Bad Eilsen / Flugzeug- und Technik

Der Kurort und die Kampfflugzeuge

Bad Eilsen. Bad Eilsen (kk). Autor Reinhold Thiel liefert hier nach Verlagsangaben die erste zusammenhängende, umfassende Abhandlung über die Geschichte des einst bedeutenden Bremer Flugzeugunternehmens. Doch wenn der Leser in dem fast 400 Seiten starken Buch auf das "Werk 10" stößt, wird schnell heimatgeschichtliches Interesse geweckt. "Werk 10" ist nämlich die firmeninterne Bezeichnung für die Entwicklungs- und Konstruktionsbüros der Firma, die von August 1941 bis zum Kriegsende in Bad Eilsen untergebracht worden waren. Wobei die Bezeichnung "Büros" ein wenig verniedlichend klingt: In Spitzenzeiten waren im Kurort mehr als 2000 Mitarbeiter beschäftigt.

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 Focke-Wulf hatte sich seit den zwanziger Jahren besonders im Metallflugzeugbau einen Namen gemacht. Im Dritten Reich war die Firma wichtiger Teil der Kriegsmaschinerie, wurden doch erfolgreiche Kampfflugzeuge wie die FW 190 für die Luftwaffe entwickelt und produziert. Neben dem Hauptstandort Bremen unterhielt die Firma zahlreiche Betriebe in Deutschland und im angrenzenden Ausland. Ein wichtiger „Puzzlestein“ in diesem Geflecht sollte Bad Eilsen werden.

 Als im Laufe des Krieges die alliierten Luftangriffe auf die Zentrale in Bremen immer mehr zunahmen, wurden Abteilungen „aufs flache Land“ verlagert. Unter Leitung des Chefkonstrukteurs und Focke-Wulf-Direktors Kurt Tank wurde in Eilsen innerhalb kürzester Zeit ein gut funktionierender Betrieb aufgebaut. Tank gilt in Fachkreisen als einer der führenden Flugzeugkonstrukteure des vorigen Jahrhunderts.

 Reinhold Thiel veröffentlicht in seinem Buch auch zahlreiche Dokumente aus den heutigen Airbus-Firmenarchiven, die sich mit dem „Werk 10“ beschäftigen. Wer sich jedoch besonders für den Lebens- und Arbeitsalltag in der Konstruktionsabteilung und damit in Eilsen interessiert, muss sich schon genauer einlesen: Immer wieder gibt es zwar auch Passagen zum Werk in Eilsen, zum Beispiel über die Ereignisse an den letzten Kriegstagen, insgesamt stehen aber eher technische und organisatorische Details der Firmengeschichte im Mittelpunkt des Buches.

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 Spannend ist ein Blick auf den „Lageplan 26“ aus den Focke-Wulf-Unterlagen, der das Werk Eilsen zeigt. Überraschende Erkenntnis: Es umfasst den kompletten Kurbezirk, selbst im Kurpark und auf den Tennisplätzen sind Gebäude eingezeichnet, die es heute nicht mehr gibt.

 Mit Kriegsbeginn war der Kurbetrieb im fürstlichen Heilbad Eilsen mehr oder weniger zum Erliegen genommen, Lazarette waren eingezogen. Dann übernahm Focke-Wulf das Kurzentrum. Einige Quellen sprechen von einer Beschlagnahme durch das Reichsluftministerium für die Firma, andere von einer gütlichen Einigung mit dem Fürstenhaus als Eigentümer.

 Wie dem auch sei: Die Unterlagen zur Raumplanung sind höchst eindruckvoll. Einige Beispiele: In der Wandelhalle befanden sich ein Konstruktionsbüro, im Fürstenhof Abteilungen für die Festigkeitsprüfung und den Nachschub, im Badehotel die technische Leitung, Abteilungen für Flugmechanik und Entwürfe. Das Georg-Wilhelm-Haus wurde als Unterkunftsgebäude genutzt, hier residierten auch Luftschutz und Werkschutz. Geselligkeit wurde im Kursaal gepflegt: Hier war ein Kameradschaftsheim eingerichtet worden. Im Kurpark entstanden 20 große Holzbarracken, zahlreiche umliegende Gebäude von der Garage bis zur Villa waren gelegt. In Heimen und Pensionen wurde Wohnraum angemietet – der ganze Ort lebte von, für und mit Focke-Wulf.

