Der Dritte musste nicht sterben
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Ein schlichter Gedenkstein am Waldparkplatz Rottmündetal erinnert an die Polizisten Andreas Wilkending und Jörg Lorkowski.
© Quelle: pr.
Bad Nenndorf. Zwei Polizisten werden mitten in der Nacht zu einem Wildunfall im Rottmündetal gerufen. Sie halten an einem Waldparkplatz und steigen aus dem Streifenwagen. Aus dem Nichts hämmert plötzlich eine Gewehrsalve von 14 Schüssen auf sie ein. Der Fahrer, von fünf Schüssen getroffen, stirbt sofort. Sein Kollege auf der Beifahrerseite versuchte noch, in Deckung zu gehen, doch vier Schüsse durchdringen seinen Körper. Er gibt noch ein letztes Lebenszeichen von sich, dann schreitet der Mörder auf ihn zu und beendet sein Leben – aus kurzer Distanz mit einem Schuss in den Kopf.
Die Schreckensnacht ereignete sich heute vor 25 Jahren. Der Mörder, der damals 29 Jahre alte Dietmar Jüschke, sitzt heute noch in Haft. Auch seine beiden jüngeren Brüder Manfred und Ludwig wurden am Ende des 180 Verhandlungstage dauernden Prozesses für ihre Mitverantwortung verurteilt.
Seither galt in allen Medien der "allgemeine Polizistenhass" der Brüder als Motiv. Ludwig sei als Einziger der drei gar nicht bei der Mordnacht dabei gewesen. Auch dieser Tage erinnern Fernsehbeiträge an die grausame Tat, ohne auf tiefere Zusammenhänge hinzuweisen.
Erst die Mutter brachte ihn zum Reden
„Es wird alles falsch dargestellt.“ Das ist die feste Überzeugung von Manfred Herrmann. Der pensionierte Polizeibeamte war damals mit den Ermittlungen befasst. Heute engagiert sich der Bad Nenndorfer für die Opferschutz-Organisation „Weißer Ring“. In der ermittelnden Sonderkommission nahm sich Herrmann den jüngsten Bruder, Ludwig, in der Vernehmung vor. Obwohl alle drei inhaftiert waren, hatte Ludwig panische Angst vor Dietmar. „Wir versuchten, sehr sensibel mit ihm umzugehen, und machten ihm keine Vorwürfe zur Tat“, erinnert sich Herrmann. Erst Ludwigs Mutter brachte ihn zum Reden.
"Ludwig erzählte uns, wie sein Bruder Dietmar für eine Reihe von Straftaten immer wieder vom gleichen Polizisten gegängelt worden war. Der Kollege wird wahrscheinlich für den Buchstaben 'J' in der Fallbearbeitung zuständig gewesen sein, und so landete Jüschke wegen aller Delikte immer wieder bei ihm", vermutet Herrmann.
Wegen Wilderei und anderer Vergehen musste der Waffennarr schon für kurze Zeit in Haft, und der Hass auf seinen polizeilichen "Widersacher" staute sich immer weiter auf. Inspiriert vom "A-Team", der Lieblingsfernsehserie der Brüder, habe Jüschke den Plan gefasst, sich an dem Polizisten zu rächen – ihn zu "verschrotten".
Marathonprozess
"Der geplante Mord sollte aber wie ein Selbstmord mit der eigenen Pistole aussehen", ermittelte Herrmann. Um eine Dienstwaffe zu erbeuten, habe Jüschke den Hinterhalt geplant und seine Brüder zum Mitmachen genötigt. Durch vier Überfälle auf Bundeswehrstandorte zwischen 1986 und 1988 hatten sie Waffen und Munition erbeutet.
Herrmann ist überzeugt: "Als Dietmar in der Nacht vom 12. Oktober auf die Polizisten feuerte, saß Ludwig schreiend auf dem Rücksitz ihres Geländewagens und schlug die Hände über dem Kopf zusammen." In dem Marathonprozess ist von all den Erkenntnissen nicht mehr viel geblieben.
Als erster Polizist in Niedersachsen bekam Herrmann als Zeuge einen Anwalt zur Seite gestellt. "Die Verteidiger unternahmen alles, um meine Kollegen und mich unglaubwürdig zu machen. In diesem Prozess etablierte sich das damals neue System, die Verhandlung mit allen Mitteln der Strafprozessordnung in die Länge zu ziehen."
Ludwig sei während seiner Vernehmung nackt, ohne Nahrung und mit einem Foto seines Bruders Manfred, der sich vor seiner Verhaftung ein Messer ins Herz gerammt hatte, konfrontiert gewesen, so der Vorwurf gegen die Beamten. Für Herrmann absolut unhaltbar: "Wir haben ihn in einem Jogginganzug und Gummistiefeln von der Polizei übernommen."
Dass Ludwig Zeuge des Mordes war, schloss das Gericht aus und bestrafte ihn mit zwei Jahren Haft auf Bewährung. Auch die Rolle des Polizisten, der das eigentliche Ziel des Komplotts sein sollte, blieb außen vor.
Mit seinem Eifer kämpft Herrmann bis heute allein. Ein geplantes Buch über seine Sicht der Dinge hatte er verworfen, nachdem keiner der Beteiligten aus Justiz und Behörden seine Version stützen wollte. Selbst die Akteneinsicht in das Urteil wird ihm verwehrt. Ein Kollege habe ihn sogar wohlmeinend zur Vorsicht gemahnt: "Denk an den Paragrafen 203!" – das Dienstgeheimnis. geb
SN