Zwischen Spott und Häme stirbt #MeToo: über die frauenfeindlichen Dynamiken des Heard-Depp-Prozesses
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Der Schauspieler Johnny Depp winkt seinen Anhängern zu, als er das Fairfax County Courthouse in Fairfax, Virginia, verlässt.
© Quelle: Craig Hudson/AP/dpa
Im seit sechs Wochen laufenden Verleumdungsprozess von Johnny Depp gegen Amber Heard hat die Jury nun beide Parteien für schuldig befunden – Heard jedoch in deutlich mehr Anklagepunkten. Der Prozess wurde öffentlich gestreamt und im Internet mit großer Einigkeit kommentiert. Während sich hinter Johnny Depp schnell eine starke Fangemeinde positionierte und #justiceforjohnny forderte, hatten die meisten für Amber Heard nur Häme übrig.
Auf sozialen Plattformen wie Tiktok gibt es zahlreiche Videos und Memes, in denen sich Nutzerinnen und Nutzer über die Art und Weise, wie sie ihre Missbrauchserfahrungen schildert, lustig machen. O-Ton: Ja, sie hat geweint. Aber habt ihr gesehen, wie sie dabei aussah? Anderen waren ihre Schilderungen zu emotional und übertrieben, als dass sie als glaubhaft empfunden wurden. Die beliebtesten Hashtags: #amberheardisapsychopath, #amberheardisaliar und – nachdem Depp ihr vorwarf in sein Bett gekotet zu haben – #amberturd. Auch Comedian Chris Rock oder Saturday Night Live spotteten über die Glaubhaftigkeit der Schauspielerin.
Dynamiken fördern einseitige Parteinahme
Diese einseitige Parteinahme erklärt sich die Autorin Veronika Kracher besonders durch misogyne, also frauenfeindliche, Dynamiken: „Von Frauen wird erwartet, dass sie das perfekte Opfer sind, wenn sie häusliche Gewalt anklagen“, so die Journalistin, die viel in der Incel-Szene recherchiert hat. „Dass sie sich vom Täter direkt trennen, dass sie sich selbst nichts zuschulden kommen lassen haben.“
Amber Heard habe sich aber wohl auch selbst übergriffig verhalten in der Beziehung zu Depp. Dazu leide sie unter psychischen Krankheiten und sei bisexuell – aus konservativer Perspektive ebenfalls „Lasten“. „Heard wurde öffentlich als Borderlinerin ferndiagnostiziert. Das ist eine Form von Pathologisierung, die Frauen häufiger entgegengebracht wird, um sie ihrer Glaubwürdigkeit zu delegitimieren. Sie sind das, was früher Hysterie-Vorwürfe waren“, so Kracher. „Auch musste sie sich – anders als Depp – vor Gericht für ihre Partnerinnen und Partner rechtfertigen. Bisexuellenfeindlichkeit und Slutshaming haben dabei eine große Rolle gespielt.“
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Feministische Autorin und Journalistin Veronika Kracher.
© Quelle: Dennis Pesch
Fragwürdige Meinungsbildung
Außerdem positioniere sie sich zum Thema häusliche Gewalt in Bezug auf einen erfolgreichen, beliebten Schauspieler, den viele Menschen nur als ihren Lieblingspiraten kennen. Die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Prozess und seine Memefizierung hätten außerdem ein verbindendes, massenpsychologisches Moment. „Leute finden in ihrem Hass auf eine Frau zusammen und machen sich kollektiv darüber lustig, dass diese Frau im Zeugenstand weint“, analysiert die 32-Jährige. „In ihrem Hass auf Amber Heard und ihrer Parteinahme für Johnny Depp können sich als Kollektiv fühlen und ihrem Idol so auch näher sein.“
„Es ist für viele Menschen offenbar wahrscheinlicher, dass eine Frau eine groß angelegte Kampagne gegen einen Mann fährt, um ihn zu ruinieren, als dass der Mann tatsächlich gewalttätig ist.
