Neue Therapeutencomedy „Shrinking“: ab auf die Couch!
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Therapiebedürftige Therapeuten: Jason Segel (links) und Harrison Ford in „Shrinking“. Die Serie startet am 27. Januar bei Apple TV+.
© Quelle: Apple TV+
Ein perfekter Moment kann nur gelingen, wenn alle Beteiligten mitspielen. Ein Fehler im System und aus himmelhoch jauchzend wird schnell zu Tode betrübt. Der Grat ist schmal. Davon kann der Anwalt Brian in der neuen Serie „Shrinking“ seine Geschichte erzählen.
Brian hat einen Plan: Auf einer Party will er endlich seinen Liebsten Charlie bitten, sein Ehemann zu werden. Er hat einen Ring in der Tasche, er will Randy Newmans Liebeslied „You Are so Beautiful“ singen, und sein bester Freund Jimmy soll ihn dabei auf dem Klavier begleiten. Jeder der Anwesenden soll den Moment als perfekt empfinden.
Jimmy macht den perfekten Moment auf spezielle Weise unvergesslich
Doch Jimmy singt mit, was so nicht vorgesehen war. Ja, Jimmy torpediert mit seiner kratzigen, an der Melodie eher entlangtaumelnden Stimme Brians Romantikplan. Und dann kotzt er auch noch auf die Tastatur. Auf unkonventionelle Weise wird somit aus dem perfekten ein unvergesslicher Moment. Was Charlie dann im Nebenzimmer zu Brian sagt, als der sich für Jimmys „Exorzist-Auftritt“ entschuldigt, soll hier nicht verraten werden. Auch wenn die nun folgende Review zur Apple‑TV+-Serie „Shrinking“ durchaus einige Spoiler enthält.
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Jimmy Laird (Jason Segel) ist der Held von „Shrinking“ – ein Therapeut in Trauer. Vor einem Jahr starb seine Ehefrau Tia (Lilan Bowden) bei einem Autounfall, seitdem hat Jimmy sich von allen zurückgezogen und auch seine Teenietochter Alice (Lukita Maxwell) weitgehend der Nachbarin Liz (Christa Miller) überlassen.
Jimmy ist von seinen Patienten zusehends genervt
Jimmy sieht seither auch immer weniger Sinn in den Gesprächen mit seinen Patienten, die sich mit ihren Problemen im Kreis drehen und an der Therapie hängen wie an einem Opioid. Leute, die über die Mütter klagen, bei denen sie noch leben, oder die sich selbst für geistige Tiefschürfer halten, während sie alle Frauen, die sie daten, als oberflächlich klassifizieren.
All das, was Jimmys Geschäftsmodell ausmacht – das geduldige, nimmermüde Ohr, das Seelenstreicheln für Neurotiker und Narzissten, das behutsame Zubewegen auf Lösungen, ohne dem Gegenüber auf der Couch jemals wirklich nahezutreten, erscheint dem „Shrink“ (Amerikanisch für „Seelenklempner“) plötzlich als obsolet. Jimmy kann nicht anders, als sich permanent durch sein schlafloses, bärtiges Gesicht fahren, so als könne er so das ganze Blabla abwischen, bevor es sein Gehirn erreicht. Schluss damit!
Jimmy redet ab sofort Klartext mit seinen Patienten
Also beschließt er, die nervigen Endlossitzungen abzukürzen. Der blonden Grace erklärt er, dass ihr busenvernarrter Macker mit seinen viel zu großen Muskeln in den viel zu engen Shirts nicht nur „fugly“ (potthässlich) sei, sondern Jimmy bezichtigt ihn überdies des „emotionalen Missbrauchs“ an ihr. „Verlassen Sie ihn, verdammt!“, lautet sein erstes Kurzerhand-Sitzungsfinale. Und die darüber zunächst konsternierte Grace befolgt den Rat.
Von nun an redet Jimmy Klartext mit seinen Patienten, und wenn er sie dazu vor einen angeblich aufdringlichen Barista schleifen oder höchstpersönlich ein zu eskalieren drohendes Candlelight-Dinner retten muss. Die neue Methode zeitigt Erfolge, den mit einem Gewaltproblem behafteten Ex‑Soldaten Sean (Luke Tennie) nimmt er sogar zu Hause auf – auch wenn Jimmys Mentor Paul das Vorgehen seines Freundes als „therapeutischen Rebellen-Bullshit“ abkanzelt.
