Anschlag mit Giftstoffen geplant? 32-jähriger Iraner in NRW festgenommen
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Einsatzkräfte in Schutzanzügen stehen an einer Straße in Castrop-Rauxel. In der Stadt ist in der Nacht zu Sonntag ein 32-jähriger Iraner wegen Terrorverdachts festgenommen worden.
© Quelle: Christoph Reichwein/dpa
Castrop-Rauxel. Anti-Terror-Ermittler haben im Ruhrgebiet einen iranischen Staatsangehörigen festgenommen, der einen islamistischen Anschlag vorbereitet haben soll. Die Fahnder durchsuchten in der Nacht zum Sonntag die Wohnung des 32-Jährigen in Castrop-Rauxel. Der Mann sei verdächtig, sich für die Tat die Giftstoffe Cyanid und Rizin besorgt zu haben, teilten die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf, die Polizei Recklinghausen und die Polizei Münster am frühen Sonntagmorgen mit.
Der 32-Jährige wurde den Angaben zufolge gemeinsam mit einem weiteren Mann in Gewahrsam genommen. Wie weit die Anschlagspläne fortgeschritten waren und ob es schon ein konkretes Anschlagsziel gab, blieb zunächst unklar. Die Ermittlungen dauerten am Morgen noch an.
Anti-Terror-Einsatz in NRW: Mann soll islamistischen Anschlag geplant haben
In der Nacht stürmen Anti-Terror-Ermittler in Schutzanzügen eine Wohnung im Ruhrgebiet. Ein iranischer Staatsangehöriger wird festgenommen.
© Quelle: dpa
Lauterbach und weitere Politiker danken Einsatzkräften
Wegen der biologisch-chemischen Gefahren für die Einsatzkräfte waren laut Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) auch Mitarbeiter des Robert Koch-Instituts (RKI) vor Ort. Der SPD-Politiker würdigte ihren Einsatz. Sein besonderer Dank gehe an die Spezialisten des Robert Koch-Instituts und des Bundeskriminalamts, schrieb er am Sonntag bei Twitter. Diese verdienten „größten Respekt“.
Auch der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag und Innenpolitiker Dirk Wiese bedankte sich bei den Sicherheitsbehörden und Einsatzkräften. „Es zeigt wieder einmal, wie wachsam wir sein müssen. Wichtig ist es jetzt, dass die Hintergründe und mögliche Verbindungen umfassend geklärt werden können“, twitterte er.
Die Festnahmen in Castrop-Rauxel hätte Schlimmeres verhindert, schrieb die innenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Lamya Kaddor. Die Gefahr für den Rechtsstaat durch den Islamismus bleibe groß. „Bin gespannt, aus welchem Motiv heraus die Verdächtigen handeln wollten. Gibt es möglicherweise Verbindungen zum Iran und staatlichen Akteuren?“
Auch mehrere Mitarbeiter des Bundeskriminalamtes (BKA) und ein Entschärfer-Kommando seien im Einsatz gewesen. Das BKA wollte sich nicht zu dem Einsatz äußern und verwies auf die Generalstaatsanwaltschaft.
Kleinste Mengen können tödlich sein
Das hochgiftige Rizin wird laut dem RKI in der Kriegswaffenliste unter „Biologische Waffen“ aufgeführt. Cyanid ist ebenfalls hochgiftig, bereits kleinste Mengen wirken bei Menschen tödlich.
Die Fahnder schlugen gegen Mitternacht zu. Der Einsatzort wurde weiträumig abgesperrt. Polizei, Feuerwehr und Rettungskräfte waren mit einem Großaufgebot vor Ort. Zahlreiche Einsatzkräfte trugen Schutzanzüge. Beweismittel wurden in blauen Fässern zu einer Dekontaminationsstelle gebracht, die bei der Feuerwehr eingerichtet war, wie ein dpa-Reporter berichtete.