Veronika Kracher, Journalistin und Autorin
Im Zuge dessen entstanden teils Geschichten über Heard, die das Potenzial einer Verschwörungsideologie haben: „Amber Heard soll bereits 2013 Nachrichten gefälscht haben, in denen sie darüber schreibt, dass sie sich nicht sicher fühlt“, erzählt Kracher. „Es ist für Menschen in einer misogynen Gesellschaft offenbar wahrscheinlicher, dass eine Frau eine groß angelegte Kampagne gegen einen Mann fährt, um ihn zu ruinieren, als dass der Mann tatsächlich gewalttätig ist. Wir müssen uns mal vor Augen halten, wie grundlegend falsch und frauenfeindlich das ist.“
Auch sei die Meinungsbildung über derartige Plattformen generell höchst fragwürdig: „Plötzlich sind Tausend selbsternannte Expertinnen und Experten für Körpersprache aus dem Boden geschossen. Dabei spielt ja gerade bei der Analyse von Körpersprache der Kontext, in dem das passiert, sowie die eigene Projektion eine ganz große Rolle“, so Kracher. „Wie kann jemand, der vorm Rechner sitzt und sich ein Tiktok von Amber Heard anschaut, ihre Körpersprache analysieren und dann sagen, das sei eine objektive Analyse?“
„Wie kann jemand, der vorm Rechner sitzt und sich ein Tiktok von Amber Heard anschaut, ihre Körpersprache analysieren und dann sagen, das sei eine objektive Analyse?“
Veronika Kracher, Journalistin und Autorin
Livestreaming hilft nicht bei der Wahrheitsfindung
Dass derartige Prozesse live übertragen werden, ist in den USA gewachsene Tradition. Dieses Verfahren hat aber besonders hinsichtlich der Wahrheitsfindung seine Tücken: „In einem Verfahren, dass live übertragen wird, ist es viel schwieriger noch die Wahrheit zu erfahren“, weiß Ivo Bach, Professor für Bürgerliches Recht, Medizinrecht, Europäisches und Internationales Privatrecht in Göttingen. „Ein Zeuge, der weiß, dass er gefilmt wird, überlegt sich dreimal, ob er eine peinliche Geschichte erzählt – selbst, wenn sie einer Partei helfen würde.“
Auch könne die Übertragung zu einer gewissen Vorverurteilung führen und die Beweisermittlung erschweren. „Denn die Parteien, die Richterinnen und Richter und die Zeuginnen und Zeugen verhalten sich anders, wenn eine Kamera auf sie gerichtet ist. Deswegen ist das in Deutschland so nicht erlaubt“, so Bach. „Dass so viele Prozesse live übertragen werden, ist historisch gewachsen in den USA. Das wäre auch gar nicht so leicht rückgängig zu machen, weil dann der Eindruck entstünde, dass im Hintergrund gemauschelt würde.“
Beweisvideo im Verleumdungsprozess: Depp randaliert in seiner Küche
Im Verleumdungsprozess um den Schauspieler Johnny Depp und seine Ex-Frau Amber Heard wurde den Geschworenen jetzt ein von Heard gefilmtes Video gezeigt.
© Quelle: Reuters
Durch die Liveübertragung wurde das Prozessgeschehen zudem gewissermaßen kommerzialisierbar: „Dass sehr viele Leute angefangen haben, sich über Amber Heard lustig zu machen, hat auch monetären Wert“, erklärt Kracher. „Mit hämischen Tiktoks und YouTube-Videos über die weinende Heard konnte man sehr viele Klicks generieren.“
„Ein Zeuge, der weiß, dass er gefilmt wird, überlegt sich dreimal, ob er eine peinliche Geschichte erzählt – selbst, wenn sie einer Partei helfen würde.“
Ivo Bach, Professor für Bürgerliches Recht, Medizinrecht, Europäisches und Internationales Privatrecht in Göttingen
Vice recherchierte außerdem, dass „The Daily Wire“ Tausende von Dollar ausgab, um Anti-Amber-Heard-Propaganda zu fördern. „Antifeministische Kräfte wie der rechtsradikale News-Outlet The Daily Wire, nutzen diesen Prozess, um Stimmung gegen eine Frau zu machen, die auch als Feministin aufgetreten ist“, so Veronika Kracher. Dabei seien Misogynie und Frauenhass nicht zu unterschätzende Radikalisierungsfaktoren junger Männer nach Rechtsaußen. „Antifeministische Kräfte wissen und nutzen das.“
Drohnachrichten und Gewalt Depps gehen unter
Was außerdem auffällt ist, dass das offensichtlich gewalttätige Verhalten Depps und Textnachrichten, in denen er davon fantasiert, seine Ex-Frau umzubringen und ihre Leiche zu schänden, unter der allgemeinen Belustigung über Heard völlig unterzugehen scheint.
