Neue Stolpersteine erinnern an NS-Opfer
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Gedenken in der Callinstraße: Adam Tennen (v. l.) und Gunter Demnig.
© Quelle: Foto: Benne
Nordstadt. Aufmerksam schaut er sich um. Das „Klein Kröpcke“, die Straßen der Nordstadt. „Wenn die Geschichte anders verlaufen wäre, könnte dies hier meine Heimatstadt sein“, sagt Adam Tennen. Doch die Geschichte ist so verlaufen, wie sie verlaufen ist, und deshalb ist der 41-Jährige aus Rockwell, Maryland, in den USA, angereist, um dabei zu sein, wenn in der Callinstraße Stolpersteine für seine Urgroßeltern verlegt werden.
Hier lebten Ignatz („Iko“) und Sofie Tennenbaum, die aus dem heutigen Weißrussland stammten, mit ihren sechs Kindern. Im Jahr 1933 verlor der jüdische Familienvater seine Stellung als Generalvertreter der Zigarettenfabrik Yramos. Die erwachsenen Kinder konnten noch ins Exil fliehen, doch die Eltern wurden am 15. Dezember 1941 nach Riga deportiert und später ermordet. „Mein Vater hat seinen Großvater nie kennengelernt“, sagt Adam Tennen.
„Nie wieder!“
Zum 13. Mal ist der Künstler Gunter Demnig in der vergangenen Woche nach Hannover gekommen, um an zwölf Orten jene Stolpersteine zu verlegen, die in Gehwegen an NS-Opfer erinnern. „Für meine Familie bedeutet das sehr viel“, sagt Adam Tennen. „Die Stolpersteine erinnern an meine Urgroßeltern – und ihre Botschaft ist: ,Nie wieder!’“
Als Sponsor hat Knut Gerschau die Verlegung der Steine für die Tennenbaums unterstützt. In der HAZ hatte der 57-Jährige aus dem Zooviertel von der Aktion gelesen und je Stein 120 Euro bezahlt. „Die Stolpersteine sollen das, was geschehen ist, immer wieder ins Bewusstsein heben“, sagt er. Insgesamt gibt es in Hannover jetzt 401 jener Denkmale im Miniaturformat – und jeder Stein erinnert an ein anderes Schicksal.
Im Goldenen Winkel verlegte Demnig jetzt zwei Steine für Basche und Isaak Josef Klein, die in Auschwitz ermordet wurden – ebenso wie die jüdische Ärztin Elisabeth Müller, an die jetzt ein Stolperstein in der Lavesstraße erinnert. Weitere neue Stolpersteine gibt es in der Königsworther Straße für Hedwig und Josef Kirchheimer, die am 15. Dezember 1941 nach Riga verschleppt wurden; ihr genaues Schicksal ist unbekannt.
Flucht in den Tod
Aus dem bayerischen Starnberg ist der Medizinprofessor Herbert Dahlheim zur Verlegung der Steine nach Hannover zurückgekehrt. Als Kind lebte der 88-Jährige in der Königstraße 5, wo jetzt zwei Stolpersteine an seine Eltern Hans und Margarethe Dahlheim erinnern.
Sein Vater war promovierter Rechtsanwalt; ein angesehener Mann. Die Praxis in der Königstraße ging gut – doch 1938 entzogen die Nazis Hans Dahlheim die Zulassung. Vergeblich hatte er gehofft, dass er verschont würde, weil er doch im Ersten Weltkrieg verwundet worden war. Verzweifelt stürzte er sich im Juli 1941 aus dem zweiten Stock des Hauses und starb. „Das war einen Tag vor meinem elften Geburtstag“, sagt Herbert Dahlheim.
Sein Vater war bei seinem Suizid auf ein Fahrrad gestürzt, das im Hinterhof abgestellt war. Die Besitzer verlangten damals, dass Familie Dahlheim die Reparatur bezahlt. Doch es habe auch Zeichen der Solidarität gegeben: Er selbst wurde an der Tellkampfschule von seinen Mitschülern akzeptiert, sagt Herbert Dahlheim. „Und der Hauswirt ließ uns umsonst hier wohnen, obwohl er ein SA-Mann war.“ Er selbst überlebte den Krieg, ebenso wie seine Mutter, die keine Jüdin war.
Für Angehörige der Familie Dahlheim wurden in der vergangenen Woche acht Stolpersteine in Hannover verlegt. Dies sei ihm wichtig gewesen, sagt Herbert Dahlheim: „Am Ende meines eigenen Lebens ist dies das letzte, das ich für meinen Vater tun kann.“
Von Simon Benne