Corona-Pause vorbei: Englische Pubs bereiten Öffnung vor
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Ab Samstag dürfen Pubs in England wieder öffnen.
© Quelle: Frank Augstein/AP/dpa
London. Wenn die englischen Pubs am morgigen Samstag nach mehr als drei Monaten Corona-Pause wieder öffnen, stehen die Wirte vor einer kniffligen Aufgabe. Wie hält man Gäste auf dem vorgeschriebenen Abstand zueinander, wenn sie die erste Serie ihrer Lieblingsdrinks intus haben? Da ist Einfallsreichtum gefragt.
Ungeachtet aller Warnungen gestattet die Regierung Pubs und dem übrigen Gastgewerbe, wieder Gäste zu bewirten. Nach der langen Durststrecke bleibt vielen Wirten auch kaum etwas anderes übrig, als den Sprung zu wagen, auch wenn es in ihren Lokalen recht ungewohnt zugehen wird. Laut Vorschrift müssen sie unter anderem alle Gäste beim Eintreten registrieren, Desinfektionsmittel bereithalten und dafür sorgen, dass die Tische weit genug auseinander stehen.
Pub-Besitzer Kolltveit: “Es wird nicht mehr dasselbe sein.”
"Ich bin nervös", gesteht Are Kolltveit, der mit seiner Frau Emily das "Chandos Arms" betreibt. Die beiden haben ihren Pub im Norden Londons in den vergangenen Jahren auf Vordermann gebracht und mit Veranstaltungen wie Live-Musik zu einer gesellschaftlichen Größe gemacht. Vergangenes Jahr wurde das "Chandos" bei den British Pub Awards zum besten Lokal gewählt. "Es wird nicht mehr dasselbe sein, aber wir werden unser Bestes tun, um es so großartig zu machen wie immer", sagt Kolltveit.
Für die meisten der 37 500 englischen Pubs ist die Pandemie eine existenzielle Gefahr. Das "Chandos" und viele andere haben Massenentlassungen nur vermeiden können, weil die Regierung mit einer Art englischer Kurzarbeiterregel einen Teil der Löhne übernommen hat. Etwa 90 Prozent aller Pub-Angestellten wurden nach Angaben der Beer and Pub Association auf diese Weise beurlaubt. Die Wiederöffnung gibt Hoffnung, doch die Gewinne dürften karg sein.
Mit 50 Prozent Auslastung kann der Pub noch fünf Monate überleben
Kolltveit muss einfach glauben, dass sich seine Gäste an die Regeln halten werden. Die Pandemie ist noch im Gange, etwa 44.000 Menschen sind nach Virusinfektionen in Großbritannien gestorben - nur in den USA und Brasilien waren es mehr. Kolltveit sagt, ohne weitere Hilfen könne sein Pub etwa fünf Monate überleben, vorausgesetzt er könne das “Chandos” zu 50 Prozent auslasten und es gebe keine zweite Corona-Welle mit neuen Schließungen.
Der Autor Pete Brown sieht die Wirte vor einer gewaltigen Herausforderung. "Die besten Pubs sind eine Fortsetzung der Persönlichkeit des Gastwirts", sagt er. "Ich denke, die besten Lokalbesitzer entdecken Möglichkeiten, sich neu zu erfinden."
Ein Bier am Tresen ist tabu
Wenn die Pubs wieder öffnen, dürfte die gewohnte Atmosphäre erst einmal nicht wieder einkehren. Die Zeiten, in denen man sich gemütlich an der Bar unterhalten konnte, sind fürs Erste vorbei. Gäste müssen an Tischen bedient werden. An jedem dürfen maximal sechs Personen mit mindestens einem Meter Abstand voneinander Platz nehmen, und zwar nach Möglichkeit nebeneinander und nicht gegenüber, um das Ansteckungsrisiko beim Gespräch zu minimieren. Das dürfte die Atmosphäre nicht gerade fördern.
Tim Sheehan ist Mitbesitzer des Pubs und Restaurants "Franklins" im Südosten Londons und zerbricht sich den Kopf darüber, wie er seine Gäste nach ihren persönlichen Daten fragen soll. Die muss er für 21 Tage speichern, damit die Behörden mögliche Ansteckungswege zurückverfolgen können, falls irgendein Besucher am Coronavirus erkrankt. "Wie viele Mr. und Mrs. Presleys werden wir denn haben?", fragt er sich. "Und wie schickst du dich an, Leuten persönliche Fragen zu stellen? - In der Hinsicht fürchte ich mich."
Sorgen, wie ernst die Gäste die Corona-Regeln nehmen
Außerdem macht sich Sheehan Gedanken darüber, wie ernst seine Gäste die Corona-Regeln nehmen, wenn sie sich erst einmal in den Zustand fortgeschrittener Fröhlichkeit getrunken haben. Besonders in Pubs, die jüngere Leute bewirten, könne das laufen wie mit den Silvestervorsätzen für das neue Jahr. "Die fliegen womöglich zum Fenster raus, wenn die Leute ein paar Radler hatten", sagt Sheehan.
Der Buchhalter Jon Cross hält das für eine Frage des gesunden Menschenverstandes. Der 40-Jährige würde sehr gern wieder in seinen Nordlondoner Pub "The Wrestlers" gehen - wenn es da nicht zu voll ist. "Die meisten Leute werden darauf vertrauen, dass ihr Lokal die richtigen Entscheidungen trifft", sagt er.
Premier Johnson hofft auf Vernunft der Briten
Premierminister Boris Johnson setzt auf die Eigenverantwortung der Leute. Nach mehr als drei Monaten Pandemie neigten die Menschen deutlich weniger dazu, sich dicht neben andere zu setzen, die womöglich infiziert sind, sagte Johnson am Freitag. Er hoffe, die Briten genössen den Sommer verantwortungsvoll und sicher.
Die Richtlinien gelten unabhängig von der Größe und den Räumlichkeiten eines Pubs. Das stellt ein Riesenlokal wie "The Moon Under Water" in Manchester vor andere Probleme als den urigen Pub "The George", der im südenglischen Burpham zwischen Kirche und Cricket-Platz endlich wieder Gäste empfangen will. Das "George" ist Teil des Dorflebens. Mitbesitzer Robert Essex beginnt den Betrieb am Samstag mit einem Grillfest im Freien, gefolgt vom Sonntagsbraten, der am nächsten Tag drinnen und draußen serviert werden soll. "Seit der Herzog von Norfolk im August 1863 auf seinem Land den Arundel-Bahnhof eröffnet hat, haben die Leute in Sussex kein Ereignis begieriger erwartet, als die Wiedereröffnung des "George"", sagt der 59-jährige Essex.
Einige Pubs bleiben geschlossen - aus Angst, zum Super-Spreader zu werden
Doch nicht alle Pubs öffnen sofort wieder. "The Tollington Arms" in der Nähe des Londoner Arsenal-Stadions fürchtet, zu einer zweiten Pandemie-Welle beizutragen, weil die Regierung den Rat von Experten in den Wind geschlagen habe. Ob das so ist, werden die nächsten Wochen zeigen.
Autor Brown glaubt, dass die Pubs florieren werden, die während der Schließung die Bedürfnisse ihrer Umgebung aufgenommen haben und Unternehmergeist zeigen. Einige zum Beispiel hätten in der erzwungenen Wartezeit nicht nur Kunden zu Hause beliefert, sondern auch neue Kochrezepte ausfindig gemacht. Die würden zumindest überleben.
RND/AP