Jan Hofer: „Bekommen jeden Tag die absurdesten Briefe und Mails“
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Jan Hofer, Chefsprecher der Tagesschau. Produktion der Tagesschau bei ARD Aktuell in Hamburg.
„Tagesschau“-Chefsprecher Jan Hofer wird nach eigenen Angaben immer wieder Ziel von Beschimpfungen und Drohungen. „Da kommen Sachen wie "Man müsste Sie aufhängen"“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). „Die ersten Male schlafen Sie schlecht, das kann ich Ihnen sagen.“ Im Interview spricht er außerdem über sein Karriereende.
Herr Hofer, was ist Ihr Anspruch an eine gelungene Ausgabe der „Tagesschau“?
Persönlich bin ich zufrieden, wenn sie fehlerfrei war – auch bei Meldungen, die kurzfristig reinkommen und die ich noch nicht gelesen habe. Inhaltlich sollte sie gesellschaftlich, politisch und sportlich das abbilden, was in diesem Land und darüber hinaus an diesem Tag relevant war.
Karl-Heinz Köpcke hat seinen Job mal als „Balanceakt“ beschrieben: „Freundlich sein, aber kein Sonnyboy, ernst sein, aber nicht finster.“ Würden Sie das unterschreiben?
Ja. Denn Sie können es ja nie allen recht machen. Ich habe gerade gestern eine Mail bekommen, da hat sich einer darüber beschwert, dass wir Sprecher jetzt alle so grinsen würden, bevor der Wetterbericht kommt. Ja, mein Gott noch mal – ein bisschen freundlich kann man an der Stelle schon sein, finde ich. Aber es ist in der Tat ein Balanceakt.
Wie erklären Sie sich, dass jede Normabweichung in der „Tagesschau“ sofort zum bundesweiten Gesprächsthema wird? Jeder Versprecher, jede Panne?
Ich weiß es nicht genau. Ich glaube, es liegt an den geänderten Sehgewohnheiten und an der gewachsenen Konkurrenz. Die Erwartungen an die „Tagesschau“ sind besonders hoch. Sehr viele wollen am Image der „Tagesschau“ kratzen und nutzen natürlich jede Gelegenheit. Ich erinnere mich gut an den medialen Aufruhr, als wir Sprecher plötzlich am Ende der Sendung vollständig zu sehen waren – mit Beinen! Der Chefredakteur und ich saßen hier und wussten nicht mehr, wie uns geschah. Das war unglaublich.
In einer so ritualisierten Sendung fällt jede Modifikation extrem auf.
So ist es. Die „Tagesschau“ ist nicht nur als Sendung wichtig, sondern eben auch als Ritual im Tagesablauf. Wenn wir um 20 Uhr zehn Millionen Zuschauer haben, dann sitzen die da ja wirklich. Die gibt es in Fleisch und Blut, es sind reale Menschen. Und allein durch die Macht der Masse fällt alles, was man tut oder lässt, schon sehr auf. Zum Beispiel, wenn ich in der Sendung ein Selfie mache ...
Das hat ein mittleres Medienbeben ausgelöst.
Ja, wobei ich sagen muss: Ich verstehe auch manche Journalisten nicht. Die haben das gar nicht begriffen. Die haben die Sendung gar nicht zu Ende geguckt, sondern nur gedacht: Was macht der da jetzt für einen Quatsch? Es gab ja durchaus eine inhaltliche Anbindung an die Sendung. Das ergab einen Sinn, und das war natürlich abgesprochen. Ich stelle mich doch da nicht hin und mache nur aus Jux ein Selfie!
Auch Ihr Schwächeanfall wurde breit diskutiert. Viele fürchteten um Ihre Gesundheit.
Tja, das war natürlich ein bisschen blöd. Der Sendetechniker hätte einfach den Hebel umlegen müssen, dann wäre nichts mehr zu hören gewesen. Aber nun ist es halt passiert, und wenn Sie so lange als Gast ins Wohnzimmer der Leute kommen wie ich, dann nehmen die auch an Ihrem privaten Wohlbefinden teil. Was ich wiederum auch ganz schön finde.
Sie haben vor Jahren ein Buch mit Zuschauerzuschriften herausgegeben. Welche Themen sind es, die den Leuten auf den Nägeln brennen?
