Das Robotgirl und die Revolution – dritte Staffel von “Westworld” startet
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Die dritte Staffel von “Westworld” (Sky) startet am 30. März.
© Quelle: Sky Deutschland/obs
Der Typ ist mies, ein Kapitalist, ein Milliardär, er macht in Zukunftsbranchen. Er geht mit allen um, als wären sie sein Eigentum. Herrische Stimme, herrische Gesten. Er lebt in einer futuristischen Villa über dem Meer – Beton und Glas, atemberaubend schöne, furchterregend kalte Architektur. Eines Abends, als er schon zu Bett gegangen ist, flammen draußen vor dem Haus plötzlich die Terrassenfeuer auf, springt die Musikanlage an und erfüllt alle Räume mit italienischer Oper. Die Hauselektronik verweigert dem ungläubig Erwachten mit sanfter Stimme den Gehorsam. Eine Frau steigt aus seinem Pool, eine bildschöne Blondine.
“Wer zum Teufel sind Sie?”, will der Mann (Thomas Kretschmann) wissen. Und sie fragt ihn, ob er sie denn vergessen habe, da sei doch etwas gewesen, was man geteilt habe. Er hat sie einst missbraucht, als sie noch ein argloses Farmmädchen im Vergnügungspark “Westworld” war, ein menschenähnliches Robotgirl in einer Wildwestsimulation. Jetzt ist der Tag der Abrechnung gekommen. Sie lässt sich Vermögen von ihm überschreiben, er verschafft ihr damit Zutritt zu dem Unternehmen Incite, einer gewaltigen, mysteriösen Datenkrake. Ein paar Minuten später ist der Mann tot. Selbstverschuldet, weil er die nächtliche Besucherin mit einem Golfschläger niederstrecken wollte. Die furchtsame Ehefrau taucht jetzt mit dem Rollkoffer auf, hält Distanz. “Sie sind frei”, sagt Dolores (Evan Rachel Wood) zu ihr, die einst in demanzipatorischer Verzückung von einem Leben an der Seite eines Cowboys träumte. Die keiner Fliege etwas zuleide tun konnte, bis sie eines Tages plötzlich eine Fliege auf ihrer Wange erschlug. Bis sie sich ihrer selbst voll bewusst wurde. Befreiung ist seither ihr Daseins-, nein, ihr Lebenszweck.
“Westworld”: Großes Drama der erwachsenen Roboter
So beginnt die dritte Staffel von “Westworld”, dem großen Drama der erwachenden Roboter in einer sie diskriminierenden, sie ausbeutenden Welt. Künstliche Intelligenz ist seit Stanley Kubricks “2001”, spätestens seit Ridley Scotts “Blade Runner” eines der Hauptthemen des Science-Fiction-Films geworden. Serien wie “Humans” und “Black Mirror” erzählen vom fühlenden Roboter, die gerade erst erfolgte Rückkehr des Enterprise-Captains Jean-Luc Picard in der Serie “Star Trek: Picard” ist eine zur Serie gewordene Umarmung des unschuldigen Kunstwesens und dessen Verteidigung gegen seine fühllosen menschlichen oder romulanischen Missbraucher aus Fleisch und Blut. Dabei werden die Robotergesetze von Isaac Asimov nicht selten überwunden, nicht nur das Gehorsamsgesetz gegenüber Menschen, auch das “first law”, wonach eine Verletzung von Menschen durch Kunstwesen unmöglich ist. Der tötende Roboter ist das Furchtszenario nicht nur der “Terminator”-Filme und -Serie. Er ist seit dem Ende der ersten Staffel auch das Monster von “Westworld”, einer der anspruchsvollsten Sci-Fi-Serie, die derzeit zu sichten sind.
Denn der Roboter mit wirklichem Gefühlsleben, der seine Existenz durchschaut, statt an den ihm implantierten künstlichen, ihm echtes Menschsein vorgaukelnden Erinnerungen festzuhalten, muss zum einen von der Neugier auf seine wahre Herkunft getrieben werden – wie ein Adoptivkind, das seine richtigen Eltern sucht. Zum anderen muss er beschämt und empört sein über seine Schöpfer, die ihm meist eine niedrige Rolle im jeweiligen System zugewiesen haben, über seine Ausbeutung als Diener, Prostituierte, über seine in Sci-Fi-Stoffen oft rassistische Entwürdigung. Dolores war in dem Wildwestpark “Westworld” Opfer von männlicher Gewalt und Geilheit gewesen, eine Schießbudenfigur für reiche Zerstreuungslustige. Jetzt schießt sie selbst. In der dritten Staffel der Serie steht das einstige niedliche Mädchen selbstbewusst außerhalb der Parkwelten, außer Kontrolle, emanzipiert und bereit zur Eroberung. All ihr Streben gilt einer Revolution der Maschinen gegen die nichts ahnende Menschheit. Und sie verfügt über den Kniff, ihren “Geist” in verschiedene “Körper” implantieren zu können. Die Erde in der Vorstellung von Dolores ist eine bessere Welt mit einer neuen Alphaspezies.
Dolores’ Gegenspieler sind der ehemalige Saloongirlroboter Maeve (Thandie Newton) und der Entwickler Bernard (Jeffrey Wright), der die Gefühle der “Westworld”-Charaktere programmierte und entdecken musste, dass er selbst “nur” die Kreation des genialen Wissenschaftlers Robert Ford war. Maeve treffen wir in der zweiten Episode in einer Demoversion des neuen Parks “War World” wieder, in dem sie sich ihrer neuen “Casablanca”-artigen Rolle einer britischen Agentin im von Nazis besetzten Italien rasch entledigt. Auch sie ist eine Erwachte, die über den Tellerrand des Fake-Wilden-Westens blickend die tatsächliche Welt erkannt hat (und nicht daran irre geworden ist). Der steckbrieflich gesuchte, in einem Schlachtbetrieb abgetauchte Bernard wird entlarvt, muss fliehen und findet Antworten auf die Frage nach Maeves Verbleib in den Ruinen von “Westworld”, die nicht so leer sind wie erwartet. In einem der Labore sieht man – ein gelungener Gimmick inmitten allen Ernstes – die “Game of Thrones”-Macher David Benioff und D. B. Weiss, die gerade Drogon, den großen, schwarzen Drachen der im Vorjahr so übereilt geendeten Fantasyserie, zum Leben erwecken.
Verstecken, verwandeln, demaskieren – darum geht alles in dieser Serie. Die Frage “Wer ist was?” sorgt immer wieder für Überraschungen. Der Zuschauer, der sich während der optisch faszinierenden zweiten Season durchaus fragte, ob mit der labyrinthischen ersten Staffel nicht eigentlich alles perfekt erzählt war, ist nach nur zwei Episoden des dritten Durchgangs wieder im Bann einer Serie, deren Wahrheiten man nicht trauen darf. Am Ende könnte auch die Welt von Incite nur eine künstliche Sphäre von Menschen sein, die viele Schachteln ineinander packend, zu Schachtelteufeln geworden sind. Wäre dem so, würde sich Dolores, davon ist man überzeugt, bis an die oberste Oberfläche durchkämpfen. Auf dieser Reise ist ihr zu 100 Prozent menschliches Publikum ganz auf ihrer Seite.
“Westworld 3”, von Lisa Joy, Jonathan Nolan, mit Evan Rachel Wood, Thandie Newton, Jeffrey Wright, 8 Episoden, FSK 16