Ein Leben für den Frieden
Bückeburg. Von Klaus Maiwald. Rund ein Jahr nach Kriegsende wurde im Petzer Pfarrhaus die Idee geboren, auf dem Weinberg westlich von Bückeburg das "Freundschaftsheim" zu bauen – die erste Friedensschule der Nachkriegszeit auf deutschem Boden. Treibende Kraft hinter dem Vorhaben war Pastor Wilhelm Mensching. Heute jährt sich sein Todestag zum 50. Mal.
Wilhelm Mensching wurde am 5. Oktober 1887 in Lauenhagen im damaligen Fürstentum Schaumburg-Lippe geboren. Nach seinem Abitur am Adolfinum in Bückeburg 1906 studierte Mensching bis 1912 Theologie, Medizin, Sprachen und Geschichte an verschiedenen deutschen Universitäten.
Zusammen mit seiner Frau Anna, der Tochter des Lauenhäger Pastors Tielking, ging er 1912 als Missionar auf die „Bethel-Station“ ins damalige „Deutsch-Ostafrika“, dem heutigen Ruanda. Hier erkannte er die Schuld des Kolonialismus und arbeitete gegen rassistische, nationalistische und kirchliche Überheblichkeit vieler seiner Glaubensbrüder. Von 1916 bis 1920 war er in belgischer und englischer Gefangenschaft, die er in Indien verbrachte. In dieser Zeit wurden drei seiner vier Kinder geboren. In Indien verfolgte Mensching aktiv den Freiheitskampf von Mahatma Gandhi, der sein ganzes Leben prägen sollte.
Nach seiner Rückkehr nach Deutschland trat er die Pfarrstelle in Petzen an, die er 32 Jahre lang, bis 1952, ausübte. Seit 1922 war er Mitglied im Internationalen Versöhnungsbund, der größten internationalen christlichen Friedensorganisation, seit 1932 sogar Geschäftsführer des deutschen Zweiges. 1927 nahm Mensching als einziger Europäer am Panafrikanischen Kongress in Harlem/USA teil.
In der Nazi-Diktatur von 1933–1945 wurde das Leben Menschings von den Machthabern stark eingeschränkt. Sie zogen seinen Auslandspass ein, seine Post und Predigten wurden überwacht, und die Auseinandersetzungen mit seiner Landeskirche, die schon während der Weimarer Republik wegen Menschings Engagement für Frieden und Toleranz begannen, nahmen jetzt an Schärfe zu. Der couragierte Pazifist blieb seiner Linie aber stets treu. So verfasste er die von den „Quäkern“ verlegten „Erbguthefte“, in denen antirassistische und pazifistische Traditionen deutschen Denkens der NS-Rasseideologie entgegengestellt wurden. Von Mitte Oktober 1943 bis Ende März 1944 versteckten er und seine Familie unter Lebensgefahr die Berliner Jüdin Ruth Lilienthal in seinem Petzer Pfarrhaus.
1948 gründete Mensching das „Internationale Freundschaftsheim“ in Bückeburg, die erste Friedensschule in Deutschland. Als Gäste konnte Mensching dort auch Gandhis Ärztin, den späteren Bundespräsidenten Gustav Heinemann sowie den Theologen Martin Niemöller begrüßen. Auf Anregung der amerikanischen Quäker war Mensching 1950 und 1955 zusammen mit seinem französischen Freund André Trocmé, dessen Wurzeln in Petzen lagen, Kandidat für den Friedensnobelpreis. Ihre Verdienste als Wegbahner ökumenischer und interreligiöser Verständigung sollten dadurch honoriert werden. 1962 erhielt er die Ehrendoktorwürde der Karl-Marx-Universität Leipzig. Vor 50 Jahren, am 25. August 1964, verstarb Wilhelm Mensching in Stadthagen, wo er auch begraben liegt.
Es ist das Verdienst der Geschichtswerkstatt der Herderschule Bückeburg, dass die Person Wilhelm Mensching wieder in das Bewusstsein der Bevölkerung zurückkehrte. Im Juli 1999 wurde ein Gedenkstein im Geburtsort Lauenhagen eingeweiht, es folgte im Januar 2000 die Umbenennung des Pfarrweges an der Petzer Kirche in „Pastor-Mensching-Weg“. Eine Ausstellung im Bückeburger Schloss von Mai bis August 2001 dokumentierte den Lebensweg des Pastors mit Zivilcourage. Im Mai 2001 anerkannte die israelische Gedenkstätte Yad Vashem den Antrag der Geschichtswerkstatt, Wilhelm Mensching den Titel „Gerechter unter den Völkern“ zu verleihen. Seit dem 9. September 2001 gibt es auf dem Petzer Kirchengelände einen Gedenkstein für Wilhelm Mensching. Die offizielle Yad-Vashem-Ehrung Menschings durch die israelische Botschaft fand am 29. November 2001 in Petzen statt. Tochter Johanna und Schwägerin Ursula Mensching nahmen Medaille und Urkunde Yad Vashems entgegen. Als am 10. September 2002 Johanna Mensching verstarb, erlosch der direkte Zweig von Pastor Mensching, da alle seine Kinder kinderlos geblieben waren.
2003 kam es zu einer denkwürdigen Begegnung mit Ruth Lilienthal. Sie reiste aus den USA zunächst nach Berlin an, um zusammen mit Mitgliedern der Geschichtswerkstatt bei Bundespräsident Johannes Rau empfangen zu werden. Wenige Tage später erzählte Frau Lilienthal in der Herderschule ihre bewegte Lebensgeschichte, in der sie noch einmal die uneigennützige und lebensrettende Hilfe der Familie Mensching betonte. Ruth Lilienthal verstarb 2007 im Alter von 87 Jahren.
Die Geburtsgemeinde Wilhelm Menschings ehrte „ihren großen Sohn“ 2004 mit einer Dauerausstellung im Lauenhäger Bauernhaus, die in Zusammenarbeit mit der Geschichtswerkstatt konzipiert wurde. Ebenfalls 2004 kam endlich auch Wilhelm Menschings Ehefrau Anna zu einer längst verdienten Würdigung. Das Gebäude der Diakonie-Sozialstation Bückeburg-Eilsen wurde „Anna Mensching Haus“ genannt. Leider ist es nicht gelungen, das Gelände des ehemaligen Freundschaftsheimes am Bückeburger Weinberg für eine entsprechende Folgenutzung im Sinne Pastor Menschings zu nutzen. Die Häuser sind inzwischen abgerissen worden und ein Supermarkt hat hier jetzt seine Tore geöffnet. Aber zumindest erinnert seit 2010 am Kreisel vor dem Supermarkt eine Gedenktafel an diesen einst so bedeutenden Ort.
SN