen Zug aus der anderen Richtung - Minuten später.

Der Angeklagte Andreas L. erwartete am Unglückstag einen Zug aus der anderen Richtung - Minuten später.

Neustadt. Der 37-jährige Mitarbeiter einer Bausicherungsfirma muss sich seit Donnerstag vor dem Amtsgericht Neustadt wegen fahrlässiger Tötung, fahrlässiger Körperverletzung in fünf Fällen und gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr verantworten. Andreas L. wird vorgeworfen, als Sicherungsposten für den Zusammenstoß eines Zuges und eines Lastwagens an einem beschrankten Bahnübergang im Neustädter Ortsteil Eilvese verantwortlich zu sein. Dort war am Vormittag des 15. Mai 2017 ein aus Neustadt Richtung Nienburg fahrender Regionalexpress mit Tempo 160 gegen einen Lkw geprallt, der eine geöffnete Behelfsschranke passiert hatte. Der 59-jährige Fahrer starb, im Zug wurden der Lokführer und ein Dutzend Fahrgäste verletzt, fünf von ihnen schwer. Zum Auftakt des Prozesses wurde deutlich, dass der fatale Fehler von L. durch falsche Angaben eines Bahn-Fahrdienstleiters im benachbarten Hagen begünstigt wurde.

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Da sich der Zug dem Bahnübergang, der gerade umgebaut wurde, aus einer Kurve heraus näherte, hatte der Lokführer keine Chance, den Lastwagen rechtzeitig zu sehen und zu bremsen. Der Lkw-Fahrer wurde aus dem Führerhaus geschleudert und war sofort tot. Laut Anklage hatte Andreas L. den aus Neustadt kommenden Regionalexpress 4412 in seinem Nachweisheft als „durchgefahren“ notiert – doch dies war ein Irrtum. Laut einer Erklärung, die Verteidiger Kai Peters für seinen Mandanten vortrug, gab es zwischen 10.39 Uhr und 10.45 Uhr mehrere Telefongespräche zwischen den Fahrdienstleitern in Neustadt und Hagen sowie dem Sicherungsposten in Eilvese, die offenbar zu Missverständnissen führten. In Tonaufzeichnungen, die Richterin Pamela Ziehn den Verfahrensbeteiligten vorspielte, war deutlich zu hören, dass der Fahrdienstleiter aus Hagen von zwei aus Richtung Hagen nahenden Zügen sprach. „Aufgrund des Blockabstands zwischen zwei Zügen, der zwei bis drei Minuten betragen muss, dachte mein Mandant, er könne die Schranke für einen Moment öffnen“, erklärte der Verteidiger. Doch der todbringende Zug kam von der anderen Seite herangerast. Andererseits hatte der Fahrdienstleiter aus Neustadt zu Beginn der Kommunikation klar angesagt, dass ein Regionalexpress aus Richtung Hannover unterwegs sei.

Schuld am Tod eines Menschen

Der Angeklagte ist nach eigenen Angaben seit 16 Jahren im Bausicherungsgewerbe tätig, war aber erst zwei Wochen lang in Eilvese eingesetzt, mit Beginn der Arbeiten am Bahnübergang. Es sei für ihn „unerträglich“, ließ der an einem Sprachfehler leidende Mann seinen Anwalt mitteilen, dass er am Tod eines Menschen Schuld sei. Nach dem Unglück war der Vater von drei Kindern ein halbes Jahr in psychotherapeutischer Behandlung, arbeitet inzwischen aber wieder im Bausicherungsgewerbe.

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Der Fahrdienstleiter aus Hagen, der als einer von zehn Zeugen geladen war, berief sich auf sein Auskunftsverweigerungsrecht. Ein Ermittlungsverfahren gegen ihn war eingestellt worden, jedoch könnte es die Staatsanwaltschaft jederzeit wieder aufnehmen. Der Lokführer ließ sich entschuldigen: Er sei immer noch in psychotherapeutischer Behandlung und könne seine Wohnung in Bremen nicht länger als zwei Stunden verlassen, da ihn sonst Panikattacken überfielen. Eine 56-jährige Autofahrerin, die das Unglück auf der anderen Seite des Bahnübergangs beobachtet hatte, sprach von einem großen Knall: „Und dann war der Lkw weg.“ Sie rolle seither wesentlich vorsichtiger über Bahngleise als früher. Als Nebenklägerin sitzt auch die 34-jährige Tochter des getöteten Lastwagenfahrers im Gerichtssaal.

Viele gefährliche Zwischenfälle

Massive Vorwürfe gegen die Bahn erhob Verteidiger Peters. Er habe recherchiert, dass es in Deutschland zwischen 2015 und 2017 rund 100 gefährliche Zwischenfälle an höhengleichen Bahnübergängen gegeben habe, die aber meist folgenlos geblieben seien. Die Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung spreche davon, dass der Informationsaustausch zwischen Fahrdienstleitern und Sicherungsposten per Telefon „in hohem Maße fehleranfällig“ sei; Baulärm, pöbelnde Autofahrer oder schlechte Arbeitsbedingungen bei Wind und Wetter würden eine Kommunikation oft erheblich beeinträchtigen. Die Bahn solle laut Bundesstelle so rasch wie möglich und flächendeckend ein technisches „Nachwarnsystem“ installieren, so der Anwalt, damit Züge bei Pannen an Bahnübergängen automatisch gestoppt werden. Da die Bahn diese Nachrüstung schon länger versäumt habe, liege ein „Organisationsverschulden“ vor.

Das Gericht will nun noch weitere Zeugen laden. Deshalb wird der Prozess Ende August fortgesetzt.

Von Michael Zgoll

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