Goldlack mit Kratzern: Die dritte Staffel “Babylon Berlin” startet in der ARD
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Televisionärer Teufelsreigen: Liv Lisa Fries als Charlotte Ritter (r.) mit Liebschaft in der dritten Staffel von "Babylon Berlin".
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Der Untergang des Abendlandes ist kein greller Blitz, sondern ein schleichender, düsterer, giftiger Tod: In Zeitlupe hastet Kommissar Gereon Rath die steinerne Treppe hinab, um ihn herum apokalyptische Bilder von sterbenden Börsenmaklern, die sich umweht von wertlosen Aktienpapieren ins Hirn schießen. Raus, nur raus aus der zerbröselnden Kathedrale des Geldes, vor der sich die Kleinaktionäre drängen, die Geld von ihren Konten räumen wollen, das es längst nicht mehr gibt. Börsencrash 1929.
Die dritte Staffel der Erfolgsserie „Babylon Berlin“ beginnt als Lied vom Tod. Was hier stirbt, ist der Glaube an eine bessere Zukunft. Ätzend sickert das Gift des Faschismus in die breiter werdenden Risse der zerfallenden Gesellschaft. Zwölf neue Folgen der 20er-Jahre-Historienserie zeigt die ARD von Sonntag an – beim Bezahlsender Sky waren sie bereits vor einem Jahr zu sehen.
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Auch deutsches Fernsehen kann groß sein, tief, wild und farbig
Natürlich ist es selten leicht für Serienmacher, es nach einem sensationellen Auftaktfeuerwerk gleich noch einmal krachen zu lassen. Die drei Regisseure Tom Tykwer, Achim von Borries und Hendrik Handloegten haben in zwei mal acht Folgen gezeigt, dass deutsches Fernsehen groß sein kann, tief, wild und farbig. Sie haben einen televisionären Teufelsreigen geschaffen, sie haben Waffengleichheit hergestellt mit den internationalen TV-Werkstätten aus Übersee. Mehr als 100 Länder kauften ihr Werk. Nun erleben sie die Mühen der Ebene. Ein Wunder ist schwer zu reproduzieren.
Staffel drei nun folgt dem zweiten Band der Gereon-Rath-Krimireihe von Volker Kutscher namens „Der stumme Tod“. Die Story: In den Babelsberg-Filmstudios ist die Diva Betty Winter von einem Scheinwerfer erschlagen worden. Rath (Volker Bruch) und Charlotte Ritter (unverändert fabelhaft: Liv Lisa Fries), von der Unterweltkatze zur Kriminalassistentin aufgestiegen, wittern einen Mord. Weitere Schauspieler sterben. Doch der Chef der politischen Polizei will dem Verdacht nicht nachgehen, dass Nazis dahinterstecken. Der Himmel über Berlin verdüstert sich.
Wenn wir sechs Staffeln gemacht haben und die halbe Welt auf Staffel 7 wartet – dann ist es ein Erfolg.
Achim von Borries, mit Tom Tykwer und Hendrik Handloegten Regisseur von "Babylon Berlin"
Neben Bruch als Gereon und Fries als Charlotte sind die meisten Stars der ersten Staffeln wieder dabei: Benno Fürmann, Lars Eidinger, Mišel Maticevic, Hannah Herzsprung, Leonie Benesch, Christian Friedel, Thomas Thieme und Fritzi Haberlandt. Matthias Brandt und Peter Kurth aber, deren Figuren bereits den Tod fanden, fehlen als emotionale Ankerpunkte. Die Neuen im Ensemble können die Lücken nicht restlos füllen: Ronald Zehrfeld als diabolischer Mafioso, Meret Becker als alternde Filmdiva oder – Überraschung – Friedrich Küppersbusch als Richter. Und es gibt noch ein Problem: Im Rausch der Möglichkeiten verzettelt sich die Geschichte in diversen Nebenhandlungen. Das bleibt im Detail virtuoses Fernsehen, aber es fehlt das Soghafte. Warum es zwölf statt acht Folgen sein mussten, bleibt offen.
