So groß ist das Graffiti-Problem in Hannover
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Sollen die Graffiti weg? Stadtspaziergang mit Redakteur Hans-Peter Wiechers und Volker Holm.
© Quelle: Katrin Kutter
Hannover. Volker Holm kann ein sehr spontaner Zeitungsleser sein. Schon am späten Abend hatte er auf seinem iPad den HAZ-Bericht über die Graffiti-Schmierereien im Welfengarten und die Klage von Unipräsident Volker Epping gelesen – noch vor Mitternacht hatte er eine E-Mail an den Rechtswissenschaftler abgeschickt, in der er ihn ermutigte, weitere Schritte zu ergreifen. Holm ist ein engagierter Streiter gegen wildes Farbsprühen. Das Thema begleitete ihn zwei Jahrzehnte lang, als er Baudezernent in Bremerhaven war. Heute lebt er als Ruheständler in Hannover.
Sein Engagement gegen Graffiti hat er mitgebracht. Er diskutiert das Thema heute nicht weniger engagiert als 1993, als er nach Bremerhaven kam und Teile der Stadt als Eldorado für Sprayer empfand. Während seiner Amtszeit hatte er immer wieder heftige Diskussionen mit denen durchzustehen, die Graffiti als Jugendkultur werteten und tolerierten und den Dezernenten Holm als Vertreter von „Law and order“ abstempelten. Er ist damals nicht zurückgewichen und über die Jahre des Streits und der Diskussionen ein Fachmann in Sachen Graffiti-Kultur geworden.
Holm wohnt heute im Zooviertel, und unser Stadtspaziergang beginnt an der Bahnunterführung an der Bultstraße. „Man sieht hier geradezu beispielhaft, wie Graffiti wirken kann“, sagt Holm. Der alte Lokschuppen sei eine sogenannte „Wall of Fame“, übersät mit Dutzenden von Graffiti. Aus den Zügen weithin sichtbar. „Man muss schon einigen Mut und Einfallsreichtum aufwenden, um dort zu sprayen. Das alles übt auf die Szene einen unwiderstehlichen Reiz aus.“
Und der Eigentümer der Liegenschaft hat längst aufgegeben. Die Deutsche Bahn entfernt hier die Bilder der Sprüher nicht mehr. Eine Fotografiererlaubnis am Lokschuppen verweigert sie unserer Redaktion unter anderem mit der Begründung, man wolle das Thema nicht „aktiv unterstützen“. Muss man auch nicht. Die Schmierereien sind weithin sichtbar. Inzwischen ist auch das Verwaltungsgebäude der Bahn an der Bultstraße in Mitleidenschaft gezogen.
Das stille Dulden der Schmiererei ist Holm ein Graus
„Das beobachtet man immer wieder“, sagt Volker Holm, „die Sprayer werden auch in der Nachbarschaft der Wall aktiv.“ Hier im Umfeld der Unterführung am Michael-Ende-Platz sind die Altglascontainer besprüht, die Brückenpfeiler, die Papierkörbe, die Kachelwände der Unterführung, die Schallschutzwände, die Verteilerkästen der Telekom und sogar der Zigarettenautomat, der stumme Nachbar des Bahngebäudes.
Das stille Dulden der Schmiererei ist Holm ein Graus. Hausbesitzer, die Opfer der Farbschmierereien geworden sind, empfiehlt er eine schnelle Reaktion: „Unbedingt mit einem Foto dokumentieren, Anzeige erstatten und dann weg damit, je nach Untergrund überstreichen oder reinigen.“ Es sei der Ehrgeiz der Sprayer, dass ihr „Werk“ möglichst lange sichtbar sei. Das müsse man durchkreuzen. Die Anzeige sei wichtig, weil dann die Behörden aktiv werden müssten. „Es geht immerhin um den Straftatbestand der Sachbeschädigung.“ Bis zu einer Gesetzesänderung 2005 hätten die Opfer einen Schaden sogar noch nachweisen müssen, was nur mithilfe eines Gutachtens möglich war. Kosten, die Hausbesitzer auf sich nehmen mussten, ohne sicher sein zu können, sich auch in einem Prozess durchzusetzen.
Wir lassen das Sprayer-Dorado am Lokschuppen hinter uns und kommen über Ellern- und Gellertstraße zu den Gebäuden des alten Vinzenzstiftes in der Scharnhorststraße. In dem imposanten Bau aus dem 19. Jahrhundert residiert auch das Landesamt für Denkmalschutz. Für Holm ist es ein schlechter Witz, dass ein Amt, das bei anderen historischen Bauten sich um jeden Türgriff sorgt und so manchen privaten Bauherrn mit dieser Detailverliebtheit schon zur Verzweiflung getrieben hat, das Baudenkmal vor seiner Nase verunstalten lässt und nichts dagegen unternimmt. An einem Eckgebäude des Vinzenz-Komplexes prangen auf dem gelb geklinkerten Bau ein Dutzend Tags – so nennen die Sprayer ihre Namenszeichen. Teile der Mauer um das Grundstück sind mit Sprüchen beschmiert.
„Was soll das für eine Kultur sein?“
„Als Kunst kann man das doch nun wirklich nicht bezeichnen“, sagt Holm. Und es ist auch keinerlei Ehrgeiz erkennbar, ein Bild oder eine Grafik auf die Wand zu bringen. Der Anteil der Sprayer, die Beachtenswertes schaffen, bewege sich im einstelligen Prozentbereich, erzählt er uns auf den Rückweg zum Michael-Ende-Platz. Er glaubt auch nicht, dass die freien Wände, die hier und da für das Sprayen zur Verfügung gestellt werden, irgendjemanden vom wilden Schmieren abhalten. „Es macht doch gerade den Reiz aus, bei Nacht und Nebel besonders exotische Plätze zu suchen und jeder Ordnungskraft ein Schnippchen zu schlagen.“
Als Ausdruck einer Jugendkultur, auf die es Rücksicht zu nehmen gilt, sieht Holm das Sprayen nicht: „Was soll das für eine Kultur sein, die Gesetzesüberschreitungen toleriert. Geht es nicht vielmehr darum, gegenseitig anerkannte Regeln einzuhalten und die Freiheit und das Eigentum des anderen zu achten?“
Von Hans-Peter Wiechers