Hongkongs Korrespondenten zwischen Selbstzensur und Aufgabe

Eine Person kauft die letzte Ausgabe der Zeitung „Apple Daily“.

Eine Person kauft die letzte Ausgabe der Zeitung „Apple Daily“.

Peking. Manche Politikeraussagen sind derart grotesk, dass sie von der Bevölkerung nur mehr mit scharfem Gespött kommentiert werden. In Hongkong war dies im Juli der Fall, als Verwaltungschefin Carrie Lam mit bierernster Miene vor den Fernsehkameras behauptete, dass sich die Pressefreiheit in der Finanzmetropole im letzten Jahr weiter verbessert habe: „Die Anzahl an registrierten Medienpublikationen hat sich nur weiter erhöht, und Journalisten überwachen weiter die Regierung“, sagte 64-Jährige.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Wie falsch sie mit ihrer Einschätzung liegt, wird nun am Freitag vom bisher ersten Stimmungsbericht des Hongkonger Korrespondentenclubs (FCC) empirisch untermauert. Fast 84 Prozent der Befragten gaben darin an, dass sich ihre Arbeitsbedingungen deutlich verschlechtert hätten. „Viele meiner Quellen sind mittlerweile im Gefängnis, einige sind ins Ausland geflohen“, sagt einer der Befragten.

Die Erosion der Pressefreiheit begann mit dem sogenannten Gesetz zur nationalen Sicherheit, das Pekings Staatsführung im Sommer 2020 vorbei am Hongkonger Parlament der ehemaligen Kronkolonie Großbritanniens aufgezwungen hatte. Vornehmlich mit dem Ziel, die prodemokratische Opposition zu zerschlagen, richten sich die vage formulierten Strafparagrafen gegen kritische Aktivisten und Politiker. Über 100 von ihnen wurden bereits zu Haftstrafen verurteilt.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Regierungskritische Boulevardzeitung Apple Daily aufgelöst

Doch auch die Presse wurde durch das Gesetz in ihren Grundfesten erschüttert. Die regierungskritische Boulevardzeitung „Apple Daily“ musste sich diesen Sommer nach mehreren Polizeirazzien auflösen, ihr Gründer sowie ein Teil der Chefetage sitzen im Gefängnis.

Doch was sich für die ausländischen Journalisten geändert hat, zeigt nun erstmals der Bericht des Hongkonger FCC. Insgesamt hat der Korrespondentenclub seine Umfrage an 396 Mitglieder geschickt, schlussendlich jedoch nur 99 Antworten erhalten. Die statistischen Kernresultate sind durchweg niederschmetternd: Knapp die Hälfte der Journalisten geben an, dass sie über einen Umzug aus Hongkong nachdenken. 56 Prozent haben sich nach Eigenaussage sogar schon selbst zensiert und sensible Themen in ihrer Berichterstattung vermieden.

Solche Zustände gehören im benachbarten Festlandchina zum Normalzustand – insbesondere, seit Parteichef Xi Jinping an der Macht ist. Für Hongkong sind sie jedoch Neuland. „Hong Kong war traditionell ein willkommener Ort für Korrespondenten, um von dort als Basis über China oder Südostasien zu berichten“, sagte FCC-Präsident Keith Richburg dem unabhängigen Medium „Hong Kong Free Press“: „Wir waren lange Teil der DNA Hongkongs“.

Das hat sich seit Sommer 2020 rasch geändert. Sowohl die „New York Times“ als auch die „Washington Post“ haben inmitten der erodierenden Pressefreiheit ihre Büros in Hongkong stark abgebaut und sogenannte News-Hubs im südkoreanischen Seoul aufgebaut, um von dort ihre Asien-Berichterstattung zu managen.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Paranoides Gesellschaftsklima

Und die verbliebenen Korrespondenten in Hongkong haben seither mit einem paranoiden Gesellschaftsklima zu kämpfen. Fast neun von zehn Befragten gaben an, dass es seit Einführung des Sicherheitsgesetzes schwierig geworden sei, selbst bei scheinbar unpolitischen, neutralen Themen Interviewpartner zu finden.

Das alarmierende Papier des FCC böte ausreichend Anlass für die Autoritäten, sich selbstkritisch mit den politischen Zuständen auseinanderzusetzen. Doch anstatt eine inhaltlichen Debatte zu führen, spricht die Vertretung des chinesischen Außenministeriums in Hongkong lediglich eine Warnung an den FCC aus: Dieser müsse die „Untergrabung der Rechtsstaatlichkeit sofort einstellen“, da er die Pressefreiheit der Stadt „vorsätzlich angegriffen“ habe.

Zumindest nimmt die Regierung damit den FCC noch zur Kenntnis. In Festlandchina hingegen wird der Korrespondentenclub in Peking offiziell nicht anerkannt. Er kann seine Veranstaltungen nur im diplomatischen Schutz von Botschaften abhalten und lebt unter konstanter Angst, von der Regierung vollständig geschlossen zu werden.

Mehr aus Medien

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige
Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Outbrain UK Ltd, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

 

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken