Bücher mit dem Rücken zur Wand

“Als Nächstes hängen wir die Gemälde verkehrt herum an die Wand“: Wenn es nach Instagram-Designbloggern geht, werden Buchrücken jetzt zur Wand gedreht.

“Als Nächstes hängen wir die Gemälde verkehrt herum an die Wand“: Wenn es nach Instagram-Designbloggern geht, werden Buchrücken jetzt zur Wand gedreht.

Hannover. Im Englischen gibt es die Redensart “Don’t judge a book by its cover“: Beurteile ein Buch nicht nach seinem Umschlag. Im übertragenen Sinne heißt das, man sollte Dinge und auch Menschen nicht allein nach dem äußeren Erscheinungsbild beurteilen. Ein Einrichtungstrend aus den USA nimmt dieses Leitbild nun wörtlich: Es gehört unter einigen Bibliophilen zum guten Stil, die Bücher andersherum im Regal anzuordnen.

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Auf diese Weise schauen den Betrachter die blanken Seiten an – so geht literarischer Minimalismus. Galt es früher als chic, sich mit Goethe und dem Brockhaus zu umgeben, so geht es jetzt nicht mehr um einzelne Titel. In der anonymisierten Bibliothek gibt allein der Vergilbungsgrad eine vage Auskunft über die Beschaffenheit des Inhalts. Eselsohren verraten, wie intensiv die Lektüre war. Offen und verletzlich liegt der Schnitt frei. Papier erdet die Wohnung, die verschiedenen Weißtöne bieten seitenweise Wohnkultur.

Das Buch ist das Accessoire einer Intellektuellenszene, die das Kulturgut nach wie vor wertschätzt, jedoch zunehmend zwischen Funktion und Form unterscheidet. Während das Lesen vermehrt auch über digitale Vermittlungskanäle geschieht, bleibt die Form des Druckerzeugnisses ein liebgewordener Mitbewohner. Oder anders gesagt: Während der E-Reader auf dem Nachttisch liegt, wird das analoge Buch zum Einrichtungsgegenstand.

Reaktionen zwischen Verachtung, Hohn und Neugier

Doch nicht allen gefällt der Trend. Die amerikanische Designbloggerin Natasha Meininger erhielt Hassmails, nachdem sie Fotos aus ihrem Haus bei Instagram postete. Darauf war ihr Regal zu sehen, in dem sie einige Bücher horizontal und einige vertikal hinlegte. Meininger pries die “skulpturartige Wirkung“ der neuen Anordnung. Sie fand, dass die cremefarbenen Seiten besser als die bunten Buchcover mit dem Rest der Einrichtung harmonierten.

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Viele Nutzer bezeichneten sie daraufhin als Kulturbanausin. Unverhofft sah sie sich in Verteidigungsnot: “Es ist albern, aber ich sah mich dazu gezwungen zu sagen, dass ich meine Bücher liebe und auch lese“, sagte die 33-Jährige dem “Wall Street Journal“, das “die große Buchregaldebatte des Jahres“ ausrief.

Tatsächlich schwanken die Reaktionen zum Thema #Backwardsbooks in den sozialen Netzwerken zwischen Verachtung, Hohn und Neugier. “Wenn du zu mir nach Hause kommst und siehst, dass ich da mitmache, weißt du, dass ich verrückt geworden bin“, twitterte ein Nutzer, eine andere schrieb bei Instagram: “Klar, es sieht nett und sauber aus. Aber viel Glück dabei, ein gesuchtes Buch zu finden!“ Ein Kommentator empfiehlt, als Nächstes auch Gemälde mit dem Bild nach hinten an die Wald zu hängen.

Nachdem die Designbloggerin Natasha Meininger dieses Bild auf Instagram gepostet hatte, bekam sie Hassmails.

Nachdem die Designbloggerin Natasha Meininger dieses Bild auf Instagram gepostet hatte, bekam sie Hassmails.

Auch der US-Kinderbuchautor Peter Pearson sieht den Trend kritisch: “Der Umschlag eines Buches ist wie eine Hand, die sich einem entgegenstreckt. Und nun tauscht man diese Großzügigkeit des Buches für Eierschalenweiß ein.“

Ob das Thema auch bei der Leipziger Buchmesse zwischen dem 15. und 18. März eine Rolle spielen wird? Der DTV-Verlag zumindest hat sich schon im Vorfeld dagegen ausgesprochen: “Den Trend um Backwards Books hin oder her, wir lieben unsere bunten Bücherregale!“ Der Verlag lud zudem zum “Shelfie“ – zum Foto vor dem Bücherregal – ein. Die Zustimmung war groß: Ein Fan namens Lari Mogelzahn schrieb: “Nichts ist so gemütlich wie ein Raum voller Bücher, die zum Träumen einladen – und dazu gehören nun mal Buchrücken.“

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“Regalmeter sinnlicher Cremetöne“

Bibliotheken haben immer schon eine große Bedeutung in der Einrichtung von Häusern, Wohnungen und Arbeitszimmern gespielt. Der US-Professor Henry Petroski zeigt in der Publikation “Das Buch im Bücherregal“ auf, dass sich die Anordnung im Laufe der Zeit oft geändert hat. Vor dem 16. Jahrhundert etwa habe der Umschlag als am wenigsten präsentierfähiger Teil des Buches gegolten; eher standen schmuckvolle Illustrationen im Innenteil im Fokus; das Buch wurde also aufgeschlagen gezeigt wie dieser Tage in Museen.

Heutzutage können Inneneinrichter Bücher nach Farbe bestellen. Der Anbieter BooksbytheFoot.com etwa bietet “Regalmeter sinnlicher Cremetöne“ an oder auch Bücher ohne Cover, für einen “Shabby Chic Look“.

Es gibt sogar Buchattrappen, die mit einem statusträchtigen Titel bedruckt, innen aber hohl sind. Der Backwards-Books-Trend dreht diesen Gedanken gleichsam um: Das Buch an sich zählt, der Inhalt ist unwichtig. Was dann ja am Ende eigentlich das genaue Gegenteil der tieferen Botschaft aus “Don’t judge a book by its cover“ ist.

Von Nina May

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