Stadt gewährt „Sondernutzung“

Erdogan-Wahlplakate in Nürnberg: Geschichte einer kurzen Eskalation

Ein Wahlplakat der AKP mit dem türkischen Präsidenten Erdogan in der Türkei.

Ein Wahlplakat der AKP mit dem türkischen Präsidenten Erdogan in der Türkei.

Die Hand auf dem Herzen, die türkische Flagge am Revers, vorsichtig lächelnd: So konnte man dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan auf Wahlplakaten an Nürnbergs Straßen begegnen. Zumindest für geschätzte 48 Stunden. Denn die Plakate wurden rasch wieder abgehängt – nach einem kurzen, aber heftigen Twitter-Protest.

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Wer auch immer die Plakate entfernte, würgte so einen sich am Wochenende ausbreitenden Wahlkampf­eklat ab. Am 14. Mai wird in der Türkei gewählt, aktuell zeichnet sich ein enges Rennen zwischen Erdogan und seinem Herausforderer Kemal Kilicdaroglu ab. Ob sich der türkische Staatschef an der Macht halten kann, darüber entscheiden auch die 1,5 Millionen wahl­berechtigten Türkinnen und Türken in Deutschland.

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Die Reaktionen auf Erdogans fränkische Plakat­stippvisite zeigen, welches Eskalations­potenzial die türkische Parlamentswahl auch in Deutschland birgt.

„Wurden diese vom Ordnungsamt genehmigt?“

Los ging es mit der Aufregung am Samstag, als der deutsche Journalist Eren Güvercin auf Twitter einen Instagram-Screenshot der lokalen Nürnberger AKP-Unterstützer­gruppe postete. Das Bild zeigt eine Auswahl der aufgehängten Erdogan-Plakate samt Slogan „Doğru Zaman, Doğru Adam“ – Die richtige Zeit, der richtige Mann. Darunter steht die Adresse für die Stimmabgabe in Nürnberg.

„Wurden diese vom Ordnungsamt genehmigt?“, fragt Güverci in seinem Tweet – und adressierte Justizminister Buschmann und Innenministerin Faeser. Unter dem Post sammelten sich rasch empörte Kommentare.

Fahrt nahm das Thema auf, als sich der ehemalige Grünen-Abgeordnete Volker Beck einschaltete: „Wer lässt so etwas zu?“, schrieb er in Bezug auf Güvercis Tweet. Beck engagiert sich für Menschenrechte und lehrt an einem religions­wissenschaftlichen Zentrum, sein Account hat fast 100.000 Follower.

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Die Stadt Nürnberg twitterte daraufhin zurück: „Auf Grund des Wahlkampfes wurden 25 Plakate außerhalb der Altstadt im Rahmen einer Sondernutzung vom 22. April bis zum 5. Mai genehmigt.“ Was für viele weitere kritische Stimmen sorgte.

Der Essener Politik­wissenschaftler Burak Copur richtete sich mit einem offenen Brief an Nürnbergs Oberbürgermeister Marcus König (CSU): Angesichts der „verheerenden Menschenrechts­bilanz Erdogans“ empfinde er die Verwaltungs­entscheidung als „zynisch und höchst ignorant.“ Copur sprach von „Werbung für einen Diktator“.

So kämpft die türkische Opposition in Deutschland um Wähler

Der türkische Wahlkampf ist in vollem Gange. Die Umfragen zeigen: Es ist eng. In Deutschland kämpft die Opposition um wichtige Wähler­stimmen. Wir waren dabei.

Erinnerungen an den Wahlkampf 2017

Mittlerweile waren etliche Medien auf den Fall aufmerksam geworden. Und so legte Volker Beck via „Bild“ nach: „2017 versprach der deutsche Innenminister, dass es so etwas nicht gibt. Nun findet es doch statt. Türkischer Wahlkampf hat auf unseren Straßen nichts verloren.“

Beck spielt damit auf ein türkisches Verfassungs­referendum aus dem Jahr 2017 an, in dessen Zuge es Kontroversen um den Auftritt von türkischen Politikern in Deutschland gegeben hatte. Debattiert wurde, ob diese gestattet werden dürften oder nicht – Termine des Außenministers Mevlüt Cavusoglu wurden aus Sicherheits­gründen abgesagt.

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Auch in diesem Jahr hatte es Spekulationen über einen Wahlkampf­auftritt von Erdogan in Berlin gegeben; der Besuch kam jedoch nicht zustande. Zuletzt hatte eine aufwiegelnde Rede eines AKP-Abgeordneten in Deutschland im Januar für Streit gesorgt.

Anlässlich der diesjährigen Wahl hat Bundes­justizminister Marco Buschmann (FDP) die Länder deshalb dazu aufgerufen, wo nötig gegen hetzerische Reden türkischer Politiker in Deutschland einzuschreiten. Auf die Frage, ob die Regel eingehalten werde, wonach ausländische Amts- und Mandats­träger in Deutschland drei Monate vor einer Wahl nicht auftreten dürften, sagte er dem Redaktions­Netzwerk Deutschland (RND): „Das muss unser Ziel sein, klar. Die Auftritte von Amts- und Mandats­trägern sind schließlich genehmigungs­pflichtig.“

Stadt Nürnberg sieht kein Problem

Genauso wie Wahlkampfplakate. Wegen des Wirbels sah sich die Stadt Nürnberg gemüßigt, am Tag der Arbeit unter dem Twitter-Post von Volker Beck Stellung zu beziehen: Man sei im deutschen sowie im ausländischen Wahlkampf „selbstverständlich neutral“, entgegnete die Verwaltung einem User, der nach ihrer Parteilichkeit gefragt hatte.

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„Im konkreten Fall gab es keine Anträge anderer Parteien für eine derartige Plakatierung“, schrieb die Stadt weiter – etwa vonseiten der Opposition. „Auch diese wären genehmigt worden, sofern sich auf den Plakaten kein strafbarer Inhalt befindet.“

Dann schaltete sich Volker Beck wieder ein: „Ausländische Parteien genießen in Deutschland nicht das Parteien­privileg. Wieso tun Sie so etwas?“

Jeder habe im Rahmen der Gesetze das Recht, Plakate aufzuhängen, antwortete die Stadt. „Das gilt auch ohne Parteien­privileg.“ Wegen des Gleichbehandlungs­grundsatzes sei man verpflichtet, derartige Plakatierungen zu genehmigen.

Plakate verschwinden wieder

Den Erklärungen der Stadt zufolge wäre es möglich, dass die Nürnberger AKP-Ortsgruppe die Plakataktion beantragt hatte. Auf Instagram postete die Gruppe ein Video davon, wie sie AKP-Sticker in der Stadt verteilt.

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Die Erdogan-Wahlplakate sollen schließlich im Laufe des Sonntags entfernt worden sein – unklar ist, von wem. Nürnbergs Pressesprecher teilte mit, man wisse nicht, wer die Werbung abgehängt habe. „Eine Aufforderung, sie abzuhängen, gibt es von uns nicht.“

Die Frage ist nun, wie andere Städte mit derlei Wahlkampf­anfragen umgehen werden oder auch schon umgegangen sind. Nach dem Nürnberger Kurz­eklat ist es kaum vorstellbar, dass etwa Großstädte wie Hamburg oder Berlin einen noch viel größeren Aufruhr riskieren.

Die Stadt Nürnberg will ihrerseits aus dem kurzen Aufruhr lernen. Die Richtlinien zur Plakatwerbung „werden mit Blick auf künftige Wahlen ausländischer Parteien nun überprüft“, hieß es aus dem Rathaus am Dienstag.


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