Vortrag in Obernkirchen

Auf der Suche nach dem Sinn

Karl Heinz Schneider spricht in Obernkirchen.

Karl Heinz Schneider spricht in Obernkirchen.

OBERNKIRCHEN. Außerdem seien Gelassenheit, Neugierde und Ehrlichkeit nötig. „Man muss die Vergangenheit unvoreingenommen und ernsthaft untersuchen“, erklärt der Historiker im Trafohäuschen am Obernkirchener Kirchplatz, wo er auf Einladung des Kulturfensters einen Einblick in die alltägliche Arbeit seiner Zunft geben möchte.

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Ein Historiker stehe immer zwischen Gegenwart und Vergangenheit, sagt Schneider und verweist auf den ersten deutschen Literaturnobelpreisträger, auf den Historiker Theodor Mommsen und seine Schriften über die römische Republik: Es gebe ja Kritiker, sagt Schneider, die seien der Ansicht, das Mommsen mehr über die bürgerliche Gesellschaft um 1900 erzähle als über die Römer. „Wir gucken ja mit unseren Fragestellungen, mit unseren Methoden auf die Geschichte.“ Aber natürlich sei etwas Wahres dran, wenn man sich als Historiker den Quellen verpflichtet sehe, „Geschichte ist Literatur.“

Vergangenheit ist komplex

Dazu komme die unendliche Vielfalt der Welt: „Wir haben gelernt, zu filtern, das Wichtige von dem Unwichtigen zu trennen. Man muss sich alles von allen Seiten ansehen.“ Eine klare Absage erteilt Schneider der gern genommenen These, dass sich Geschichte wiederhole: Es gebe eine „unendliche Zahl an Möglichkeiten“, wie sich die Dinge entwickeln könnten. „Wir sprechen über eine unendlich komplexe Vergangenheit.“ Erschwerend komme hinzu: „Manches ist verschwunden und lässt sich nachträglich nicht mehr erschließen. Es ist weg, und manches ist gefiltert“, sagt er und greift auf ein Beispiel zurück: Der Zahn der Zeit hat im Lauf der Jahrhunderte von einem Buch mit einst 300 Seiten fünf übrig gelassen, mit denen der Historiker arbeiten müsse. Denn Feuer und Wasser sind die Todfeinde des Historikers, und bei einem Besitzwechsel im Mittelalter, bei Hochzeiten oder Erbschaften könne man nur hoffen, dass jemand Urkunden aufbewahrt habe.

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„Geschichte“, sagt Schneider, „ist die Suche nach Sinn.“ Geschichte sei aber immer auch eine Erzählung, und jeder könne eine andere Geschichte erzählen. „Die Dinge sind immer mehrdeutig.“ Und das finde er persönlich spannend und faszinierend. Aber am Anfang stehe die Quelle, „stehen die Zeugnisse der Vergangenheit, die übrig geblieben sind“.

Historiker darf nicht spekulieren

Was den Historiker vom Heimatforscher unterscheide, das erklärte Schneider nebenbei auch: Der Heimatforscher neige zur Spekulation, das dürfe der Historiker nicht. Die Quellen-Arbeit sei aufwendig. Wenn man den ganzen Tag in ihnen gelesen habe, dann wisse man erst am Abend, ob sich das überhaupt gelohnt habe.

Schneider schreibt zurzeit an der Geschichte Obernkirchens, er hat diese Aufgabe vom verstorbenen Historiker Rolf-Bernd de Groot übernommen. In diesem Jahr soll der erste von zwei Bänden vorgelegt werden.

Kurz streift er in seinem Vortrag das 17. Jahrhundert. Man wisse wenig über die Menschen, die damals in der Bergstadt gelebt hätten, erläutert der Historiker, so gut wie nichts. „Erst mit Kirchenbüchern gab es die ersten guten Quellen.“ Für das Jahr 1625 erzählten sie von der „größten demografischen Katastrophe“, die die Stadt jemals erlebt habe, erklärt Schneider, als „wahrscheinlich“ die Pest gewütet habe: In so manchem Monat gab es über 100 Tote, die Stadt habe in wenigen Monaten ein Drittel oder sogar die Hälfte der Einwohner verloren. Quer durch alle Schichten, von arm bis reich – der Tod habe keine Unterschiede gemacht, „und der höchste Anteil war bei den Kindern zu beklagen“.

Die Welt im 17., 18. und auch noch im 19. Jahrhundert, sagt der Historiker, "war wesentlich härter als heute". rnk

SN

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