Sperrungen im Raum Stuttgart

Bringt der „Digitale Knoten“ Chaos für Bahnreisende?

Eine S-Bahn fährt in den Bahnhof Stuttgart-Bad Cannstatt ein: Wegen Kabelbauarbeiten für den „digitalen Knoten“ in Stuttgart müssen sich Fahrgäste der Deutschen Bahn ab 21. April auf massive Einschränkungen einstellen.

Eine S-Bahn fährt in den Bahnhof Stuttgart-Bad Cannstatt ein: Wegen Kabelbauarbeiten für den „digitalen Knoten“ in Stuttgart müssen sich Fahrgäste der Deutschen Bahn ab 21. April auf massive Einschränkungen einstellen.

„Wir wissen, dass wir den Reisenden und Verkehrsunternehmen einiges abverlangen“, sagt Olaf Drescher gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Der Verantwortliche für den sogenannten „Digitalen Knoten Stuttgart“ der Deutschen Bahn bezieht sich auf kurzfristig ab April geplante längere Streckensperrungen im Großraum Stuttgart.

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Allein im Bereich Waiblingen/Bad Cannstatt müssten für die Digitalisierung rund 1.200 Kilometer Kabel verlegt werden, zudem sei eine Vielzahl an neuen Kabelquerungen unter Gleisen und in Bahnhöfen zu bauen. Man habe „bis zuletzt mit Hochdruck alles versucht, um die erheblichen Sperrungen zu vermeiden“, so Drescher, aber der anfallende Kabeltiefbau sei – so die Eisenbahnersprache – „nicht unter rollendem Rad möglich“.

Temporäre Sperrungen – auch um Stuttgart 21 nicht zu gefährden

„Erheblich“ ist nicht untertrieben – im Südwesten bahnt sich was an: Von Freitag, 21. April 2023, an werde es zu „größeren Behinderungen“ im Zugverkehr im Raum Bad Cannstatt und Bad Cannstatt/Waiblingen kommen, heißt es seitens der Bahn. Die Sperrungen haben insbesondere Auswirkungen auf die Remsbahn und die Murrbahn sowie auf den Bahnverkehr von und nach Tübingen und Ulm. Die für Ende des Jahres anvisierten Streckensperrungen in den Bereichen Stuttgart-Vaihingen, Flughafen und Böblingen sind derzeit noch in der finalen Planung.

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Weitere temporäre Streckenstilllegungen sind bis 2025 vorgesehen – auch um die Eröffnung des spektakulären Tiefbahnhofs des Bahnprojekts Stuttgart 21 nicht über Dezember 2025 hinaus verschieben zu müssen.

Die digitale Zukunft der Bahn ist beim Güterverkehr noch nicht angekommen

Grund zumindest für einen Teil der Arbeiten ist, dass die Zukunft offenbar noch nicht überall im Bahnbereich angekommen ist: Im Güterverkehr sind viele Schienenfahrzeuge noch nicht digital ausgestattet. Für sie müssen eigens Signale gebaut und verkabelt werden. Nach der späteren Modernisierung der Fahrzeuge wird dieser Bereich wieder zurückgebaut werden. „Dieser Vervielfachungseffekt bei der Verkabelung war so nicht vorhersehbar“, so Drescher. Und verweist auf den Pilotcharakter des großen Vorhabens. „Da gibt es keine Blaupausen.“

Ursprünglich hatte man die Arbeiten in den für Bau- und Reparaturarbeiten üblichen kurzen „Sperrpausen“ erledigen wollen. Das habe sich auch aufgrund beengter Verhältnisse von bis zu acht parallel verlaufenden Gleisen, vor allem aber aufgrund der zu verlegenden Kabelmenge als nicht machbar erwiesen.

Beim „Digitalen Knoten“ besteht eine permanente Verbindung zwischen Zug und Strecke

Der „Digitale Knoten Stuttgart“ ist deutschlandweit bislang einzigartig. Für den Standpunkt im Südwesten der Republik entschied die Deutsche Bahn sich 2018, weil für das Bahnprojekt Stuttgart 21 sowieso neue Leit- und Sicherungstechnik fällig war. Die Umsetzung geht inzwischen allerdings deutlich über die Strecken von Stuttgart 21 hinaus. Im April 2020 hatten sich die Projektpartner geeinigt, auch große Teile des S-Bahn-Netzes mit der neuen Technik auszurüsten. Bis 2025 sollen rund 125 Streckenkilometer mit zukunftsträchtiger Technologie versehen werden – doppelt so viel wie anfangs bei Stuttgart 21 vorgesehen.

