Reiche und Berühmte im Cockpit

Danke, ich fliege selbst

CDU-Chef Friedrich Merz und seine Frau Charlotte sind mit ihrem Privatflieger zur Hochzeit von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) nach Sylt gekommen.

CDU-Chef Friedrich Merz und seine Frau Charlotte sind mit ihrem Privatflieger zur Hochzeit von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) nach Sylt gekommen.

Cool sieht der CDU-Chef auf dem Bild aus: Friedrich Merz sitzt im weißen Hemd im Cockpit, seine Frau Charlotte neben sich. Das kleine Propellerflugzeug glitzert silbrig im Nordseelicht – und dabei sind die futuristisch anmutenden Flügeltüren der Maschine noch gar nicht zum Ausstieg hochgeklappt.

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Auf dem Foto sieht es so aus, als spreche Merz gerade ins Mikro seines Headsets. Vermutlich hat er nach der Landung dem Tower etwas Wichtiges mitzuteilen. Solche Gespräche enden jedenfalls in Filmen immer mit „Over and out“. Oder so ähnlich.

„Over and out“: Friedrich Merz und Frau Charlotte im Cockpit

„Over and out“: Friedrich Merz und Frau Charlotte im Cockpit

Aber Moment? Steht auf der Wattenmeerinsel Sylt überhaupt ein Tower, der diesen Namen verdient? Sogar ein recht ansehnlicher. Darüber hinaus gibt es gleich zwei Terminals, Linienverbindungen zu Festlandsflughäfen und die lokale Fluggesellschaft Sylt Air. An Terminal 1 mit drei Flugsteigen und zwei Gepäckbändern können pro Jahr bis zu 250.000 Passagiere abgefertigt werden. Die meisten sind Urlauber und kommen an den Sommerwochenenden.

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Hochfliegendes Jetset

Die wenigsten Sylt-Besucher aber steuern die eigene Maschine als Pilot ans Ziel. So etwas nennt man wohl hochfliegenden Jetset, zu deutsch: Schickeria – laut Definition eine internationale Gesellschaftsschicht, die über genügend Geld verfügt, um sich an exklusiven Orten zu treffen, zu denen die meisten Menschen keinen Zugang haben.

Auf die Hochzeitsfeier von Bundesfinanzminister Christian Lindner und der Journalistin Franca Lehfeldt dürfte die Definition zweifellos zutreffen. Und dahin war das Ehepaar Merz unterwegs. Am Donnerstag besuchte Merz noch die sogenannte Stallwächterparty in der Landesvertretung Baden-Württemberg, am Freitag ging es zur nächsten Festivität, genauer: zum Polterabend auf Sylt. Da ist so ein Flugzeug von Vorteil.

Journalistin Franka Lehfeldt (links) und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und seine Lebensgefährtin verlassen nach der standesamtlichen Trauung das Sylt-Museum.

Journalistin Franka Lehfeldt (links) und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und seine Lebensgefährtin verlassen nach der standesamtlichen Trauung das Sylt-Museum.

Bei der Maschine handelt es sich nach Medienberichten um eine zweimotorige DA62 des österreichischen Herstellers Diamond Aircraft, zugelassen in Europa seit 2015 und gern genutzt als Sport- und auch als Geschäftsreiseflugzeug. Nach Informationen des Magazins „Stern“ gehört die DA62 der Firma Volatus im sauerländischen Arnsberg – und die wiederum gehört Merz.

9-Euro-Ticket als Alternative

Die Reisegeschwindigkeit der DA62 beträgt 325 Stundenkilometer. Listenpreis: 920.000 Euro. Verbrauch im Normalbetrieb: 56 Liter pro Stunde, was laut „Fliegermagazin“ geradezu sparsam im Vergleich zu ähnlichen Modellen ist.

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Eine Anreise mit dem 9-Euro-Ticket der Deutschen Bahn wäre klimatechnisch trotzdem empfehlenswert gewesen.

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Aufregen sollten sich aber jetzt keinesfalls diejenigen, die in diesem Sommer nur deshalb in endlos langen Schlangen an deutschen Flughäfen herumstehen, weil sie gerade kein Privatflugzeug zur Hand haben. Die Lufthansa ist im allgemeinen Reisechaos immer häufiger mit komplett leeren Riesenjets unterwegs, die erst auf dem Rückweg Passagiere an Bord nehmen. Merz sitzt, so weit bekannt, in beide Richtungen am Steuer.