Für Veronika Kracher eine Konsequenz der MeToo-Bewegung, die vielen Männern zu weit gegangen war: „Jetzt hat die Gesellschaft mit Amber Heard ein Opfer, das nicht perfekt ist, und kann ihre Wut über MeToo und seine Errungenschaften an Heard abreagieren – weil es ja vermeintlich die Richtige trifft. Und Johnny Depp ist zudem eine ganz andere Ikone und Identifikationsfigur als ein Harvey Weinstein“, so die Journalistin.
Zudem bemängelt sie, dass Heard trotz der Textnachrichten, Videos und Fotos nicht geglaubt wurde. „Im Endeffekt sagt dieser Prozess: Als Mann wird dir geglaubt, egal was du sagst. Und als Frau kann man einen Beweis nach dem anderen und das reicht nicht aus. Das ist so erschütternd.“
„Der Prozess hat eine krasse Signalwirkung an Opfer von häuslicher Gewalt. Wir haben jetzt einen Fall, indem ein Mann eine Frau dafür verklagen konnte, dass sie ihn mit häuslichem Missbrauch in Verbindung gebracht hat.“
Veronika Kracher, Journalistin und Autorin
Dass in diesem Fall Johnny Depp mehr geglaubt wurde als Amber Heard ist auch wegen des Prozessverfahrens ungewöhnlich. „Eigentlich gehen diese Art von Verfahren immer zugunsten desjenigen aus, der nicht beweisbelastet ist – das wäre in diesem Fall Amber Heard“, sagt der Rechtsprofessor Ivo Bach. Denn in solchen Verfahren stünden häufig Aussage gegen Aussage, weil oft keine Zeuginnen oder Zeugen zugegen seien, wenn etwas passiert. „Daher wird oft gar nicht erst geklagt. Depp musste also beweisen, dass das von Heard behauptete nicht stimmt. Dass ihm das gelungen ist, hat mich überrascht“, so Bach.
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Ivo Bach ist Professor für Bürgerliches Recht, Medizinrecht, Europäisches und Internationales Privatrecht in Göttingen
© Quelle: Ivo Bach
Prozess als Karriere-Comeback?
„Der Prozess hat eine krasse Signalwirkung an Opfer von häuslicher Gewalt. Wir haben jetzt einen Fall, indem ein Mann eine Frau dafür verklagen konnte, dass sie ihn mit häuslichem Missbrauch in Verbindung gebracht hat“, warnt Kracher. „Marilyn Manson wurde von seiner Ex-Partnerin Evan Rachel Wood auch der häuslichen Gewalt bezichtigt, nun möchte er es Johnny Depp gleichtun und sie wegen Verleumdung verklagen.“
Dazu passiere in den USA gerade ohnehin ein immenser frauenfeindlicher Rollback. „Einerseits diese Rechtssprechung, dann eben auch die verschärften Abtreibungsgesetze, die queerfeindlichen Gesetze – das sind alles Instrumente gegen weibliche und queere Emanzipation“, so Kracher. „Das ist eine erschreckende Entwicklung, der wir uns vehement entgegenstellen müssen.“
Dass Johnny Depp den Prozess überhaupt angestrebt hatte, lag an einer Formulierung Heards in einem Meinungsartikel, den sie 2018 in der Washington Post schrieb. Darin bezeichnete sie sich als „eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens, die häusliche Gewalt darstellt“. Ein Halbsatz, der dazu führte, dass der millionenschwere Schauspieler Johnny Depp seinen Ruf als gefährdet ansah – und sie kurzerhand verklagte. „Dieser Prozess ist eher das Comeback einer Karriere. Johnny Depp, der schon lange nicht mehr positiv aufgefallen ist in der Öffentlichkeit, wurde am Wochenende auf Musikkonzerten in London gefeiert“, analysiert Kracher. „Er kann jetzt wieder im Licht der Öffentlichkeit baden und wird von allen geliebt und verehrt.“
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