 Mehr als 2000 Spezialisten vom Flugtechnikingenieur über Mathematiker, Statiker, technische Zeichner, Fotografen, Sekretärinnen, Feuerwehrleute oder Drucker wurden beschäftigt, auch Lehrlinge wurden ausgebildet. Eine Reihe von Mitarbeitern war als Ansprechpartner für Ministerien, Wehrmacht, Partei und Zulieferer eingesetzt. Neben deutschem Personal wurden auch Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene eingesetzt – zumeist für einfache Tätigkeiten.

 Doch warum Bad Eilsen als Standort? Da ist sicherlich einmal die Verfügbarkeit eines großen zusammenhängenden Areals, dann ist da aber auch die Nähe zu Langenhagen, Detmold und Lage. In Langenhagen fand die Flugerprobung stand, in Detmold und Lage waren Zellenerprobung und Teile des Musterbaus untergebracht.

 Rund um den Kurbezirk gab es im Laufe der Zeit deutlich sichtbare Veränderungen. Splitterschutzgräben und Löschteiche wurden ausgehoben, auch in Eilsen lebte man mit der Angst vor Luftangriffen. Daher wurde auch die Verlagerung bestimmter sensibler Bereiche unter die Erde vorangetrieben. In einem durch ein massives Gebäude erweiterten ehemaligen Steinkohlestollen in Ahnsen brachte man die Zeichnungs-Abteilung und die hochmoderne Lichtpauserei unter. Tarnbezeichnung hierfür war „Disthen“. Auch in weiterem Umkreis war Focke-Wulf aktiv: In Kirchhorsten wurde ein Windkanal projektiert, in riesigen Stollen der Eisenerzzeche Wohlverwahrt in Kleinenbremen sollten gar Flugzeugteile zum Beispiel für den Jäger FW 190 und das nachfolgemodell Ta 152 produziert werden. Die Anlage ging jedoch vor Kriegsende nicht mehr in Betrieb.

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 In den Bad Eilser Büros von Focke Wulf wurden in erster Linie Kampfflugzeuge entworfen oder weiterentwickelt. In den letzten Kriegsjahren wurde unter anderem intensiv an einem Strahlflugzeug sowie an einem Langstreckenbomber gearbeitet. Kurt Tank hatte jedoch auch die Arbeit an einem größeren Verkehrsflugzeug nie ganz aufgegeben – nach dem Krieg versuchte er das Projekt in Argentinien voranzutreiben, letztendlich verwirklicht wurde es aber nicht. Auch an seinen neuen Wirkungsstätten wie später in Indien waren besonders Kampfjets gefragt, die zum Teil auf Eilser Entwicklungen zurückgingen.

 Das Know-how der Eilser Konstrukteure war ihr eigentliches Kapital und bei den Alliierten begehrt. Tank hatte im März 1945 angeordnet, die Mikrofilme der wichtigsten Projekte der Firma gut isoliert zu verpacken und einzulöten. Sie wurden nach Thiels Recherchen unter einer Baumwurzel in Bad Eilsen vergraben. Nach anderen Quellen sollen sensible Firmenunterlagen auch im Badehotel eingemauert worden sein. Akten und Konstruktionsunterlagen wurden zum Teil vernichtet, zum Teil fielen sie englischen und amerikanischen Truppen in die Hände.

 Am 8. April 1945 wurde Bad Eilsen besetzt, Kurt Tank und zahlreiche weitere leitende Focke-Wulf-Mitarbeiter von den Briten festgesetzt und unter Hausarrest gestellt. Tank wurde zu Vernehmungen nach London geflogen, kehrte aber kurzzeitig nach Eilsen zurück. Mit seinen Mitarbeitern wurde er auf der Schaumburg interniert. Er sondierte in Gesprächen mit Russland, wie und wo er auch in Zukunft Flugzeuge bauen könnte. 1947 setzte sich der ehemalige Eilser Focke-Wulf-Chef unter falschem Namen über Dänemark nach Argentinien ab. Gut verborgen im Gepäck die Eilser Mikrofilme mit Entwürfen für die Ta 183, einen Düsenjäger, und die Ta 500, ein Langstrecken-Düsenverkehrsflugzeug. Die von Focke-Wulf genutzten Liegenschaften in Bad Eilsen hatten zu diesem Zeitpunkt bereits die Briten übernommen, die hier ein Luftwaffenhauptquartier errichteten. Erst Anfang der fünfziger Jahre konnte daran gegangen werden, den Kurbetrieb langsam wieder aufzunehmen. Das Buch:

 Reinhold Thiel, „Focke-Wulf Flugzeugbau“, ISBN-10: 3897574896, ist im Verlag Hauschild erschienen, hat 392 Seiten, 312 Schwarz-Weiß-Abbildungen, ist 28 Zentimeter groß, gebunden und kostet 48 Euro.

SN

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