Warum Jokos Zeitschrift funktionieren könnte

„Größer als die Hitler-Tagebücher“: Joko Winterscheidt im Verlagshaus Gruner + Jahr vor den Layouts des Lifestyle-Magazins "JWD".

„Größer als die Hitler-Tagebücher“: Joko Winterscheidt im Verlagshaus Gruner + Jahr vor den Layouts des Lifestyle-Magazins "JWD".

Hamburg. Sein Name: Joachim „Joko“ Winterscheidt. Alter: 39. Größe: 1,91 Meter. Beruf: was mit Medien. Familienstatus: feste Partnerin, Vater einer Tochter. Karrierestatus: ledig seit der Trennung von Klaas Heufer-Umlauf. Twitterfollower: 2 Millionen. Facebookfreunde: 1,5 Millionen. Kernkompetenz: eine Dreckslache wie ein hysterisches Berberäffchen. Nächste Frage: Kann der auch ernst?

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Er will’s versuchen. Nicht bierernst, das stünde im Widerspruch zur Marke Joko, um die geht’s ja schließlich. Aber einen Schuss seriöser. Der Pro7-Entertainer, der sich an der Seite seines Fernsehbuddys Klaas Heufer-Umlauf mit Matthias Schweighöfer und einem Tablett voller Schnäpse einst öffentlich die Mütze weggebrannt hat, der sich in Vancouver den Mund zunähen ließ, halluzinogene Drogen schluckte und ein Krokodil geküsst hat, macht jetzt in Printjournalismus. Wieder ein Prominenter, der die Strahlkraft des eigenen Namens für ein Magazin nutzt. Wie Barbara Schöneberger mit „Barbara“ oder zuletzt Deutschlands Oberarzt Dr. Eckart von Hirschhausen mit „Dr. v. Hirschhausens GESUND LEBEN“, allesamt ebenfalls aus dem Hause Gruner + Jahr.

„Innovatives Zeitgeist-Magazin“ – was denn sonst?

„JWD“ heißt das Heft. Das steht für den hübschen Anachronismus „Joko Winterscheidts Druckerzeugnis“ und gleichzeitig für – knick, knack! – „Janz Weit Draußen“. Denn „JWD“ soll laut Verlag ein „innovatives Zeitgeist-Magazin“ für „Leute mit Bock auf gute Geschichten“ sein, und zwar vor Ort erlebte, also jottwehdeh. Das ist freilich das übliche Marketingstakkato für so ziemlich jede Zeitschriftenneugründung auf dem Planeten. Wer druckt schon ein „total ödes Mistblatt für Idioten, die statt Quatsch zu lesen lieber ,World of Warcraft’ spielen“?

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Von „spannenden Reportagen“ schwurbelt man also im PR-Text, von „persönlicher Perspektive“, „Abenteuerlust, Mut, Witz und Neugierde“. Nun ja. In Heft 1 geht es um Nackt-Karaoke in Paris, kiffende Nonnen in Kalifornien, Puppensex im Bordell und das Leben in einer nachgebauten Marsstation im Oman. Das soll einen Hauch von Hunter S. Thompson-Gonzojournalismus in sich tragen. „164 Seiten Text, Drugs & Rock ’n’ Roll“ steht auf dem Titel. Im Herzen des Heftes bemüht sich ein halbes Dutzend Ich-Reportagen um eine gewisse Zigarette-im-Mundwinkel-Schreibmaschine-auf-dem-Knie-Lässigkeit. Aber Thompson ist eben Thompson, und Joko ist Joko. „Das wird größer als die Hitler-Tagebücher“, witzelt er.

Mal etwas Anderes als Uhren, Pullunder und Portwein

Nicht, dass er alles selbst schriebe: Das zehnköpfige Reporterteam ist angehalten, Texte und Themen im „Joko-Style“ zu liefern. „Wir verbinden 70 Jahre Reportage-Tradition beim ,stern’ und den Humor und die Abenteuerlust von Joko, der sich in alles hineinstürzt“, sagt Redaktionsleiter Michalis Pantelouris. Immerhin: mal ein Männermagazin, in dem es nicht nur um fliederfarbene Mohairpullunder, fette Uhren, gesteppte Freizeitjacken, Portwein und Porträts von Selfmademillionären geht. „JWD“ ist eher eine Art „Neon“ für Kiffer. „GQ“ für Kindsköpfe, die „GQ“-Leser doof finden.

Alexander Schwerin, Verlagsleiter der „stern“-Gruppe bei G+J, glaubt, dass Winterscheidt prototypisch für „ein Lebensgefühl steht, das viele Menschen teilen“. Und tatsächlich funktioniert die Promi-Masche ja: Je anonymer die digitale Gegenwart, je augenfälliger der Mangel an integrativ wirkenden Persönlichkeiten in der Gesellschaft, desto größer die Sehnsucht nach menschlichen Kristallisationspunkten. Nach Mitgliedschaft in einem Soziotop mit klarer Leitfigur. Extreme Personalisierung ist die Wunderdroge für darbende Printmagazinverlage, zur Not halt auch mit Joko. Schöneberger erfüllt in „Barbara“ die Rolle der Schwester und guten Freundin, die auch keinen Bock mehr auf Diäten hat – und hebt ihr Heft damit aus der Masse von 300 deutschen Frauentiteln heraus. Und warum auch nicht? Auf dem Markt geht noch einiges. Wie wär’s mit „Margot“ – dem „Magazin für Körper, Geist und Seele“ mit Margot Käßmann? Wetten, dass das liefe?

Eignet sich Joko als Welterklärer?

Der Verlag lässt sich die Werbekampagne zum „JWD“-Start 2,5 Millionen Euro kosten und wirbt für den Hashtag #teamjoko. Ob sich Winterscheidt freilich als Welterklärer und Menschenfischer eignet – offen. Die Rolle als schmerzfreier Kumpel aber, als cooler Rookie, den die kleineren Jungs für seine Quatschaktionen und die größeren für seine Konventionsverachtung anhimmeln, beherrscht er spielend – im Wortsinne.

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Er selbst glaubt an die Zukunft seines Magazins: „Ich möchte, dass mich das Heft bis zur Rente trägt.“ Und wenn „Joko“ zum Rohrkrepierer wird? „Wenn nichts mehr läuft, rufe ich Matthias Schweighöfer an“, feixt Winterscheidt. „Dann soll er sich fürs Cover ausziehen.“

Von Imre Grimm

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