Angelina Jolie: Kambodscha-Drama für Netflix
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/QLNLBL4MC2H7SGQU55U3PIG4AE.jpg)
Die Begeisterung währt nur kurz: Die Ankunft der Roten Khmer in Pnomh Penh bedeutet für die Einwohner Vertreibung, Internierung, Tod. Szene aus Angelina Jolies Film „Der weite Weg der Hoffnung“.
© Quelle: AP
Hannover. Im Deutschen klingt das schon wieder nach Rosemarie Pilcher. Aus dem grauen Titel „First they killed my Father“ wurde bei Netflix Germany ein romantisch-rosafarbenes „Der weite Weg der Hoffnung“. Erzählt wird dabei aus einer Kindheit, die zum Alptraum wurde. 1975 marschierten die kommunistischen Truppen der Roten Khmer in Pnomh Penh ein, evakuierten die Hauptstadt Kambodschas, steckten die Bevölkerung in Arbeits- und Umerziehungslager, trennten Familien, drillten Kinder zu mitleidlosen Soldaten und ermordeten bis 1979 fast zwei Millionen Menschen. Unsägliches Leid brachten die Truppen des Revolutionsführers Pol Pot über ihr Volk. Das Mädchen Loung war fünf Jahre alt, als sie mit ihrer Familie aus der Stadt fliehen musste. Und neun, als sie ihre überlebenden Geschwister wiedertraf.
Mit ihrer Heimat geht die Regisseurin nicht zimperlich um
Der politisch aktive Hollywoodstar Angelina Jolie hat ihre Autobiografie verfilmt. Ihr Adoptivsohn Maddox Chivan stammt aus Kambodscha, Jolie lernte dort die Menschenrechtsaktivistin kennen, las ihr Buch und begann das aufwendigste Filmprojekt in der Geschichte Kambodschas. Gedreht wurde ausschließlich mit einheimischen Laiendarstellern, der Rahmen freilich wurde von westlichen Filmemachern gesteckt – der britische Kameramann Anthony Dod Mantle („Im Herzen der See“, „Snowden“) liefert stattliche Bilder, der New Yorker Komponist Marco Beltrami („Logan: The Wolverine“, „Gods of Egypt“) den Soundtrack. Zu sehen ist das Werk seit heute beim Streamingdienst Netflix, dem es darauf ankommt, große Hollywoodnamen zu Fernseharbeit zu bewegen.
Der Auftakt ist vielversprechend: Mit ihrer Heimat geht Jolie nicht zimperlich um. Man hört, wie US-Präsident Nixon zu Vietnamkriegszeiten Kambodscha im Fernsehen Neutralität zusichert und erfährt sogleich von den heimlichen, großflächigen US-Bombardements. Dazu singt Mick Jagger „Sympathy for the Devil“, während man erfährt, wie die von den Angriffen gepeinigte Landbevölkerung sich den Roten Khmer zuwendet. Ein kleines Mädchen, es ist Jolies Heldin Loung, streckt auf dem Balkon die Hand nach einem davonfliegenden Militärhubschrauber aus. Amerika flieht. Mit ihrem großen Bruder tanzt Loung Twist, die Mutter trägt mondäne Westgarderobe, die Familie ist wohlhabend. Das kann nicht gutgehen. Ein paar Minuten später sind schon alle unterwegs ins Verderben.
Jolie frönt dem Ausblenden und Nichtzeigen
Zweieinviertel Stunden dauert Jolies Film, der dem Ausblenden und Nichtzeigen frönt. Das Ausmaß der humanitären Katastrophe wird dem Zuschauer so nicht bewusst, ganz zu schweigen von den politischen Katastrophen, die zu der humanitären führten. Selbst die Exekution des Vaters findet in einer nächtlichen, traumartigen Imagination der Heldin statt. Publikum neigt zu Selbstberuhigung. Auch ein gelegentlicher Leichnam am Flussufer, der von Kindern mit Bambusstöcken in die Strömung geschoben wird, ist noch kein Beweis für den Genozid, für die Totenäcker der Steinzeitkommunisten. Die Hütten der Lager erscheinen als passable Quartiere, die Sonne, die sich in den Reisfeldern spiegelt, die Reispflanzen, die in sattem Grün aus dem Wasser spitzen, sind Symbole der Hoffnung. Die Barbarei ist anderswo, es wird schon nicht so schlimm gewesen sein.
Der Schrecken von damals verweist auf den Terror von heute
Der begrenzte Blickwinkel der kindlichen Heldin bringt Jolies Film um das Explizite, das Roland Joffés „The Killing Fields“ zum unvergesslichen Klassiker des Antikriegsfilms machte. „First they Killed My Father“ ist ein handwerklich gut gemachter Film fürs Fernsehen, kein großes Kunstwerk. Und dennoch gibt es auch bei Jolie Bilder, die haften bleiben: Das Beten der Kinder vor einem enthaupteten Buddha, das stundenlange Stehen der Kindersoldaten in einem schlangenverseuchten Brackwasser bei strömendem Regen, ein weinendes Mädchen, das seine Mutter in einem Grab wachrütteln will. Und immerzu Loungs Gesicht (Sareum Srey Moch), die weit geöffneten Augen, die aufnehmen und erkennen. Erkennen, dass die Axt im Gürtel des einen Revolutionärs, das entsicherte Gewehr über der Schulter des anderen den Tod für ihren Vater bedeuten werden, dass die ihm angekündigte Arbeit an einer Brücke nur eine Lüge ist.
Jolie zeigt die Mechanismen der Allmacht: Vertreibung, Internierung, Zwangsarbeit, Gehirnwäsche, Denunziation, Siechtum. Sie zeigt, wie Ideen zu Idiotien werden, zu unfassbaren, grausamen Wirklichkeiten. Und fragt zu Recht, wie eine bessere Welt aus Menschenverachtung entstehen kann? Wie kann der bessere Mensch einer sein, der Gefühle als Schwäche betrachtet und nicht als Vorteil? Und in der Barbarei von Kambodscha spiegeln sich die heutigen Ungeheuerlichkeiten, die afrikanische von Boko Haram und die arabische des Islamischen Staats.
Von Matthias Halbig / RND