Wir bekommen jeden Tag die absurdesten Briefe und Mails. Das Erstaunliche daran ist für mich, dass viele Leute gar kein Interesse an einer Antwort haben. Wir antworten denen fast immer, auch ich persönlich tue das oft – und die wundern sich dann. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Gerade hat sich einer beschwert, dass wir Greta Thunberg wie „Tühnberg“ aussprechen, denn sie würde dadurch ganz eindeutig als „Tüddelkram“ verunglimpft. Da habe ich ihm zurückgeschrieben, die heiße nun mal so und wir sprächen das sogar eingedeutscht aus, weil wir sonst „Thünberj“ sagen müssten. Daraufhin schrieb er zurück: Nein, das würde er nicht einsehen – er wisse ganz genau, dass sie „Thunberg“ heißt. Dann ist der Fall für mich auch erledigt. Was soll man da machen?
Keine Chance.
80 Prozent der Zuschriften sind dieser Art. Mir hat mal einer geschrieben, ich würde Schleichwerbung machen: Mein Kugelschreiber sei ein Montblanc. Daraufhin habe ich ihm den Kuli geschenkt. Das war ein ganz billiger Hotelkugelschreiber. Er hat nie wieder geantwortet. Aber die schönste Zuschrift war, als mir jemand schrieb, ich könne den schönen deutschen Ort Neckarsulm nicht aussprechen, es heiße „Neckars-Ulm“ und nicht „Neckar-Sulm“. Darauf schrieb ich zurück: „Lieber Freund, ich muss Sie leider korrigieren – Neckarsulm heißt deswegen so, weil es am Zusammenfluss von Neckar und Sulm liegt. Und Ulm liegt an der Donau.“ Und dann hat er zurückgeschrieben: „Fernsehen bildet.“
Zur Sprachkritik kommen heftige politische Anwürfe von rechts. Man verunglimpft Sie als „Staatsfunk“, als „gesteuertes Verlautbarungsorgan“. Die AfD hat sich auf die „Tagesschau“ eingeschossen.
Ja, in der Tat. Dieses Missverständnis kann man nur im Dialog entkräften. Wir haben diverse Veranstaltungen gemacht, gerade in den Gegenden, in denen AfD und Pegida stark sind. Und da haben wir gespürt: Hier geht es nicht um Fakten, sondern um Gefühle. Wenn man mit den Leuten spricht, erlebe ich immer wieder, dass die zu mir sagen: „Wir sind überhaupt nur hergekommen, weil wir Ihnen vertrauen.“ Und dann sitzen da 300 Leute, und du merkst: Denen geht es nicht so sehr um Inhalte, sondern um ein Gefühl. Es ist das Gefühl: „Dadurch, dass ihr immer über das Negative berichtet, zerstört ihr unsere schöne Stadt.“ Es geht nicht um Politik. Es geht um den Eindruck: „Ihr macht mit eurer Berichterstattung immer nur alles nieder, was wir hier wieder aufgebaut haben.“
Ist das ein Problem des Ostens?
Nein, das erleben Sie im Westen genauso. Die Furcht um den Ruf der eigenen Heimat.
Schon in der Nachkriegszeit hielt das Fernsehvolk, dem unabhängiger Journalismus noch fremd war, Karl-Heinz Köpcke für den Regierungssprecher. Heute verwechseln sehr viele Menschen „öffentlich-rechtlich“ mit „staatlich“. Warum?
Das hat etwas mit den Rundfunkbeiträgen zu tun. Die empfinden manche wie eine Steuer, und Steuern sind mit Zwang verbunden. Aber im Moment haben viele Menschen beispielsweise wegen Trump, dem Brexit, der allgemeinen Weltlage das Gefühl, niemandem mehr trauen zu können. Aber der „Tagesschau“ vertrauen sie. Unser großes Pfund ist das Vertrauen vieler Menschen: „Bevor ich den anderen glaube, schaue ich da mal rein.“ Mit diesem Pfund müssen wir sehr, sehr sorgsam umgehen.
Der Blick der „Tagesschau“ auf die Welt ist ein westdeutscher.
