Mit dieser Roboterhand können Menschen ohne Unterarm wieder greifen
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Die neue Roboterhand sieht nicht aus wie eine echte, sondern funktioniert in vielen Bereichen auch so.
© Quelle: Villegas
Hannover. Der Händedruck zur Begrüßung ist anständig fest, aber angenehm – und doch so außergewöhnlich: Es ist eine Roboterhand, die Ludwig List gut gelaunt ausstreckt. „Ein ganz neues Gefühl“, sagt der 81-Jährige. „Irgendwie echt, irgendwie natürlich. Es bringt mir die Menschen wieder näher.“ List ist einer der Probanden, die an der Entwicklung der neuen Roboterhand Softpro mitwirken. Die Prothese, mit EU-Fördermitteln von mehreren Forscherteams in den vergangenen beiden Jahren entwickelt, ist am Donnerstag in der Orthopädischen Klinik der MHH im Annastift erstmals vorgestellt worden.
Neue Roboterhand hilft Patienten beim Greifen
Die Medizinische Hochschule Hannover (MHH) hat am Donnerstagvormittag eine neuartige Roboterhand vorgestellt. Diese soll Menschen, denen der Arm amputiert wurde, helfen, schneller und filigraner wieder greifen zu können.
Intuitive Steuerung
Es braucht nicht lange, um zu erkennen, was die neue Roboterhand ihren Vorgängern voraus hat: Die Prothese sieht nicht nur einer echten Hand sehr ähnlich, sie funktioniert auch so. „Die Steuerung ist intuitiv“, erklärt der Ingenieur und Biomechanikexperte Eike Jakubowitz, Leiter der Studie. Das heißt: Mussten bei älteren Prothesen noch komplexe Bewegungsmuster von den Trägern eingeübt werden, damit die Hand – oft mit zeitlicher Verzögerung – am Ende auch das tat, was sie tun sollte, funktioniert die neue Hand unmittelbar. Zwei Kanäle intakter Muskelstränge im Unterarm sind dafür die Voraussetzung. Sensoren auf der Haut registrieren die elektrische Spannung, die das Gehirn über die Nerven an die Muskeln abgibt, wenn man etwas greifen möchte – und geben die Befehle an die Roboterhand weiter. „Greifintelligenz“ nennen das die Experten. Statt bis zu 19 Motoren, die ältere Prothesen für die einzelnen Fingerbewegungen eingebaut hatten, greift die neue Roboterhand mit nur einem Motor zu.
Die Hand erkennt Formen
„80 Prozent aller Greifmuster können abgerufen werden“, erklärt Jakubowitz. In vielen Studien wurden mit Testpersonen die verschiedensten Bewegungen analysiert. All diese hat die Roboterhand gespeichert. Die fehlenden 20 Prozent erledigt die Softrobotik. Die Hand erkennt, welche Beschaffenheit und Form der Gegenstand hat, nachdem gegriffen wird. Ob zarter Plastikbecher oder die starke Hand eines Menschen – die Prothese dosiert die Kraft. „Ich kann damit zehn Kilo heben oder aber ein rohes Ei aus dem Regal nehmen“, sagt List.
Einen Durchbruch in der international medizintechnischen Forschung: So beschreibt Professor Henning Windhagen, Direktor der MHH-Klinik für Orthopädie, den Prototypen. „Robotik ist in der Orthopädie in aller Munde“, betont er. Es gehe stets darum, die Präzision beim Greifen und die Interaktion zwischen Mensch und Maschine zu optimieren. Die Robotikhand verbinde beides.
Mensch und Maschine, Roboter – das mag befremdlich wirken. „Viele denken da gleich an Aliens, aber es ist sehr menschlich“, sagt Professor Windhagen. Die Probanden Ludwig List und Roswitha Mohrich beweisen das. „Ich kann meiner Partnerin beim Tanzen endlich wieder die Hand auf den Rücken legen, ohne dass sie sich erschreckt“, sagt List und muss lachen. List hat seinen Arm im Alter von acht Jahren im Krieg verloren. „Auch heute gibt es wieder viele Kriegsverletzte, die so etwas brauchen. Es ist toll, diesen Fortschritt miterleben zu dürfen.“
Herstellung kostet weniger als 5000 Euro
„Unser Ziel ist es, dass die Hand in zwei Jahren Marktreife erlangt“, sagt Jakubowitz. Bis dahin werden bis zu zehn Probanden mit dem Prototypen in Hannover arbeiten, der Roboterhand so den Feinschliff verleihen. Die EU fördert das internationale Forschungsprojekt – doch steht an dessen Ende dann ein Luxusprodukt, das sich kaum jemand leisten kann? „Nein“, verspricht Jakubowitz. „Momentan liegen die Herstellungskosten bei nicht einmal 5000 Euro.“ Die Roboterhand könne zudem schon kleinen Kindern helfen, die ohne Arm auf die Welt kommen. „Das ist dann eine Hilfe für das ganze Leben. Eine Investition, die sich lohnt“, betont Professor Windhagen.
Die heute 58-jährige Roswitha Mohrich kam ohne rechten Unterarm auf die Welt . „Ich regele meinen Alltag ohne Hilfe, meine Kinder sind stolz auf mich“, sagt Mohrich. Früh hat sie sich mit ihrer körperlichen Einschränkung arrangiert – handwerklich habe sie einiges drauf, und auch dem Beruf als technische Zeichnerin stand das nie im Weg. Und dennoch merkt man ihr an, welch große Hilfe ihr die Ärzte gerade an den Arm gelegt haben: „Damit kann ich jetzt fast alles machen“, sagt Mohrich. Ob Holzarme oder die Greifer mit zwei metallischen Fingern: „Ich hatte wohl alle Prothesenmodelle schon an. Das lässt sich nicht vergleichen.“ Die Nähnadel auf dem Tisch greift sie mit der Roboterhand beim Test problemlos – List schenkt sich derweil wenige Meter entfernt mit dem Prototypen etwas zu Trinken ein. „Prost“, scherzt er – auf die Zukunft.
Das Forschungsprojekt SoftPro
Mit 7,5 Millionen Euro fördert die Europäische Union (EU) das Forschungsprojekt SoftPro. Wissenschaftler und Mediziner aus Deutschland, der Schweiz, Schweden, den Niederlanden, Italien sowie aus Japan und USA sind seit zwei Jahren eingebunden, um Erkenntnisse aus der Robotik, Orthopädietechnik und Neurologie zusammenzuführen. Innerhalb der nächsten zwei Jahre soll die Roboterhand Marktreife erlangen. Entwickelt wurde der Prototyp für die Roboterhand in Italien, getestet wird dieser in Alltagssituationen seit Anfang Juni im Institut für Orthopädische Bewegungsdiagnostik der Orthopädischen Klinik der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) im Annastift. Bis zu zehn Betroffene werden mit dem Prototyp arbeiten. Mit nach Hause dürfen die Roboterhände aber nicht genommen werden – die Zulassung fehlt ja noch. „Wir bauen den Alltag also im Labor nach“, sagt Dr. Eike Jakubowitz.
Von Carina Bahl