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Digitale Stellwerke (DSTW) lösen dabei die bisherigen Elektronischen Stellwerke (ESTW) ab. Ab 2025 wird mit einem hochsicheren Computersystem darüber gewacht, dass Züge nur in freie Gleisabschnitte einfahren und Weichen richtig gestellt sind. Über das „European Train Control System“ findet über eine verschlüsselte Funkverbindung ein ständiger Datenaustausch zwischen Zug und Strecke statt. Per automatisiertem Fahrbetrieb und einem Verkehrsmanagementsystem werden Verspätungen vermieden, eine schnellere Taktung erreicht. Wem so viel Digitales unheimlich erscheint: Ein analoger „Lokführer“ wird auch weiterhin an Bord der Züge sein.

Die Landespolitik fordert Transportsicherheit für Bahnreisende

Über die anstehenden Sperren sind aus der Stuttgarter Landespolitik kritische Stimmen zu hören. Der CDU-Abgeordnete Christian Gehring wurde am Donnerstag, 16. März, in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zitiert: „Die Bahn hat sich offenbar keine Gedanken über eine Ersatzinfrastruktur gemacht.“ Deutlicher wird der Grünen-Fraktionschef im baden-württembergischen Landtag, Andreas Schwarz, gegenüber dem RND. Er spricht von einem „Desaster“, in das die Deutsche Bahn „sehenden Auges“ hineinlaufe.

„Unsere große Sorge ist, dass dies nicht nur zu ‚Verzögerungen im Betriebsablauf‘ sorgt, sondern sich vielmehr – wie bei einem Dominoeffekt – auf den gesamten Bahnverkehr in Baden-Württemberg auswirken könnte.“ Schwarz erwartet gravierende Folgen. „Hunderttausende Pendlerinnen und Pendler müssen auf deutlich kleinere Busse umsteigen. Das bedeutet noch mehr Staus rund um Stuttgart – wenn überhaupt genügend Busse in der Kürze der Zeit zur Verfügung gestellt werden können.“

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Der Grünen-Abgeordnete bezweifelt in dieser Situation die Sinnhaftigkeit einer Einführung des 49-Euro-Tickets. „Ich rufe die Deutsche Bahn auf, jetzt alles zu tun, um den Ersatzverkehr sicher aufzustellen, so dass die Fahrgäste schnell und verlässlich an ihr Ziel kommen.“

Eine Entscheidung über Entschädigungen ist noch nicht gefallen

Genau das geschieht. Man arbeite derzeit „intensiv an Kompensationen und Ersatzangeboten für die Kundinnen und Kunden“, so Bahnmann Drescher gegenüber dem RND. Alle Beteiligten sitzen mit der Deutschen Bahn zusammen – unter anderem Busunternehmen, die Stuttgarter Straßenbahnen AG, Regionalzugbetreiber und das Verkehrsministerium des Landes. Letzteres soll sicherstellen, dass nicht Straßen zeitgleich zu den Sperrungen mit Baustellen belegt werden. Entschädigungsmöglichkeiten für Reisende und betroffene Verkehrsunternehmen werden diskutiert. Entscheidungen aber sind noch nicht gefallen. „Wir werden darüber schnellstmöglich informieren“, sagt Drescher.

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Eine Verkehrsausschusssitzung im Verband Region Stuttgart (die Stadt Stuttgart und die fünf umliegenden Landkreise), dem S-Bahn-Träger, der mit einer Investition von rund 500 Millionen Euro für digitale S-Bahn-Züge den entscheidenden Impuls für die Digitalisierung gesetzt hatte, brachte am Mittwoch trotz der aktuellen Schwierigkeiten ein deutliches Bekenntnis zum „Digitalen Knoten“. Einen nachhaltigen Imageschaden erwartet die Bahn im Großraum Stuttgart von den Sperrungen nicht. Die Investitionen und die damit verbundenen Belastungen dienten der Verbesserung des S-Bahnsystems, das zuletzt an seine Belastungsgrenze gekommen war. Der „Digitale Knoten Stuttgart“ soll Pünktlichkeit und Verlässlichkeit zurückbringen, dazu eine engere Taktung – so der Plan.

Sicher ist: Erst wenn die für Stuttgart 21 notwendige Digitalisierung im Großraum komplett sind, kann das Projekt starten. Rechnet man angesichts der anstehenden Aufgaben insgeheim nicht vielleicht doch noch mit einer Verschiebung der Eröffnung des futuristischen Tiefbahnhofs?

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„All unsere Planungen sind auf 2025 gerichtet“, sagt Drescher. „Und auf Basis der derzeitigen Erkenntnisse halten wir an 2025 fest.“

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