Wir dürfen nie vergessen, dass wir noch nicht in jeder Hinsicht ein wiedervereintes Deutschland sind. Die gefühlte Grenze ist noch immer da. Sie zu überwinden ist eine extrem wichtige Aufgabe für uns. Wir haben inzwischen viele ostdeutsche Kollegen in der Redaktion, aber in früheren Jahren war zum Beispiel Frankfurt für uns immer ganz klar Frankfurt/West. Dass ein Ostdeutscher das aber automatisch mit Frankfurt/Oder verband, war uns hier lange nicht klar.
Wenn Sie sich heute in der „Tagesschau vor 20 Jahren“ sehen – was denken Sie dann?
Ich gucke grundsätzlich nicht gern nach hinten. Aber wir sind natürlich narrativer geworden, verbindlicher in der Sprache – und weitaus erklärender. Früher haben wir nichts erklärt. Die „Tagesschau“ ist deshalb ein Phänomen, weil sie nichts mehr zu tun hat mit dem, was Karl-Heinz Köpcke mal gemacht hat – aber trotzdem glaubt man das.
Was meinen Sie damit?
Damals war alles sehr statisch; das Ablesen vom Zettel, die Steifheit. Die Sprecher haben den Zuschauer praktisch nie direkt angesehen. Die Zettel gibt es immer noch, sie dienen als Sicherheit, falls der Teleprompter mal ausfällt. Außerdem sind sie nützlich, um sich vor der Sendung mit den Themen vertraut zu machen. Aber die gesamte Anmutung hat sich geändert. Die Musik ist gefälliger, wir senden rund um die Uhr, 24/7. Es ist ein dauerhafter evolutionärer Prozess.
Läuft dieser Prozess am Ende auf die Abkehr vom Sprecherprinzip um 20 Uhr hinaus? Und wäre das schlimm?
Es gibt ja schon heute keine reinen Sprecher mehr. Wir würden niemanden einstellen, der keine vernünftige journalistische Ausbildung hat. Vor zwei Jahren an Silvester, als es den vermeintlichen Bombenanschlag in München gab, stand ich um eine Minute nach Mitternacht im Studio und habe bis morgens um fünf durchgesendet. Ohne Manuskript. Ein wichtiger Punkt: Die Gesichter der Sendung sind den Leuten so vertraut, dass eine Abkehr davon riskant wäre. Vertrautheit schafft Vertrauen. Ich kann das leicht sagen, denn ich werde nicht mehr lange da sein – aber ich würde der „Tagesschau“ raten, an diesem Prinzip nicht viel zu ändern.
Köpcke war 28 Jahre bei der „Tagesschau“, Jo Brauner 30, Wilhelm Wieben 32, Werner Veigel 34. Sie sind jetzt ebenfalls im 34. Jahr ...
Ich werde alle überleben.
Aber der Rekord ist schon gefallen.
Mein Vertrag läuft noch bis zum 31. Dezember 2020.
Und dann?
Dann gucken wir mal (lacht). Dann unterhalten wir uns.
Würden Sie gern weitermachen?
Ach, das weiß ich nicht. Wissen Sie, es ist eine sehr hohe Konzentration, die da nötig ist. Das ist anstrengend, auch durch den Schichtdienst. Irgendwann muss auch mal Schluss sein. Ob das Ende 2020 sein wird oder ob ich noch ein paar Wochen oder Monate weitermache – das weiß ich noch nicht.
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Chefsprecher Jan Hofer im Tagesschau-Studio.
© Quelle: NDR/Thorsten Jander
Was wäre denn Ihr wichtigster Rat an Ihre Nachfolger?
Wer glaubt, dass er in diesem Job berühmt werden kann, und das für sein Ego braucht, der ist vollkommen fehl am Platze. Es ist mein Beruf. Und dass zu diesem Beruf eben auch ein gewisses Maß an Exhibitionismus gehört, ist so klar wie Kloßbrühe.
Auch Eitelkeit?
Gehört auch dazu, natürlich. Ein bisschen muss der Drang, sich selbst darzustellen, schon vorhanden sein, sonst hält man das nicht aus. Ich werde nicht nur dafür bezahlt, dass ich meine Nase 15 Minuten in die Kamera halte. Ich werde auch dafür bezahlt, dass ich an 365 Tagen im Jahr 24 Stunden lang öffentlich bin.