So viel Personal gibt’s sonst nur in „Krieg und Frieden“
Es ist mehr Psychologiedrama als Bilderrausch, mehr „Perry Mason“ als opulenter Totentanz. Man delektiert sich an spinnerten Séancen, am zeittypischen Flirt mit dem Unterbewussten und den künstlerisch überdrehten expressionistischen Bilderwelten des frühen Babelsberg im Übergang vom Stumm- zum Tonfilm. Das ist interessant für Freunde kinematografischer Pioniertaten, aber es treibt die Story nicht voran. Dass ein Phantom im schwarzen Umhang der Bösewicht der Stunde ist, wirkt geradezu cartoonesk. Donald Ducks Phantomias lässt grüßen. Und: So viel Personal gibt’s sonst nur in „Krieg und Frieden“. Oder bei den „Simpsons“.
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Konfuse Zeit: Kommissar Gereon Rath (Volker Bruch) in der dritten Staffel von "Babylon Berlin".
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Die 16 Folgen der ersten beiden Staffeln kosteten rund 40 Millionen Euro – im Schnitt also 2,5 Millionen Euro pro Episode. Die neue Staffel ist ebenso aufwendig. Und es soll nicht die letzte sein. „Wenn wir sechs Staffeln gemacht haben und die halbe Welt auf Staffel 7 wartet“, sagte Regisseur von Borries dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) – „dann ist es ein Erfolg“. Die vierte Staffel wird 2021 gedreht. Sie spielt im Jahr 1931.
Eine konfuse Zeit voller zerbröselnder Gewissheiten
Und wieder zeigt sich, dass die besten historischen Fernsehserien oder Romane jene sind, die dem Geist ihrer Zeit Ausdruck verleihen – und trotzdem gegenwärtig wirken. Das gelingt nur selten. Aber wenn sich dann wirklich im Gestern das Heute spiegelt, kann es passieren, dass ein Werk größer wird als die Summe seiner Teile.
Das konnte man nicht ahnen, wie stark sich die Gegenwart spiegeln würde.
Tom Tykwer, mit Achim von Borries und Hendrik Handloegten Regisseur von "Babylon Berlin"
Denn das dichte, pralle Sittengemälde ist in Wahrheit ja gar kein historischer Stoff. Die Parallelen zur Gegenwart sind offensichtlich: eine konfuse Zeit voller zerbröselnder Gewissheiten, diffuse Ängste überall, bis der Ruf nach der Eisenfaust laut wird, der harten, ordnenden Hand. Die neue alte „German Angst“ ist das Leitmotiv von „Babylon Berlin“, die tiefe deutsche Zukunftsskepsis. Wer die Macht über die Ängste hat, zieht die Fäden. Und die Jugend begehrt auf. Die Vergangenheit spiegelt die Gegenwart.
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„Das konnte man nicht ahnen, wie stark sich die Gegenwart spiegeln würde“: "Babylon Berlin" gehört zu den erfolgreichsten deutschen Serien aller Zeiten.
© Quelle: Sky Deutschland AG und Sky Deuts
„Das konnte man nicht ahnen, wie stark sich die Gegenwart spiegeln würde“, sagte Regisseur Tom Tykwer dem RND. „Denn immer, wenn man bewusst versucht, den Zeitgeist zu erwischen, geht’s schief.“ Es ging nicht schief. „Babylon Berlin“ weiterhin elegantes, handwerklich brillantes Goldlackfernsehen, das jedem Vergleich standhält. Es bleibt ein Bilderrausch voller extremer Gegensätze: Elend und Ekstase, Koks und Krankheit, Konsumtempel und Kommunisten.
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Mordkomplott in der Traumfabrik: In der dritten Staffel von "Babylon Berlin" geht es um eine Mordserie bei Dreharbeiten in den noch jungen Babelsberger Filmstudios.
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Die Serie muss bei aller schauspielerischen Raffinesse und heißer Liebe zur Opulenz nur aufpassen, dass sie im überbordenden Hans-Fallada-Universum voller Nazis, Kommunisten, Großkapitalisten, korrupten Bullen, mutigen Frauenrechtlerinnen und armen Hascherln nicht den erzählerischen Faden verliert.
„Babylon Berlin“, Dritte Staffel: Auftakt mit einer Doppelfolge am Sonntag, 11. Oktober, um 20.15 Uhr (mit anschließender Doku um 22.30 Uhr). Die weiteren Folgen laufen dann jeweils mittwochs und donnerstags. Die ersten drei Staffeln sind in der ARD-Mediathek abrufbar.