„Der Beschuldigte ist verdächtig, eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet zu haben“, teilten die Ermittler mit. „Die Durchsuchung dient der Auffindung entsprechender Giftstoffe und anderer Beweismittel.“ Der 32-Jährige und der zweite in Gewahrsam genommene Mann wurden in Unterhosen und T-Shirt beziehungsweise mit nur notdürftig übergeworfener Jacke über die Straße in ein Einsatzfahrzeug geführt, wie Augenzeugen berichteten. Keiner der beiden habe Widerstand geleistet. Laut einem Bericht des WDR soll es sich bei den beiden Männern um Brüder handeln.
Beweismittel gesichert
„Beweismittel wurden sichergestellt und werden ausgewertet“, schrieben die Ermittlungsbehörden. Ob der 32-Jährige einem Haftrichter vorgeführt werde, sei noch nicht entschieden. Das Verfahren wird bei der Zentralstelle Terrorismusverfolgung Nordrhein-Westfalen bei der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf geführt.
Nach Informationen der „Bild“ ermittelt das Bundeskriminalamt seit mehreren Tagen gegen den Iraner. Ein „befreundeter Geheimdienst“ solle die deutschen Sicherheitsbehörden über die Anschlagsgefahr mit einer chemischen Bombe gewarnt haben.
Sicherheitsexperte glaubt an Hilfe aus den USA
Der Sicherheitsexperte Peter R. Neumann geht davon aus, dass die Hinweise aus den USA kamen. Er wisse zwar keine Details, aber er sei sich fast sicher, dass der „befreundete Geheimdienst“ die Amerikaner seien, sagte der Professor für Sicherheitsstudien am King‘s College in London auf der Klausur der CSU-Landesgruppe im oberbayerischen Kloster Seeon. Das sei in fast jedem aufgedeckten Anschlagsplan der letzten Jahre der Fall gewesen.
Deutschland ist nach Ansicht von Neumann nach wie vor sehr abhängig von Amerikas Geheimdiensten, was die Terrorismusbekämpfung im Inneren angeht. In der Konsequenz müsse man in Deutschland selber versuchen, „solche Fähigkeiten aufzubauen, um die Abhängigkeit zu verringern“.
Der CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt betonte, man sehe, dass die terroristische Bedrohung allgegenwärtig sei. Deswegen müssten alle Maßnahmen ergriffen werden, um gegen diese terroristische Bedrohung anzukämpfen.
Wie gefährlich Rizin ist, haben Ermittlungen vor vier Jahren in Köln gezeigt: In einem 15-stöckigen Gebäude in der Hochhaussiedlung Chorweiler hatten ein Tunesier und seine deutsche Frau die Chemikalie hergestellt und Testexplosionen ausgelöst. Ein ausländischer Geheimdienst schöpfte wegen der Online-Käufe großer Mengen Rizinus-Samen Verdacht und gab einen Tipp. Beide wurden zu langen Haftstrafen verurteilt. Ein Gutachten ergab: Rein rechnerisch hätten durch die Giftmenge 13.500 Menschen sterben können. Bei der geplanten Verbreitung durch eine mit Stahlkugeln gespickten Streubombe wären es etwa 200 Tote gewesen.
Am frühen Sonntagmorgen hatte die Polizei unterdessen ihre Arbeit in der durchsuchten Wohnung vorerst beendet. Nur wenige Stunden nach dem Zugriff war an dem Haus in einer kleinen Einkaufstraße nichts mehr von dem Einsatz der Spezialkräfte zu sehen. Ein Fenster in der durchsuchten Wohnung im ersten Stock war etwas geöffnet, nirgendwo brannte Licht. Streifenwagen fuhren gelegentlich an dem Gebäude vorbei. Nachtschwärmer, die an dem Gebäude vorbeikamen, reagierten ungläubig, als sie von dem großen Einsatz gegen Mitternacht erfuhren.
Auch an der wenige Kilometer entfernten Dekontaminationsstelle der Feuerwehr war am frühen Morgen Ruhe eingekehrt. Dort hatten Einsatzkräfte in Schutzanzügen Beweismittel, die vor Ort in blauen Fässern versiegelt worden waren, behandelt.
RND/dpa/am