Haben Sie eine Idee davon, was genau es ist, das Sie vertrauenswürdig wirken lässt? Ist das reine Gewohnheit?
Das weiß ich nicht. Ich kann es nicht sagen. Vielleicht weil es mir nicht um mich selbst geht. Ich führe ein normales Familienleben. Ich passe höllisch auf, dass meine Kinder nicht in die Presse kommen. Aber wenn es bei mir privat nicht so gut läuft, habe ich wochenlang die Boulevard-Typen vor der Tür stehen. Das ist alles nicht so angenehm. Damit muss man aber fertig werden.
Die Anfeindungen haben an Schärfe zugenommen?
Ja, denn ich stehe ja für das „System“ – für die „Tagesschau“ und deren Berichterstattung. Ganz unabhängig davon, ob ich direkt beteiligt bin oder nicht. Aber so ist das eben. Das müssen Sie aushalten lernen. Mit der E-Mail ist die Hemmschwelle, sich zu äußern, viel niedriger geworden. Vorher mussten Sie einen Brief schreiben, die Adresse kennen und eine Briefmarke draufkleben. Da war am nächsten Tag viel Ärger vom Tisch, bis sie zur Post gegangen wären. Das ist heute anders.
Hass gehört zum Alltag?
So ist es. Und deshalb hat mich auch dieses Künast-Urteil so betroffen gemacht. Dieses Urteil empfinde ich persönlich als eine Katastrophe. Ich kann nicht verstehen, dass so etwas möglich ist, dass ein deutsches Gericht so etwas zulässt. Dabei spielt es keine Rolle, ob man ihr politisch nahesteht oder nicht: Dass Menschen, die sich für dieses Land mit Herzblut einsetzen, so beschimpft werden dürfen, finde ich sehr merkwürdig. Es gibt eine Grenze. Und in diesem Fall war diese Grenze in einigen Aussagen für mein Empfinden überschritten. Dass ein Gericht das anders sieht, kann ich nicht nachvollziehen.
Wie werden Sie denn beschimpft?
Da kommen Sachen wie „Man müsste Sie aufhängen“. Die ersten Male schlafen Sie schlecht, das kann ich Ihnen sagen. Und irgendwann gucken Sie das nicht mehr an, sonst halten Sie das nicht aus. Aber ich bekomme weitaus mehr positive Rückmeldungen als negative. Sehr viel. Gerade vorgestern kam eine junge Frau aus Pakistan zu mir und sagte: „Sie haben mir Deutsch beigebracht.“ Oder dass jemand sagt: „Mit Ihnen bin ich groß geworden.“ Das höre ich weniger gern, aber es entspricht nun mal den Tatsachen.
Ist es eigentlich korrekt, dass Jo Brauner vor jeder Sendung zur Auflockerung der Sprachmuskulatur gesagt hat: „Mimi, Mumu – mehr Gage, mehr Gage!“?
Das war ein Gag. Das hat er zwar mal gemacht, aber nicht als festes Ritual. Jo hatte ein paar Sprüche, die gehörten bei ihm dazu. Wenn die mal nicht kamen, dann waren alle verstört. Das musste einfach sein.
Und dürfen Sie weiterhin nur einen Anzug pro Jahr von der Steuer absetzen?
Gar keinen! Es gibt aber seit zwei Jahren einen Ausstattungsetat für uns. Vorher mussten wir unsere Dienstkleidung selbst finanzieren. Ich trage immer noch private Anzüge, aber junge Kollegen, die vielleicht gar keinen eigenen im Schrank haben, nutzen das gern.
Was wünschen Sie der „Tagesschau“?
Ich würde ihr raten, nicht dem Mainstream zu folgen. Ich mache den Job nun schon sehr lange, ich habe viele Strömungen erlebt. Ich habe auch erlebt, dass irgendwelche Kreise versucht haben, irgendwas zu ändern. Es gab in meinen Anfangsjahren mal den Plan, die „Tagesschau“ auf 19 Uhr vorzuverlegen. Wenn man sich heute anschaut, wie sich Lebensgewohnheiten und Ladenöffnungszeiten entwickelt haben – das wäre unser Tod gewesen. Deswegen kann ich nur sagen: Verändert euch, bleibt zeitgemäß, kümmert euch um soziale Medien – aber bleibt der Linie treu.