Verloren im Wald der Sozialen Medien
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Werner Patzelt lehrt als Politikwissenschaftler an der TU Dresden. Für einen Votrag zum Thema Soziale Medien kam er in den Bückeburger Ratskeller.
© Quelle: mld
Bückeburg. Stellen Sie sich vor, zwei Menschen stehen auf einer Insel: Einer auf einem Hügel, einer mitten in einem Wald.
Der auf dem Hügel schaut um sich und sagt: „Hier gibt es ein Dorf auf der Insel.“ Der im Wald antwortet: „Hier gibt es kein Dorf, ich sehe nur Bäume!“ Wer hat Recht?
Die Antwort liegt natürlich auf der Hand – beide –, doch für Werner Patzelt veranschaulicht dieses Sinnbild, wie man besser mit Sozialen Medien wie Facebook oder Twitter umgehen kann. Es sei wichtig, den Menschen wieder Perspektivität zu vermitteln, also die Erkenntnis, dass es auf eine objektive Wahrheit unterschiedliche Sichtweisen geben kann.
Dies werde in Zeiten von Sozialen Medien schwieriger, sagte der prominente Politikwissenschaftler. Vor 240 Zuhörern – darunter viel Politprominenz – hielt er im Ratskeller einen Vortrag zum Thema „Verändern die Sozialen Medien unsere Demokratie?“.
Zerfall der politischen Öffentlichkeit
„Wir erleben derzeit einen Zerfall der politischen Öffentlichkeit“, sagte Patzelt. Früher seien jene die „Schleusenwärter“ der öffentlichen Kommunikation gewesen, die lesen und schreiben konnten, dann jene, die Druckerpressen besaßen, und schließlich Journalisten: Das Volk diskutierte darüber, was am Abend zuvor in der Tagesschau gebracht wurde. Journalisten verlieren diese Stellung jedoch. Und: Beinahe alle Medien verlangen mittlerweile für einen Teil ihrer Arbeit – wie seit jeher auch im Print – im Internet Geld. „Das führt zu der Annahme, dass das, was hinter Bezahlschranken steht, nicht so wichtig sein kann“, so Patzelt. Das führe zur weiteren „Zerstückelung“ der öffentlichen Meinung.
Soziale Medien hingegen sind für jedermann zugänglich. Doch da gibt es laut Patzelt mehrere Probleme. Erstens gebe es die sogenannten Filterblasen: Durch die Algorithmen der Plattformen werden Nutzern die Beiträge angezeigt, die ihrer eigenen Meinung entsprechen. Mit anderen Perspektiven muss man sich dann nicht mehr auseinandersetzen – oder sie werden, wenn man doch auf sie trifft, als „falsch“ abgelehnt. Vielen Nutzern würde wichtiges Wissen fehlen, um die Informations-Bruchstücke aus den Sozialen Medien einordnen zu können. Zur Erklärung griffen sie stattdessen zu Verschwörungstheorien.
Auswirkung auf die Demokratie
Zweitens gaukelten Soziale Medien Direktheit im zwischenmenschlichen Umgang nur vor. Zwar könne man Kommentare schreiben und Nutzer direkt anschreiben, doch zur persönlichen Kommunikation gebe es einen immensen Unterschied. Der Umgang untereinander verrohe, da Menschen das Gefühl hätten, dass ihr Tun online folgenlos bleibe.
Eine solche Einschränkung von Kommunikation habe direkte Auswirkung auf die Demokratie, so der Politikwissenschaftler, denn beides seien zwei Seiten „derselben Medaille“. Dass Teile der Bevölkerung ungeprüft Blogs und Facebook-Seiten eher glaubten als etablierten Medien, erschwere auch die politische Kommunikation. Politiker und Parteien griffen deshalb selber mehr zu Sozialen Medien. Doch auch darin liege eine Gefahr: Um Politiker zur Verantwortung zu ziehen, brauche es „kritischen, unabhängigen Journalismus“, so Patzelt.
An Debatten in der virtuellen Welt teilnehmen
Wie sollte man mit all diesen Veränderungen umgehen? Erstens, so Patzelt, solle man beobachten, inwiefern sich die Gesellschaft verändert. Zweitens solle man Mitmenschen darüber aufklären, dass ihr Handeln im Internet Konsequenzen hat. Und drittens solle man an der virtuellen Welt teilnehmen und sich an Debatten beteiligen.
Im Saal saßen zwei Klassen vom Gymnasium Adolfinum sowie dem Ratsgymnasium Stadthagen. Ein Lehrer fragte, was er tun könne, um seine Schüler vor simplen Botschaften und Fake News zu schützen. Wichtig sei, eine „kritische Haltung durch Erziehung und Bildung“ zu vermitteln, so Patzelt. Hier hätten Eltern wie Schulen große Verantwortung. Eine kritische Haltung heiße auch sich widersprechende Perspektiven zuzulassen und diese zu verstehen. Auch müsse man sich der eigenen Perspektive gewahr werden und für diese „Verantwortung übernehmen“, so Patzelt.
Von Marieluise Denecke
SN