Harrison Ford in seiner ersten größeren Serienrolle
Diesen alten Haudegen der Psyche spielt Harrison Ford. Der Han Solo, Blade Runner und Indiana Jones des Kinos schlüpft hier in seine erste größere Serienrolle. In den 60er- und 70er-Jahren hatte Ford kleine Auftritte im Fernsehen, demnächst wird er bei Paramount+ in „1923“ zu sehen sein, einem Spin-off zur Neowesternserie „Yellowstone“. Hier nun ist der Mann fürs Heldenhafte auf dem für ihn eher ungewohnten Terrain der Comedy unterwegs. Ein Shrink, der im Grunde ähnlich angeschlagen ist wie sein Protegé.
Pauls Familie ist lange weg, die entfremdete Tochter Meg kündigt einen Besuch in Pasadena an, wovor er genauso viel Angst hat wie vor seiner Parkinson-Erkrankung. Er legt in den ihn überwältigenden düsteren Momenten einen traurigen Song auf und gestattet sich dann exakt 15 Minuten Niedergeschlagenheit. Danach muss das „fucking life“ weitergehen. „Mein Zuhause ist meine Festung der Einsamkeit“, sagt Paul in Anspielung auf Supermans arktischen Rückzugsort.
Eine Komödie aus der „Ted Lasso“-Schule
Alle Figuren dieses Spiels sind irgendwie sozial angeschlagen. Dass nun trotz der drohenden Generaltrübsal ein Vergnügen aus dieser Serie wird, dafür sorgt Jason Segel mit seinen Co‑Autoren Bill Lawrence und Brett Goldstein. Als Macher der Fußball-Comedy „Ted Lasso“ über einen US‑Highschool-Footballtrainer, der eine englische Premiere-League-Mannschaft ruinieren soll, haben Lawrence und Goldstein (Letzterer spielte darin auch den toughen, aber gutherzigen Kicker Roy Kent) einen der überzeugendsten TV‑Glücklichmacher verantwortet, einen umwerfenden Serienspaß voller sympathischer Charaktere, bei dem es ihnen zum Ende der zweiten Staffel nur mit sehr viel Mühe gelang, einen Bösewicht zu etablieren.
„Shrinking“ ist wie „Ted Lasso“ eine Ensembleleistung – lauter nette Leute, die etwaige Vorbehalte gegeneinander im Lauf der ersten Staffel (oder zumindest in den sechs von zehn zur Ansicht gewährten Episoden) abbauen. War Jimmys und Pauls Junior-Praxispartnerin Gaby (Jessica Williams) zunächst mehr als reserviert gegenüber der Nachbarin Liz, die ihr „leeres Nest“ mit der Bemutterung von Alice neu füllte, so liegen sich die beiden bald schon mit Erinnerungen an die Libido ihrer Teeniejahre in den Armen. Und fand Alice es anfangs befremdlich, dass ihr Vater Sean bei sich aufnahm, den Mann, der vor den Schrecken seiner Afghanistan-Dienstzeit flieht, fühlt sie sich schon bald zu der verlorenen Seele hingezogen.
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„Shrinking“ ist – wohltuend in Zeiten wie diesen – Feelgood-TV, eine Ermutigungsserie, die ihrem Zuschauer mitteilt, dass entgegen aller medialen Eindrücke die meisten Zeitgenossen hinter ihren Macken nett sind. Dass man über alle sozialen „gaps“ hinweghüpfen kann, dass auch das Coming-of-Age der Jungen nicht zwangsläufig mit einer unüberwindbaren Generationenkluft enden muss. Und dass man sogar darüber hinwegkommt, wenn zwischen der großen Liebe und dem Heute der Tod seine Sense hat niedersausen lassen. Wo der Sport bei „Ted Lasso“ auch mal Actionszenen ermöglicht, sieht man hier freilich in einem fort redende Leute.
Das könnte auf Dauer eintönig werden. Wird’s aber nicht. Weil diese Leute einfach ganz viel Interessantes zu sagen haben.
„Shrinking“, erste Staffel, zehn Episoden, von Jason Segel, Bill Lawrence, Brett Goldstein, mit Jason Segel, Jessica Williams, Harrison Ford, Luke Tennie, Lukita Maxwell (ab 27. Januar bei Apple TV+)