Politiker als Piloten

Die Privatpilotenlizenz hat Merz auf Anraten des ebenfalls im Sauerland beheimateten Unternehmers Ulrich Bettermann erworben. Jedenfalls nimmt dieser die Idee für sich in Anspruch. Regelmäßig hebt Merz‘ Maschine laut Trackingseiten vom Flugplatz Arnsberg-Menden ab – schon lange vor seiner Zeit als CDU-Vorsitzender.

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Politiker als Pilot: Damit befindet sich März in illustrer Gesellschaft. CSU-Chef Franz Josef Strauß war geradezu berüchtigt als Luftikus. Legendär sein Flug Weihnachten 1987 nach Moskau mit der Cessna des Rosenheimer Fleischgroßhändlers Josef März, die sich Strauß gern mal ausborgte. An so einer Verquickung störte sich damals offenbar niemand.

Das war vielleicht ein Gefühl! Wenn man so eingeengt ist wie ich, empfindet man diese fliegerische Freiheit viel intensiver als ein Normalbürger. Ich wollte gar nicht wieder herunter, so fasziniert war ich.

Franz Josef Strauß

früherer CSU-Chef

Mit letzten Spritreserven landete Strauß neben seinem empörten Kopiloten auf dem wegen Schneetreibens eigentlich gesperrten Rollfeld. Theo Waigel und Edmund Stoiber waren ebenfalls an Bord.

Männer in fliegenden Kisten

Nach seinem ersten Alleinflug 1980 schwärmte Strauß: „Das war vielleicht ein Gefühl! Wenn man so eingeengt ist wie ich, empfindet man diese fliegerische Freiheit viel intensiver als ein Normalbürger. Ich wollte gar nicht wieder herunter, so fasziniert war ich.“ Solche Sprüche wird man von Merz kaum zu hören bekommen – und doch scheint es steinreiche Menschen, vorzugsweise Männer, in fliegende Kisten zu locken.

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Ganz ohne die übliche Entourage können sie die Freiheit über den Wolken genießen. Keine Assistentin oder Assistent halten ihnen den übervollen Terminkalender unter die Nase, das Sicherheitspersonal sitzt irgendwo auf den hinteren Plätzen, und mit einem Stau wie auf der Autobahn ist auch nicht zu rechnen. Das Schicksal liegt in den eigenen Händen - und noch dazu machen sich zufällige oder gut inszenierte Fotos besonders gut. Es sei denn, sie rufen eine gegenteilige Reaktion hervor, zum Beispiel Neid.

Besonders Hollywood liebt es abgehoben: Superstar Tom Cruise reiste jüngst zur Premiere seine Militär-Werbefilms „Top Gun: Maverick“ auf dem US-Flugzeugträger Midway durch die Luft. Das Fortbewegungsmittel seiner Wahl: der Hubschrauber.

Tom Cruise auf dem Weg zur Weltpremiere von „Top Gun: Maverick“

Tom Cruise auf dem Weg zur Weltpremiere von „Top Gun: Maverick“

Auch Harrison Ford ist ein begeisterter Flieger. Er soll allerdings schon mit verkniffenem Gesicht halbe Flugstrecken in seinem Privatjet damit verbracht haben, Rotweinflecken aus dem Teppich herauszuschrubben. Notlandung und Absturz hat er schon überlebt.

John Travolta verfügt sogar über Lizenzen für Verkehrsflugzeuge. Sein Anwesen in Florida liegt verkehrstechnisch günstig an einer Start- und Landebahn. Vor seinem Domizil hat er seine eigene Boeing geparkt.

John Travolta in der Kabine seiner eigenen Boing 707 (Archiv)

John Travolta in der Kabine seiner eigenen Boing 707 (Archiv)

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Eine ganze Reihe deutscher Prominenter besitzt den Pilotenschein, darunter Fernsehmoderatorin Sonja Zietlow, Smudo von den Fantastischen Vier, Schlagersänger Roland Kaiser und TV-Koch Johan Lafer (Helikopter). Die stehen aber vermutlich nicht auf der Gästeliste von Lehfeldt/Lindner.

Fehlt noch jemand in der Liste? Nun ja, auch Wladimir Putin hat sich vor etlichen Jahren schon mal zum als Copilot in ein Löschflugzeug gesetzt. Über zwei Brandherde 200 Kilometer südöstlich von Moskau soll er 2010 – selbstverständlich treffsicher – seine Wasserladungen abgeworfen haben. So die offizielle Heldenlegende.

Im internationalen historischen Vergleich ist die Reise des Ehepaars Merz von Berlin nach Sylt also kaum mehr als ein kleiner Hopser. Und wer weiß? Vielleicht bietet Merz parteiübergreifende Mitfluggelegenheiten auf dem Rückweg an, um seine miese Klimabilanz ein wenig aufzuhübschen. Platz in der Maschine hätte er ja noch.

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